Wenn negative Verhaltensweisen erwartet werden, kommt es oft zum typischen Wortwechsel: „Du bist ein Pessimist!“ – „Nein, ich bin nur Realist!“ Der Realist meint zu wissen, wie die Menschen „wirklich“ sind, wie es in einem Song der „Ersten Allgemeinen Verunsicherung“ heißt: „Das Böse ist immer und überall.“ Optimisten werden hingegen zu Naivlingen abgestempelt. Eine Untersuchung des Max-Planck-Institutes für Gemeinschaftsgüter in Bonn lässt sich nun wiederum in beide Richtungen hin interpretieren.
Ismene Poulakos berichtet in der Rubrik „Auf der Couch“ im Magazin des Kölner Stadt-Anzeigers darüber (noch nicht online). Der Versuchsaufbau war die moralische Zwickmühle, wonach Geld entweder behalten oder in ein Gemeinschaftsprojekt gesteckt werden konnte. Dieses Projekt würde eine Rendite von 60 Prozent erbringen, wenn alle vier Teilnehmer gleichermaßen diese Investition für sich entscheiden. Sollte sich einer jedoch dagegen enstcheiden, dann würde er gewissermaßen als „Trittbrettfahrer“ sogar die doppelte Rendite erhalten. Im Bericht wird Michael Kurschilgen als einer der Autoren der Studie zitiert, „die meisten Menschen sind nicht aus Überzeugung Egoisten, sondern aus Angst davor, am Ende der Dumme zu sein.“
Es ist also die Erwartungshaltung, die bestimmt, wie die Menschen sich verhalten. Wer bei seinen Menschen von Egoismus ausgeht und selber so handelt, trifft im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeihung auch häufiger auf Egoismus. Demgegenüber ist nach Ansicht des Forschers die positive Erwartungshaltung von Menschen sehr zerbrechlich. In dem in Bonn durchgeführten Experiment hatten doch tatsächlich 82 Prozent der Teilnehmer das Gemeinschaftsprojekt unterstützt, damit alle denselben Nutzen davon tragen. Kaum wurde aber mitgeteilt, dass bei demselben Experiment in London nur 43 Prozent der Teilnehmer so kooperativ gewesen seien, sank auch die Quote in Bonn auf nur noch gut 50 Prozent.
Zurück bezogen auf meine Eingangsfrage, ob Optimisten naiv und Pessimisten realistisch oder ob Pessimisten enttäuscht und Optimisten realistisch sind, lässt sich schlussfolgern: Das hängt von den gesellschaftlichen Bedingungen ab. Ich denke, wenn ich vor die Wahl gestellt werde, entweder vier Menschen profitieren gleichermaßen davon oder du profitierst alleine mehr davon, dann werde ich erkennen, dass es sich im zweiten Fall um das Ausnutzen der anderen handelt, und es moralisch ablehnen.Vielleicht ist es also sehr treffend, dass ich mich selbst gerne als „unverbesserlichen Realisten“ bezeichne.
Wie schon Bert Brecht in der „Dreigroschenoper“ schrieb:
„Wir wären gut und nicht so roh,
doch die Verhältnisse, sie sind nicht so!“
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