Mit ‘digitale Revolution’ getaggte Artikel

Die Sorgen der Zeitungsverleger

Mittwoch, 22. September 2010

Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e.V. (BDZV) hat in Essen seinen diesjährigen Zeitungskongress unter dem Motto „Die digitale Revolution und die Zeitung“ durchgeführt. Mehr als 500 teils hochkarätige Gäste waren zu der Veranstaltung geladen, neben BDZV-Präsident Helmut Heinen alleine beim Podiumsgespräch „Der Preis des Internets“, moderiert von Frank Plasberg, der ARD-Vorsitzende Peter Boudgoust, die Online-Journalistin Mercedes Bunz, der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG Matthias Döpfner, der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Frank Schirrmacher und der  Parlamentarische Staatssekretär im Bundesjustizministerium Max Stadler.

Kölner Stadt-Anzeiger, 21.09.10, Titel: Qualität kostet Geld

Im Kölner Stadt-Anzeiger wurde der erste Tag unter obiger Überschrift zusammengefasst (online leider nicht verfügbar). „Nicht viel Neues“, war ich aufgrund der Schlagzeile geneigt zu glauben. Diesem Credo folgend plädierte zunächst BDZV-Präsident Heinen an die regionale Stärke der Tageszeitungen, wiewohl aus deren ausgebauten Internetpräsenzen noch immer keine Erlöse zu erwarten seien. „Zeitungen sind der Kitt unserer Gesellschaft„, sagte Helmut Heinen, um daraus abzuleiten, dass sie eigentlich mehrwertsteuerfrei erscheinen müssten. Zum Verlauf der weiteren Diskussion über die geplanten ARD-Apps zwischen Mathias Döpfner („gebührenfinanzierte digitale Gratiszeitungen“) und Peter Boudgoust („gesellschaftlicher Auftrag der Meinungsbildung auf allen elektronischen Wegen“) siehe z.B. Horizont.net. Noch spannender jedoch fand ich die im Kölner Stadt-Anzeiger zitierten Bemerkungen des Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) zu elektronischen Medien, die „die Rahmenbedingungen für die Printmedien“ dominierten. Er konstatierte einen…

Kölner Stadt-Anzeiger, 21.09.10, Ausschnitt aus "Qualität-kostet-Geld"

Das sind eher Tendenzen des Boulevards, die durch die Echtzeit-Möglichkeiten des Internets vielleicht noch unterstützt werden. Doch dominieren in meinen Augen elektronische Meiden Printmeiden keineswegs, gerade wenn es um Qualität geht! Dennoch würden Tageszeitungen, so Norbert Lammert weiter („systemrelevant für die Demokratie“ als Stichwort für Helmut Heinen), ein „komplexes und analytisches Informationsangebot“ bieten, gegenüber den Inhalten im Internet, die eher spezielle Interessen der Nutzer bedienten.

Die Leistungsmerkmale der Zeitungsbranche können sich fraglos dennoch sehen lassen (vgl. den letzten Absatz im obigen Link zum BDZV vom 20.09., „Kitt unserer Gesellschaft“): 20 Millionen täglich abgesetzte Zeitungen in Deutschland werden von rund 49 Millionen Menschen gelesen, das entpricht einer Reichweite von knapp 70 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung über 14 Jahren, mit Spitzenwerten bei Gutverdienenden (72,8 Prozent) und Gutausgebildeten (75,8 Prozent). Mehr als die Hälfte aller Internetnutzer greift regelmäßig auf Online-Zeitungsangebote zu.  Da sehe ich keine allgemeine Krise, sondern eher Anpassungsschwierigkeiten im Einzelnen, rund um das altbekannte Problem des Bezahlinhalts („Paid Content“).

Kölner Stadt-Anzeiger, 22.09.10, Titel: Verleger wollen junge Leser gewinnen

Dass der BDZV nun eine neue Gesellschaft gründet namens „Jule – Initiative junge Leser“, ist zwar verständlich, klingt aber wenig erfolgversprechend. Immerhin greifen immer noch  die Hälfte aller Jugendlichen und jungen Leute, für die das Internet eine sehr große Bedeutung hat, zur gedruckten Information. Aus der Erkenntnis heraus, dass „Kinder und Jugendliche heute nicht mehr automatisch zu Zeitungslesern“ werden (so BDZV-Vizepräsident Hans-Georg Schnücker im Kölner Stadt-Anzeiger, online leider nicht verfügbar), sollen nun „effiziente Maßnahmen zur Gewinnung neuer junger Leser“ identiziert werden.

Aber wurden Kinder und Jugendliche früher allesamt „automatisch zu Zeitungslesern“? Das wage ich zu bezweifeln. Das hat nicht nur etwas mit dem wachsenden Internetzugang, sondern vielmehr mit dem gelebten Vorbild im Elternhaus zu tun. Die Zeitungen (grob verallgemeinert) müssen in ihrer Aufmachung belebter und ihren Texten frischer sein und das Internet endlich als Bereicherung ihrer eigenen Möglichkeiten erkennen und behandeln.

