Der erste Eindruck, den ich nach dem 3D-Kinoerlebnis von „Avatar – Aufbruch nach Pandora“ hatte, war: „Wow, was ein visuelles Erlebnis!“ Allerdings glaube ich nicht einmal, dass der Film von der 3D-Technik erheblich profitiert. Die milliardenschweren Erlöse profitieren sicherlich von den deutlich teureren Eintrittskarten. Was mich aber an dem Film noch stärker fasziniert als die Rekordmarken, ist das Avatar-Prinzip selbst: Mittels ausgefeilter Technik eine andere Identität anzunehmen.
Hanns-Georg Rodek bewertet im Leitartikel der Welt vom vergangenen Montag die Tricktechnik höher als die 3D-Effekte, er nennt die dank enormer Rechnerleistungen zusammengefügten Bilderwelten „die Verheiratung des Menschen mit der digitalen Domäne“. In der Anmutung wirken die meisten Bewegungsabläufe sowohl der Eingeborenen des Planeten Pandora, der Na’vi, als auch der üppigen Urwald-Flora und -Fauna erstaunlich echt. Das beflügelt die Phantasie. Lediglich bei Stürzen der drei Meter großen Ureinwohner fällt ein leichtes Stocken auf, wie Peter Stephan Jungk, im Kino mit Peter Henning, in der Literarischen Welt vom vergangenen Samstag bemerkt.
Neben der thematischen oder genrebezogenen Einordnung spielen die beiden Kinobesucher im Beitrag der Literarischen Welt auch auf die moralische Dimension an: „im Moment, da der Mensch den Fuß ins Paradies setzt, ist alles vorbei“. Daran könne auch die schöne Utopie, dass sich die Ureinwohner nicht unterkriegen lassen, nichts ändern. Peter Henning meint abschließend, beide seien auf die Tricks hereingefallen, doch er habe sich gerne verzaubern lassen.
Nach der Kritik des Vatikans der „Naturverehrung als Religionsersatz“ und dem Plagiatsvorwurf russischer Kommunisten (Handlung und Figuren stammten aus dem Roman „Die Unruhe“ des sowjetischen Autors Boris Strugazki) bemängelt nun der konservative Kritiker David Brooks in der New York Times, der „Mythos vom weißen Messias“ bediene stereotypische Annahmen. Christian Bos zeigt im Kölner Stadt-Anzeiger das angeblich rassistische Erzählmuster auf, wonach die Weißen als rational und technokratisch, ihre eingeborenen Opfer dagegen als spirituell und athletisch dargestellt werden. Doch ohne den Erlöser wären sie dem Unheil hoffnungslos ausgeliefert.
Zugegeben, die radikal neue Motion-Capture-Technik wird mit Hilfe einer oft erprobten Geschichte eingeführt. Allerdings sehe ich hierbei keine berechtigten rassistischen Vorwürfe. Der klischeehaft an den Rollstuhl gefesselte Marine nimmt den Zuschauer als Identifikationsfigur mit auf eine Reise, die ein außergewöhnliches Ende bietet. Dabei werden auch keine Klischees ausgespart bezüglich des einsetzenden Umdenkens eines ehemaligen Söldners, der dank eines Leihkörpers neue Freiheiten kennen und schätzen lernt.
Sehr sympathisch finde ich dabei insbesondere, dass in den Untertiteln der Na’vi-Dialoge der „Traumwandler“ (ein schlafender Mensch, zu einem parallelen Leben im Avatar-Körper aktiviert) als „Alien“ bezeichnet wird. Der eigentliche Unterschied – und das interessanteste Gedankenexperiment – ist jedoch, dass der Held am Ende des Films seinen menschlichen Körper aufgibt, um künftig dauerhaft als Na’vi weiter zu leben.
Um zum Anfang zurückzukommen, die Idee einen lebensechten Avatar aufsuchen zu können, erinnert mich stark an Matrix. Dabei spielen wir im Internet doch ebenso mit Avataren, nur mit dem kleinen Unterschied, dass diese niemals ihr wirkliches Leben gewinnen oder verlieren. Was aber, wenn die künstliche Person die echte ersetzt? Oder wenn wir erkennen, dass unser wirkliches Leben nur ein künstliches ist?
Zur Illustration der offizielle deutschsprachige Kinotrailer:
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