Vielsagendes vor den Viertelfinalen

Was ich noch sagen wollte, bevor die Viertelfinale der FIFA Fußball-WM 2010 in Südafrika losgehen, hat mir der Bioethik-Professor Peter Singer von der Princeton-Universität im Welt-Kommentar das Wort aus dem Munde genommen:

Die Welt, 30.06.10, Titel: Manuel Neuer hat gemogelt

Der selbe Artikel ist online auch erschienen unter der Überschrift: „Manuel Neuers Betrug ist kein Kavaliersdelikt“. Dabei geht es mir nicht nur um die Vorbild-Funktion Kindern und Jugendlichen gegenüber. Mir geht es eher um das Selbstverständnis sich selbst gegenüber. Natürlich wäre es unüblich zuzugeben, dass der Ball im Tor war, was der deutsche Keeper noch im Flug beim Blick hinter sich deutlich gesehen hat. Doch Peter Singer führt das Beispiel des ehemaligen Liverpool-Stürmers Robbie Fowler an, der bei einem Elfmeterpfiff zugab, nicht gefoult worden zu sein. Als der Schiri doch auf einen Elfer bestand, schoss der faire Mann ihn extra so, dass der Torwart ihn parieren konnte.

Das Problem setzt nicht erst beim Videobeweis an, obwohl der meiner Meinung nach gemäß heutiger Technik selbstverständlich zu nutzen wäre. In einem zweiten Welt-Kommentar desselben Tages vergleicht Sven Flohr das jetzige Umschwenken des FIFA-Chefs Sepp Blatter in dieser Frage mit „den letzten Tagen der DDR“. Die Arguemntation, dass Amateure ihn auch nicht einsetzen könnten und seine Einführung daher ungerecht sei, ist haarsträubend. Alle im Stadion wissen dank Leinwand, Monitoren und Zeitlupe umgehend, ob ein Pfiff berechtigt war. Zudem ist der Profifußball mittlerweile so schnell (und so viel schneller als der Amateursport), dass der Schiedsrichter ohne die technische Hilfe nicht mehr wirklich Herr der Lage sein kann.

Die Welt 30.06.10: Her mit dem Videobeweis!

Aber kann der Spieler noch Herr seiner Sinne sein? Ja, er muss es sogar! Das Verhalten beim Fußball, hier den Arm zu Hilfe zu nehmen, da Nutznießer einer falschen Entscheidung zu sein und dort zu foulen, solange es nur der Schiedsrichterstab nicht sieht, ist so falsch und so wenig vorbildlich wie es nur geht. Ich weiß, wovon ich spreche, denn ich engagiere mich seit Jahren ehrenamtlich für die Verbreitung des einzigen Teamsports ohne Schiedsrichter, Ultimate Frisbee. Die Regeln zu kennen und auf Basis dieser Kenntnis auch unter Adrenalin entsprechend zu urteilen, ist eine große Herausforderung.

Ich habe die Gesichter der staunenden Referenten des (damals noch) Deutschen Sportbundes gesehen, als sie bei den World Games 2005 in Duisburg feststellten: Leistung-Teamsport ohne Schiedsrichter, das geht! Aller Erfahrung nach – dies bestätigt auch eine Arbeit der angehenden Abiturientin Sarah Franchini aus Mengen, über die ich berichtete – steigt die Wertschätzung dieses Selbstregulierens mit zunehmendem Alter. Als Leistungssportler  – zumal als Fußball-Nationalspieler mit Medientraining und festgelegtem Verhaltenskodex – solltest Du Dich aber keinesfalls auch noch rühmen, Dich so verhalten zu haben, als sei nichts gewesen. Genau das ist der Betrug.

Der Betrug im Angesicht eines Millionenpublikums ist Peter Singer zufolge „in gewiser Weise sogar schlimmer als ein privater Betrug“. Jeder weiß, dass Du falsch gehandelt hast. Der Autor schreibt von einer „Kultur der exzessiven Parteinahme“, die ethische Werte verdrängt habe. Doch ich bin mri sicher, wer die Größe zeigt und ehrlich ein Fehlurteil (auch gegen sich) zugibt, dem ist die Parteinahme der meisten Zuschauer sicher. Auch wenn bestimmt einige sagen würden: „Wie doof!“, ist es genau das Verhalten, das Respekt abverlangt. Das gibt es nicht nur im Ultimate, dass Gegenspielern zu einer gelungen Aktion applauudiert wird. Das gibt es auch im Tennis und anderswo. Im Frisbeesport nennen wir das „Spirit of the Game“, Du kannst auch einfach „Sportsgeist“ dazu sagen. Wer sich davon überzeugen möchte, kann das aktuell in Prag tun, wo an diesem Wochenende die Club-Weltmeisterschaften im Ultimate beginnen.

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