Wochenend-Presseschau 05-10

Montag, 08. Februar 2010

Digitale Datenfluten und das latente Unwohlsein in der virtuellen Welt sind Themen in der FAZ vom vergangenen Samstag und in der Welt am Sonntag. Im Leitartikel der Samstags-FAZ beschwört Carsten Knop anlässlich der Vorstellung von Apples iPad den technologischen Fortschritt.

FAZ, 06.02.10, Titel: Die digitale Evolution geht weiter

Beinahe schon selbstverständlich, dass er betont: „Kein Gerät (…) ist in der Lage, (…) eine kraftvolle Entwicklung (…) schon heute zu ihrem krönenden Abschluss zu bringen.“ Zudem führt er ins Feld, „dass wohl keine Branche unter einem derartigen Innovationsdruck wie die Informationstechnologie steht.“ So kommt er zu dem wenig überraschenden Schluss, dass die IT „so unübersichtlich und wechselhaft wie das Leben“ ist. Bleibt nur hinzuzufügen: und genauso gefährlich und stets endend mit dem Tod.

WamS, 07.02.10, Titel: Kann Twitter Journalisten ersetzen?

Die nächste interessante Fragestellung betrifft ein Experiment fünf französischsprachiger Journalisten, die sich auf einem Bauernhof zusammengesetzt haben, um einen Tag lang unter Verzicht aller traditionellen Medien nur auf Twitter und Facebook zurückzugreifen. Auf die am Sonntag in der WamS-Rubrik Menschen und Medien von Tim Ackermann gestellte, oben abgebildete Frage hatte die FAZ schon tags zuvor eine mögliche Antwort geliefert: „Da geht schnell mal die Welt unter“. Dabei meint Jürg Altwegg die altehrwürdige Welt, nicht die gleichnamige deutsche Tageszeitung.

Inhaltlich schließlich jedoch keine Überraschung: „Die sozialen Netzwerke sind im „global village“ das Gespräch über den Gartenzaun hinweg. Aber auch der spießige Blick aus dem Fenster.“ Die westschweizer Teilnehmerin Anna-Paule Martin wird zitiert: „Das Austauschen von Meinungen und lustigen Videos kann Spaß machen, aber mit irgendeiner Nachrichten-Relevanz hat das nichts zu tun.“ Demgemäß führt Jürg Altwegg auch den Pariser Mediensoziologen Dominique Wolton an, der Twitter und Facebook für „keine Konkurrenz, schon gar keinen Ersatz“ für traditionelle Medien hält. Mit ihrer Verbreitung werde „die Notwendigkeit des Qualitätsjournalismus (…) nur noch augenfälliger.“

WamS, 07.02.10, Titel: Mein Hirn gehört mir

Ebenfalls in beiden genannten Zeitungen sehr interessante Essays über die Auswirkungen des Internets auf das menschliche Denken. Jakob Augstein, der Verleger der Wochenzeitung „Freitag“ fragt im WamS-Feuilleton, warum es schwer fällt zu begreifen, dass der Computer unser Denken übernimmt (vielleicht genau deshalb?). Mit dem Bild uns verfolgender Software-Agenten stimmt er ein in das Klagelied Frank Schirrmachers, dass wir den Computern unser Denken, unsere Freiheit und unsere Zukunft opferten.

Allerdings verleiht er seinem Plädoyer Schirrmacher Gehör zu gewähren Nachdruck, indem er seine Forderung einer „dritten Kultur“ des öffentlichen Diskurses zur digitalen Revolution unterstützt. Mit Schirrmacher: „Die Informatiker müssen die Scripts erklären, nach denen wir handeln und bewertet werden (…) Wir brauchen Dolmetscher aus der technolgischen Intelligenz“. Ansonsten, so Jakob Augstein, bestehe die Gefahr, dass sich das Individuum „mit seiner Identität und seiner Zukunft im Digitalen aufzulösen droht“.

Noch mehr auf das Individuum bezogen behandelt Stephen Baker (aus dem Englischen von Michael Adrian) im Feuilleton der Samstags-FAZ die Bereicherung und Bedrohung des Internets für das menschliche Gehirn. „Während unsere Gehirne seit 40.000 Jahren mehr oder weniger gleich geblieben (…) sind, entwickelt sich unser externes Gehirn sprunghaft.“ Die vernetzte Welt als Gehirn, behauptet Stephen Baker, werde durch eine schier unfassbare Ansammlung von Daten immer klüger; daher müsse jeder für seinen eigenen Kopf eine Strategie entwickeln, was ich wissen möchte, was ich wissen sollte.

