Mit ‘Selbstverständnis’ getaggte Artikel

Dichterisches Selbstverständnis

Sonntag, 16. Januar 2011

Jeden zweiten Donnerstag gibt die libanesische Lyrikerin und Journalistin Joumana Haddad in der Welt unter dem Rubrikentitel „Auf eine Zigarre“ einen Kommentar zu  aktuellen Themen ab. Die jüngste Veröffentlichung hat mir besonders gut gefallen.

Die Welt, 13.01.2011, Kommenta von Joumana Haddad: Ich dichte, also bin ich

Schon der Titel in Anlehnung an der berühmten Grundsatz des französischen Philosophen René Descartes, stellt vieles klar: Das Dichten als eine Komprimierung von Sinnzusammenhängen, als eine punktuelle ästhetische Formel im Zusammenhang mit bestimmten Themen, Erkenntnissen oder Stimmungen sorgt für eine stärkere Identität der dichtenden Person. Die Descartes’sche Formel besagt, ein Gedankengang setzt das Gehirn voraus, sodass ich an meiner Existenz nicht zu zweifeln brauche.

Das Dichten ist aber mehr als nur ein Vernunft- oder Verstandesakt, es ist eine kreative Bemächtigung, eine Wegmarke, an der andere zwar unachtsam vorbeigehen können, die aber an dieser Stelle des Weges gesetzt wurde und einen eigenen Schaffensakt darstellt. Das Sein wird somit nicht nur als ein „Dasein“ im Sinne eines passiven Dahinvegetierens aufgefasst, sondern als ein aktives, ein schöpferisches und interpretatorisches Ich, das inmitten von komplexen Sachverhalten eine Haltung entwickelt und einnimmt.

Dabei kann die Dichterin oder der Dichter nicht davion abhängen, von vielen gelesen oder whargenommen zu werden. Das ist, was Joumana Haddad an ihrem eigenen Kulturkreis bemängelt: als arabische Dichterin lebt sie nach eigenen Angaben „in einer Weltgegend, in der weniger als 0,1 Prozent der Gesamtbevölkerung von 270 Millionen Menschen überhaupt lesen“, davon lesen nur 40 Prozent Bücher. Von diesen verbliebenen Lesern interessieren sich maximal 9 Prozent für Gedichte. Sie hat es ausgerechnet, das wären gerade einmal 9.720 Menschen. Dabei rühme sich die arabische Welt, mehr als 20.000 Dichter zu ihren Einwohnern zu zählen.

Dies bezeichnet sie zurecht als Ironie. Insofern wäre es auch mehr als vermessen, Gedichte zu schreiben mit dem Hintergedanken, dadurch berühmt werden zu wollen. Was an ihrem dichterischen Selbstverständnis, Gedichte zu schreiben, um zu „sein“, jedoch nichts ändert. Wie heißt es doch oft auch so schön bei Kartenspielen: „Wer schreibt, der bleibt“.

Vielsagendes vor den Viertelfinalen

Donnerstag, 01. Juli 2010

Was ich noch sagen wollte, bevor die Viertelfinale der FIFA Fußball-WM 2010 in Südafrika losgehen, hat mir der Bioethik-Professor Peter Singer von der Princeton-Universität im Welt-Kommentar das Wort aus dem Munde genommen:

Die Welt, 30.06.10, Titel: Manuel Neuer hat gemogelt

Der selbe Artikel ist online auch erschienen unter der Überschrift: „Manuel Neuers Betrug ist kein Kavaliersdelikt“. Dabei geht es mir nicht nur um die Vorbild-Funktion Kindern und Jugendlichen gegenüber. Mir geht es eher um das Selbstverständnis sich selbst gegenüber. Natürlich wäre es unüblich zuzugeben, dass der Ball im Tor war, was der deutsche Keeper noch im Flug beim Blick hinter sich deutlich gesehen hat. Doch Peter Singer führt das Beispiel des ehemaligen Liverpool-Stürmers Robbie Fowler an, der bei einem Elfmeterpfiff zugab, nicht gefoult worden zu sein. Als der Schiri doch auf einen Elfer bestand, schoss der faire Mann ihn extra so, dass der Torwart ihn parieren konnte.

