Dichterisches Selbstverständnis

Jeden zweiten Donnerstag gibt die libanesische Lyrikerin und Journalistin Joumana Haddad in der Welt unter dem Rubrikentitel „Auf eine Zigarre“ einen Kommentar zu  aktuellen Themen ab. Die jüngste Veröffentlichung hat mir besonders gut gefallen.

Die Welt, 13.01.2011, Kommenta von Joumana Haddad: Ich dichte, also bin ich

Schon der Titel in Anlehnung an der berühmten Grundsatz des französischen Philosophen René Descartes, stellt vieles klar: Das Dichten als eine Komprimierung von Sinnzusammenhängen, als eine punktuelle ästhetische Formel im Zusammenhang mit bestimmten Themen, Erkenntnissen oder Stimmungen sorgt für eine stärkere Identität der dichtenden Person. Die Descartes’sche Formel besagt, ein Gedankengang setzt das Gehirn voraus, sodass ich an meiner Existenz nicht zu zweifeln brauche.

Das Dichten ist aber mehr als nur ein Vernunft- oder Verstandesakt, es ist eine kreative Bemächtigung, eine Wegmarke, an der andere zwar unachtsam vorbeigehen können, die aber an dieser Stelle des Weges gesetzt wurde und einen eigenen Schaffensakt darstellt. Das Sein wird somit nicht nur als ein „Dasein“ im Sinne eines passiven Dahinvegetierens aufgefasst, sondern als ein aktives, ein schöpferisches und interpretatorisches Ich, das inmitten von komplexen Sachverhalten eine Haltung entwickelt und einnimmt.

Dabei kann die Dichterin oder der Dichter nicht davion abhängen, von vielen gelesen oder whargenommen zu werden. Das ist, was Joumana Haddad an ihrem eigenen Kulturkreis bemängelt: als arabische Dichterin lebt sie nach eigenen Angaben „in einer Weltgegend, in der weniger als 0,1 Prozent der Gesamtbevölkerung von 270 Millionen Menschen überhaupt lesen“, davon lesen nur 40 Prozent Bücher. Von diesen verbliebenen Lesern interessieren sich maximal 9 Prozent für Gedichte. Sie hat es ausgerechnet, das wären gerade einmal 9.720 Menschen. Dabei rühme sich die arabische Welt, mehr als 20.000 Dichter zu ihren Einwohnern zu zählen.

Dies bezeichnet sie zurecht als Ironie. Insofern wäre es auch mehr als vermessen, Gedichte zu schreiben mit dem Hintergedanken, dadurch berühmt werden zu wollen. Was an ihrem dichterischen Selbstverständnis, Gedichte zu schreiben, um zu „sein“, jedoch nichts ändert. Wie heißt es doch oft auch so schön bei Kartenspielen: „Wer schreibt, der bleibt“.

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Eine Antwort zu “Dichterisches Selbstverständnis”

  1. […] ich noch vor kurzem an dieser Stelle leichtfertig den aus dem Kartenspiel bekannten Spruch “Wer schreibt, der bleibt” […]

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