Vorlagen und Vorverurteilungen im Fall Hegemann. Die 17jährige, über Nacht zu deutschlandweitem Ruhm gelangte Jungautorin Helene Hegemann trägt viel zur Popularität ihres Erstlings „Axolotl Roadkill“ bei, indem sie – salopp gesagt – Öl ins Feuer der Kritiker gießt. In der Welt am Sonntag schreibt Laura Ewert, bereits im Januar habe Hegemann der Zeitung gesagt: „Man findet’s immer spannend, wenn man Teenager scheitern sieht.“
Die WamS-Autorin konstatiert eine „aggressive Stimmung“, gar „Hass“, wenn junge Menschen wie zuvor bereits Benjamin Lebert und Charlotte Roche erfolgreiche Bücher schreiben. Die Debatte um das Kopieren einzelner Abschnitte sei dagegen nur zweitrangig und diene lediglich als vorgeschobener Grund, „ihr den Literaturanspruch abzuerkennen“. Im Beitrag zum „Fall Hegemann“ wird Thomas Steinfeld aus der Süddeutschen Zeitung angeführt, der angeblich das ganze Buch zum Plagiat erklärt hat. Demgegnüber wird der Verlag zitiert: „Anhand des Buches werden mittlerweile Fragen verhandelt, die mit dem Text nichts mehr zu tun haben und ihn auch gar nicht in Betracht ziehen.“
Ein berechtigter Hinweis. So sollte ich selbst vielleicht auch den Mund halten, da ich das Buch noch nicht gelesen habe. Doch beschäftigt mich aktuell weniger das Buch (das ich wie gesagt nicht kenne) als vielmehr genau diese Medienhysterie. So hat es denn nichts damit zu tun, eine Jugendliche scheitern sehen zu wollen, wenn ihr fehlerhaftes Verhalten im Zitieren fremder Texte vorgeworfen wird. Die Lust am Scheitern anderer ist (unabhängig vom Alter) nichtsdestoweniger und leider Gottes durchaus auch ein weit verbreitetes Motiv medialer Berichterstattung. Allerdings trägt die Buchautorin Hegemann nichts dazu bei, den Vorwurf zu entkräften oder ein gewisses Einsehen zu signalisieren. Das scheint bereits weniger Überzeugung als Kalkül zu sein.
Mit dem hier dargestellten Zitat aus der Harald-Schmidt-Show treibt Helene Hegemann ein Spiel, das einerseits ihre Auffassung von Literatur bestätigt, andererseits jedoch geneigt ist, eine „Scheiß-egal-Grundhaltung“ zu repräsentieren. Wenn sie sich gegenüber Harald Schmidt an einzelne Passagen ihres eigenen Buches nicht erinnern kann und darauf antwortet: „Wahrscheinlich ist das nicht von mir. Deshalb kann ich mich daran erinnern.“, dann nimmt ihr das jede Glaubwürdigkeit. Dass sie im Umkehrschluss (wie ebendort betont) den Glauben an seriöse Berichterstattung verloren hat, lässt nur die Vermutung zu, dass sie sich mit der gesamten Debatte um Literaturtheorie nicht auseinandersetzen möchte und sich stattdessen schmollend zurückzieht.
Vielleicht irre ich mich auch gewaltig, aber diese Art des Auftretens hinterlässt bei mir einen starken Zweifel. Bei der Vorstellung des Hörbuchs in der Harald-Schmidt-Show erklärt Helene Hegemann, die Vorleserin Birgit Minichmayer sei auf ihren ausdrücklichen Wunsch ausgewählt worden. In der Besprechung des Hörbuchs in der Welt heißt es: „Das hat der Verlag Hörbuch so gewollt, weil er wahrscheinlich dachte, ihr Namer auf dem Cover würde Hegemanns Geschichte von der verkorksten, verkoksten Fängerin im Berlinmittegetreide auf der Hippness-Skala noch weiter nach oben schießen lassen.“
Die folgende Kritik an der Produktion mag angemessen sein: „Birgit Minichmayer liest, als hätte sie den Text just in dem Moment zum ersten Mal zu Gesicht bekommen. (…) Alle zwei Sätze hört man einen Schnitt, einen Neuansatz. Das Hörbuch ist ein einziger Schnipselsalat.“ Die eingangs dort aufgeworfenen Vorwürfe allerdings sind unangemessen: „Ob es sich beim literarischen Bleichlurch des Jahres um ein Plagiat handelt (durchaus). Ob es sich um einen Fall von Kindesmissbrauch oder elterlicher und verlegerischer Aufsichtspflichtverletzung handelt (wahrscheinlich)“.
Sie gipfeln schließlich in der Behauptung, dass „ein Mädchen, das derart hilflose Rechtfertigungsschriften verfasst wie Helene Hegemann, an einem elaborierten, mit allen Wassern der Rezeptions-, Literaturwissenschaft gewaschenen Text“ länger gesessen haben müsse als sie alt sei. Damit deutet der Welt-Autor mit dem Kürzel „DW“ an, ähnlich wie Jürgen Kaube in der FAZ (zitiert in der WamS), der Text stamme möglicherweise gar nicht von ihr, sondern vielleicht von ihrem Vater. Wenn sie nun ostentativ wiederholt, dass der Text wahrscheinlich gar nicht von ihr stamme, dann erscheint das letztlich doch wieder glaubwürdig.
Tags: Axolotl Roadkill, Helene Hegemann, Intertextualität, Medienhysterie, Plagiat, Urheberschaft