Ein Plädoyer für das Beibehalten der Koexistenz von Anzeigengeschäft und Journalismus. Der Hamburger Kommunikationswissenschaftler Thomas Birkner sieht eine Abkehr von dem seit 100 Jahren bewährten Modell als Holzweg. Damit kritisiert er in der FTD vom vergangenen Montag sowohl Axel Springer-Konzerngeschäftsführer Christoph Keese als auch FTD-Redakteur Joachim Dreykluft.
Christoph Keese setzte im Kommentarteil der FTD auf Paid Content-Lösungen, demgegenüber schlug Joachim Dreykluft ebendort den Vertrieb von mobilen Lesegeräten durch Verlage vor. Beiden ist laut Birkner gemeinsam, dass sie „die Anzeige als Financier des Journalismus“ für „unwiderruflich abgetreten“ halten. Zur Begründung seiner gegenteiligen These geht er in die Geschichte und beschreibt die Popularisierung von Zeitungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch das Anzeigenwesen. Durch Gratisauflagen etablierten die Verlage das Produkt „Zeitung“ am Markt und begannen erst danach, Bezugspreise zu erheben.
Mit diesen beinahe nur als Schutzgebühren zu verstehenden Kosten konnte jedoch allenfalls die materielle Produktion, nicht aber der dahinter stehende Journalismus finanziert werden. Birkners Worten zufolge ist „das Tolle an der Zeitung, dass sie von 1605 an ein Wirtschaftsprodukt war, welches dann in der Hochindustrialisierung von der Unternehmenswelt als Werbefläche entdeckt wurde.“ Darüber hinaus habe sich die Zeitung – anders als das Radio und das Fernsehen – als weitgehend unabhängig vom Staat erwiesen. Stattdessen ist die „Dialektik zwischen gesellschaftlichem Auftrag und kapitalwirtschaftlicher Unternehmung zu Recht Bestandteil aller medienkritischen Diskurse“, belegt vor allem durch den Nationalökonomen Karl Bücher, Begründer der Publizistik in Deutschland.
Interessanterweise wurde damit hierzulande dennoch „die finanzielle Grundlage für den unabhängigen Journalismus gelegt“. Diese Mischfinanzierung (etwa 65 Prozent Anzeigen- und 35 Prozent Vertriebserlöse) habe erst die Kontrollfunktion für den Staat ermöglicht, argumentiert Thomas Birkner weiter. Die neuerliche Erfolgsgeschichte des Journalismus in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg sei nun auf das Internet zu übertragen. Die Alternative von privaten Stiftungen zur Finanzierung von Qualitätsjournalismus wie in den USA hält er hier nur unter staatlicher Beteiligung für realisierbar – was aber der Kontrollfunktion des Journalismus widerspricht.
Als sehr negativ („ein verheerendes Signal“) bewertet der Autor die Trennung der WAZ-Gruppe vom dpa-Angebot aus dem Grund, dass die Informationen doch kostenlos im Netz verfügbar seien. Positiv hingegen sieht er die Absicht der Bundeskanzlerin Merkel, auf journalistische Onlineprodukte wie im Printbereich ebenfalls den ermäßigten Merhwertsteuersatz von 7 Prozent anzuwenden. Die Fallstricke des neuen Leistungsschutzrechts für journalistische Angebote im Netz hat Stephan Zimprich ebenfalls in der FTD beschrieben. Dadurch könnten journalistische Qualitätsangebote entsprechend hervorgehoben werden, „sodass Anzeigenkunden als auch Leser gern dafür bezahlen“, so die Hoffnung, bei aller berechtigter Kritik. Also doch Paid Content – allerdings nur in Verbindung mit dem erlösreicheren Anzeigenumfeld.
Sollten Verleger bei den Bezahlinhalten im Netz scheitern, schließt Birkner, würde das das Ende des professionellen Journalismus in seiner heutigen Ausprägung bedeuten. Auch wenn er sich skeptisch gegenüber dem von „Apologeten des Web 2.0 herbeigesehnten Bürgerjournalismus“ zeigt, kann so ein Umbruch doch auch reinigende Kräfte entwickeln. Mehr noch als auf die normative Kraft des Faktischen sollten wir dabei auf die begeisternde Kraft des Phantasievollen und die bindende Kraft der Vertrauenswürdigkeit setzen.
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