Wochenend-Presseschau 05-10

Digitale Datenfluten und das latente Unwohlsein in der virtuellen Welt sind Themen in der FAZ vom vergangenen Samstag und in der Welt am Sonntag. Im Leitartikel der Samstags-FAZ beschwört Carsten Knop anlässlich der Vorstellung von Apples iPad den technologischen Fortschritt.

FAZ, 06.02.10, Titel: Die digitale Evolution geht weiter

Beinahe schon selbstverständlich, dass er betont: „Kein Gerät (…) ist in der Lage, (…) eine kraftvolle Entwicklung (…) schon heute zu ihrem krönenden Abschluss zu bringen.“ Zudem führt er ins Feld, „dass wohl keine Branche unter einem derartigen Innovationsdruck wie die Informationstechnologie steht.“ So kommt er zu dem wenig überraschenden Schluss, dass die IT „so unübersichtlich und wechselhaft wie das Leben“ ist. Bleibt nur hinzuzufügen: und genauso gefährlich und stets endend mit dem Tod.

WamS, 07.02.10, Titel: Kann Twitter Journalisten ersetzen?

Die nächste interessante Fragestellung betrifft ein Experiment fünf französischsprachiger Journalisten, die sich auf einem Bauernhof zusammengesetzt haben, um einen Tag lang unter Verzicht aller traditionellen Medien nur auf Twitter und Facebook zurückzugreifen. Auf die am Sonntag in der WamS-Rubrik Menschen und Medien von Tim Ackermann gestellte, oben abgebildete Frage hatte die FAZ schon tags zuvor eine mögliche Antwort geliefert: „Da geht schnell mal die Welt unter“. Dabei meint Jürg Altwegg die altehrwürdige Welt, nicht die gleichnamige deutsche Tageszeitung.

Inhaltlich schließlich jedoch keine Überraschung: „Die sozialen Netzwerke sind im „global village“ das Gespräch über den Gartenzaun hinweg. Aber auch der spießige Blick aus dem Fenster.“ Die westschweizer Teilnehmerin Anna-Paule Martin wird zitiert: „Das Austauschen von Meinungen und lustigen Videos kann Spaß machen, aber mit irgendeiner Nachrichten-Relevanz hat das nichts zu tun.“ Demgemäß führt Jürg Altwegg auch den Pariser Mediensoziologen Dominique Wolton an, der Twitter und Facebook für „keine Konkurrenz, schon gar keinen Ersatz“ für traditionelle Medien hält. Mit ihrer Verbreitung werde „die Notwendigkeit des Qualitätsjournalismus (…) nur noch augenfälliger.“

WamS, 07.02.10, Titel: Mein Hirn gehört mir

Ebenfalls in beiden genannten Zeitungen sehr interessante Essays über die Auswirkungen des Internets auf das menschliche Denken. Jakob Augstein, der Verleger der Wochenzeitung „Freitag“ fragt im WamS-Feuilleton, warum es schwer fällt zu begreifen, dass der Computer unser Denken übernimmt (vielleicht genau deshalb?). Mit dem Bild uns verfolgender Software-Agenten stimmt er ein in das Klagelied Frank Schirrmachers, dass wir den Computern unser Denken, unsere Freiheit und unsere Zukunft opferten.

Allerdings verleiht er seinem Plädoyer Schirrmacher Gehör zu gewähren Nachdruck, indem er seine Forderung einer „dritten Kultur“ des öffentlichen Diskurses zur digitalen Revolution unterstützt. Mit Schirrmacher: „Die Informatiker müssen die Scripts erklären, nach denen wir handeln und bewertet werden (…) Wir brauchen Dolmetscher aus der technolgischen Intelligenz“. Ansonsten, so Jakob Augstein, bestehe die Gefahr, dass sich das Individuum „mit seiner Identität und seiner Zukunft im Digitalen aufzulösen droht“.

Noch mehr auf das Individuum bezogen behandelt Stephen Baker (aus dem Englischen von Michael Adrian) im Feuilleton der Samstags-FAZ die Bereicherung und Bedrohung des Internets für das menschliche Gehirn. „Während unsere Gehirne seit 40.000 Jahren mehr oder weniger gleich geblieben (…) sind, entwickelt sich unser externes Gehirn sprunghaft.“ Die vernetzte Welt als Gehirn, behauptet Stephen Baker, werde durch eine schier unfassbare Ansammlung von Daten immer klüger; daher müsse jeder für seinen eigenen Kopf eine Strategie entwickeln, was ich wissen möchte, was ich wissen sollte.

Er bemüht die Ökonomie der Aufmerksamkeit, wonach soziale Netzwerke ohne Nutzer zusammenbrechen. Ausgeliefert einem „Basar der Ablenkungen“ würden wir im schlimmsten Fall konfus, vielleicht auch dümmer, während die vernetzte Welt immer intelligenter würde. Insofern lokalisiert er die Frage, was wir in unsere Köpfe lassen und was wir darin behalten, als „die Frage unserer Generation“, ohne Antworten darauf anbieten zu können.

Für das tägliche Leben empfehle ich, einen Plan B bereit zu halten. Falls also die Internetverbindung einmal streikt, auch eine Enzyklopädie befragen zu können, oder falls sich eine Antwort auf eine Frage nicht durch Internetrecherchen ergibt, jemanden anzurufen, der sich damit auskennt. Reelle Gespräche, bei denen man sich gegenüber sitzt, haben oft weitaus erhellenderen Charakter als das Graben im virtuellen Trümmerhaufen der Schwarmintelligenz.

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