Die Frage, ob Vergesslichkeit krankhaft ist, hat der Neurologe und Wissenschaftsautor Magnus Heier in der Kolumne „Aus der Praxis“ im Magazin des Kölner Stadt-Anzeigers behandelt. Das gute Gedächtnis wird demnach gefördert durch die zeitnahe Wiederholung. Ansonsten gilt der schöne Spruch „Use it or lose it“, der wohl auch bei der Evolution Pate gestanden hat. Was wir über lange Zeit nicht benötigen, vergessen wir in der Regel zuverlässig. Dennoch gibt es auch Stimmungen, die das Erinnern begünstigen: So merke ich mir zum Beispiel den Namen eines interessanten, beeindruckenden Menschen eher als den eines Gerichtvollziehers, wie der Autor schreibt.
Ganz wichtig: Wir sollten uns nicht verrückt machen! Namen nicht zu erinnern kann einerseits daran liegen, dass das Gedächtnis schlecht oder ungeübt ist, andererseits kann es auch die Resignation vor der eigenen Unzulänglichkeit sein. À la: „Ich vergesse ja sowieso immer Namen, also mache ich mir gar nicht erst die Mühe sie mir zu merken.“ Das ist nicht krankhaft, das ist einfach nur bequem.
Daneben tendiert das Gedächtnis auch dazu, Dinge sich anders auszumalen als sie tatsächlich stattgefunden haben. Magnus Heier zieht hier das Beispiel von Hillary Clinton heran, die von einem Besuch 1996 in Bosnien erzählte, wo sie unter Beschuss von Heckenschützen gestanden habe. Tatsächlich aber war die Ankunft ganz friedlich. Einer solchen Art von Fehlerinnerungen sitzen wir offenbar sehr häufig auf. Das ist vielleicht ganz gut sich ins Gedächtnis zu rufen, wenn wir darauf beharren, dass etwas so und so und nicht anders gewesen sei. Gesetzt den Fall, es fällt uns dann gerade ein…
Das ist schon ganz schön vertrackt mit dem Erinnerungsvermögen! Alten Menschen wird nachgesagt, sich wieder besser an ihre Jugendzeit erinnern zukönnen – oder ist das, was sie sich vorstellen, nur ein Zerrbild dessen, wie es doch gewesen sein müsste? Spannend finde ich jedoch den Aspekt, dass die richtige Stimmung mit entscheidend sein soll für die Fähigkeit sich an etwas zu erinnern. Das ist vermutlich mit einer der Gründe der Faszination des Weihnachtsfestes, weil durch Gerüche, Schmuck und Musik Erinnerungen geweckt werden. Das ist aber auch der Grund, warum Musikstücke in erinnerugn bleiben – weil wir mit ihnen eine gute Stimung (meist im wahrsten Sinne des Wortes) verbinden.
Die Botschaft des Neurologen bleibt: Resignieren sollten wir auch im Alter nicht. Übung macht auch hier den Meister. Meist sagt das, was wie vergessen, vielmehr etwas darüber aus, was uns selber offenbar nicht so wichtig zu erinnern ist. Das erinnert an selektive Wahrnehmung und könnte vielleicht passender „selektive Erinnerung“ heißen.
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