Er bemüht die Ökonomie der Aufmerksamkeit, wonach soziale Netzwerke ohne Nutzer zusammenbrechen. Ausgeliefert einem „Basar der Ablenkungen“ würden wir im schlimmsten Fall konfus, vielleicht auch dümmer, während die vernetzte Welt immer intelligenter würde. Insofern lokalisiert er die Frage, was wir in unsere Köpfe lassen und was wir darin behalten, als „die Frage unserer Generation“, ohne Antworten darauf anbieten zu können.

Für das tägliche Leben empfehle ich, einen Plan B bereit zu halten. Falls also die Internetverbindung einmal streikt, auch eine Enzyklopädie befragen zu können, oder falls sich eine Antwort auf eine Frage nicht durch Internetrecherchen ergibt, jemanden anzurufen, der sich damit auskennt. Reelle Gespräche, bei denen man sich gegenüber sitzt, haben oft weitaus erhellenderen Charakter als das Graben im virtuellen Trümmerhaufen der Schwarmintelligenz.

Wochenend-Presseschau 01-10

Montag, 04. Januar 2010

„Da bin ich wieder“ – „Der Prothesenmensch“. Wie viele andere Zeitungen bringen FAZ und NZZ in ihrem Feuilleton einen Rückblick auf das abgelaufene Jahr, beziehungsweise auf die vergangenen zehn Jahre. Auch wenn Thomas Schmid im Editorial der Welt am Sonntag behauptet, dass die Dekade noch nicht vorbei sei (ich habe nicht verstanden, warum das Jahrzehnt erst am 01.01.2001 begonnen haben soll), können wir auf die „Nullerjahre“ zurück blicken.

NZZ, 02.01.10, Titel: Der Prothesenmensch

Roman Bucheli betrachtet im Feuilleton der NZZ die vergangenen zehn Jahre als eine Epoche der digitalen Revolution. Einer möglichen Schreckensbilanz angesichts neuer Terrordimensionen stellt er den „digital turn“ gegenüber. Die Veränderung der Lebenswirklichkeit ist allgegenwärtig: Wir machen uns abhängig von immer kleineren und leistungsfähigeren Geräten. Dabei stellte erst das Jahr 2000-Problem eine Bedrohung dar, dann platzte die Dotcom-Blase, doch tatsächlich hat sich in nur zehn Jahren sehr viel getan: „Wir hatten Ende der neunziger Jahre gerade das Wort >>surfen<< in den Grundwortschatz übernommen; heute googeln, twittern, downloaden, skypen oder bloggen wir auf Teufel komm raus.“ Die dazu verwendeten Techniken und Geräte betrachtet er offenbar als geistige Prothesen.

Zur Schlussfolgerung ist es dann nicht weit: Mit allen Interaktionen im World wide web mache sich der „Prothesenmensch“ als User zum gläsernen Menschen, „als Preis für den fast grenzenlosen Zugang zum Weltwissen“. Als Hoffnung zeigt sich dem Autor dabei der Verdacht, ebenso wie der einzelne Benutzer von der Informationsfülle oft überfordert scheint, könne das Netz selber dabei überfordert sein, die Einblicke in die Nutzerprofile in klingende Münze umzuwandeln. Immerhin, führt er an, waren nicht einmal die amerikanischen Geheimdienste dazu in der Lage, zwei Datenbanken abzugleichen, um einem Verdächtigen aus Nigeria die Einreise in die USA zu verweigern.

Allerdings verteidigt Roman Bucheli Kulturkritiker, auch wenn sie weithin als „Spielverderber“ oder „wirkungslose Bremser“ gälten: „Doch ihre Einwürfe sind Widerhaken kritischen Denkens“. Gemeinsam mit Umberto Eco (vor einigen Wochen in „le Monde“) betrachtet er es als offene Frage, ob durch das Internet das Verständnis zwischen den Kulturen oder der Identitätsverlust befördert würde. Zuletzt bezeichnet er es dann aber doch als „Treten an Ort“, schweizerisch für „auf der Stelle Treten“.

FAZ, 02.01.10, Titel: Da bin ich wieder

Sehr schön gefällt mir die Idee und Ausführung der FAZ, auf einer Feuilletonseite drei Geschichten von Comebacks nebeneinander zu stellen. Verena Lueken berichtet über die Wiederkehr von Mickey Rourke auf die Kinoleinwände, Rainer Hank über einen namenlosen Investmentbanker, der als „Master of the Universe“ tituliert wurde, seinen Ruf ruiniert hat, aber wieder blendende Geschäfte macht, Christian Eichler schließlich über Jupp Heinkes, nach zwei Jahren ohne Trainerjob erst zum Feuerwehrmann beim FC Bayern München und daraufhin zum Erfolgsbringer für Bayer 04 Leverkusen geworden. Das Thema des Zurückkommens wird in drei voneinander unabhängigen Beispielen durchgespielt und zeigt damit die Vielschichtigkeit eines solchen Phänomens auf, ohne Anspruch auf Vollständigkeit, doch mit viel Stoff zum Nachdenken. Sehr sympathisch!