Das Problem setzt nicht erst beim Videobeweis an, obwohl der meiner Meinung nach gemäß heutiger Technik selbstverständlich zu nutzen wäre. In einem zweiten Welt-Kommentar desselben Tages vergleicht Sven Flohr das jetzige Umschwenken des FIFA-Chefs Sepp Blatter in dieser Frage mit „den letzten Tagen der DDR“. Die Arguemntation, dass Amateure ihn auch nicht einsetzen könnten und seine Einführung daher ungerecht sei, ist haarsträubend. Alle im Stadion wissen dank Leinwand, Monitoren und Zeitlupe umgehend, ob ein Pfiff berechtigt war. Zudem ist der Profifußball mittlerweile so schnell (und so viel schneller als der Amateursport), dass der Schiedsrichter ohne die technische Hilfe nicht mehr wirklich Herr der Lage sein kann.

Die Welt 30.06.10: Her mit dem Videobeweis!

Aber kann der Spieler noch Herr seiner Sinne sein? Ja, er muss es sogar! Das Verhalten beim Fußball, hier den Arm zu Hilfe zu nehmen, da Nutznießer einer falschen Entscheidung zu sein und dort zu foulen, solange es nur der Schiedsrichterstab nicht sieht, ist so falsch und so wenig vorbildlich wie es nur geht. Ich weiß, wovon ich spreche, denn ich engagiere mich seit Jahren ehrenamtlich für die Verbreitung des einzigen Teamsports ohne Schiedsrichter, Ultimate Frisbee. Die Regeln zu kennen und auf Basis dieser Kenntnis auch unter Adrenalin entsprechend zu urteilen, ist eine große Herausforderung.

Ich habe die Gesichter der staunenden Referenten des (damals noch) Deutschen Sportbundes gesehen, als sie bei den World Games 2005 in Duisburg feststellten: Leistung-Teamsport ohne Schiedsrichter, das geht! Aller Erfahrung nach – dies bestätigt auch eine Arbeit der angehenden Abiturientin Sarah Franchini aus Mengen, über die ich berichtete – steigt die Wertschätzung dieses Selbstregulierens mit zunehmendem Alter. Als Leistungssportler  – zumal als Fußball-Nationalspieler mit Medientraining und festgelegtem Verhaltenskodex – solltest Du Dich aber keinesfalls auch noch rühmen, Dich so verhalten zu haben, als sei nichts gewesen. Genau das ist der Betrug.

Der Betrug im Angesicht eines Millionenpublikums ist Peter Singer zufolge „in gewiser Weise sogar schlimmer als ein privater Betrug“. Jeder weiß, dass Du falsch gehandelt hast. Der Autor schreibt von einer „Kultur der exzessiven Parteinahme“, die ethische Werte verdrängt habe. Doch ich bin mri sicher, wer die Größe zeigt und ehrlich ein Fehlurteil (auch gegen sich) zugibt, dem ist die Parteinahme der meisten Zuschauer sicher. Auch wenn bestimmt einige sagen würden: „Wie doof!“, ist es genau das Verhalten, das Respekt abverlangt. Das gibt es nicht nur im Ultimate, dass Gegenspielern zu einer gelungen Aktion applauudiert wird. Das gibt es auch im Tennis und anderswo. Im Frisbeesport nennen wir das „Spirit of the Game“, Du kannst auch einfach „Sportsgeist“ dazu sagen. Wer sich davon überzeugen möchte, kann das aktuell in Prag tun, wo an diesem Wochenende die Club-Weltmeisterschaften im Ultimate beginnen.