Mit ‘Erwartungshaltung’ getaggte Artikel

Pessimisten sind enttäuschte Realisten

Dienstag, 19. April 2011

Wenn negative Verhaltensweisen erwartet werden, kommt es oft zum typischen Wortwechsel: „Du bist ein Pessimist!“ – „Nein, ich bin nur Realist!“ Der Realist meint zu wissen, wie die Menschen „wirklich“ sind, wie es in einem Song der „Ersten Allgemeinen Verunsicherung“ heißt: „Das Böse ist immer und überall.“ Optimisten werden hingegen zu Naivlingen abgestempelt. Eine Untersuchung des Max-Planck-Institutes für Gemeinschaftsgüter in Bonn lässt sich nun wiederum in beide Richtungen hin interpretieren.

Kölner Stadt-Anzeiger, 19.04.2011: Lohnt es sich zu teilen?

Ismene Poulakos berichtet in der Rubrik „Auf der Couch“ im Magazin des Kölner Stadt-Anzeigers darüber (noch nicht online). Der Versuchsaufbau war die moralische Zwickmühle, wonach Geld entweder behalten oder in ein Gemeinschaftsprojekt gesteckt werden konnte. Dieses Projekt würde eine Rendite von 60 Prozent erbringen, wenn alle vier Teilnehmer gleichermaßen diese Investition für sich entscheiden. Sollte sich einer jedoch dagegen enstcheiden, dann würde er gewissermaßen als „Trittbrettfahrer“ sogar die doppelte Rendite erhalten. Im Bericht wird Michael Kurschilgen als einer der Autoren der Studie zitiert, „die meisten Menschen sind nicht aus Überzeugung Egoisten, sondern aus Angst davor, am Ende der Dumme zu sein.“

Es ist also die Erwartungshaltung, die bestimmt, wie die Menschen sich verhalten. Wer bei seinen Menschen von Egoismus ausgeht und selber so handelt, trifft im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeihung auch häufiger auf Egoismus. Demgegenüber ist nach Ansicht des Forschers die positive Erwartungshaltung von Menschen sehr zerbrechlich. In dem in Bonn durchgeführten Experiment hatten doch tatsächlich 82 Prozent der Teilnehmer das Gemeinschaftsprojekt unterstützt, damit alle denselben Nutzen davon tragen. Kaum wurde aber mitgeteilt, dass bei demselben Experiment in London nur 43 Prozent der Teilnehmer so kooperativ gewesen seien, sank auch die Quote in Bonn auf nur noch gut 50 Prozent.

Zurück bezogen auf meine Eingangsfrage, ob Optimisten naiv und Pessimisten realistisch oder ob Pessimisten enttäuscht und Optimisten realistisch sind, lässt sich schlussfolgern: Das hängt von den gesellschaftlichen Bedingungen ab. Ich denke, wenn ich vor die Wahl gestellt werde, entweder vier Menschen profitieren gleichermaßen davon oder du profitierst alleine mehr davon, dann werde ich erkennen, dass es sich im zweiten Fall um das Ausnutzen der anderen handelt, und es moralisch ablehnen.Vielleicht ist es also sehr treffend, dass ich mich selbst gerne als „unverbesserlichen Realisten“ bezeichne.

Wie schon Bert Brecht in der „Dreigroschenoper“ schrieb:
„Wir wären gut und nicht so roh,
doch die Verhältnisse, sie sind nicht so!“

Wirksamer Glaube

Freitag, 04. März 2011

Der Placebo-Effekt (lat. placebo gleich „ich werde gefallen“) ist noch weit größer als bisher angenommen. Denn auch das Gegenteil des klassischen Placebo-Experiments ruft erstaunliche Ergebnisse hervor. Während üblicherweise verabreichte Scheinmedizin ohne Wirkungsstoffe dennoch hilft, ist es umgekehrt auch so, dass sogar die Kraft wirkungsstarker Medikamente völlig ausgehebelt werden kann, wenn der Patient nicht an den Erolg der Therapie glaubt.

Rheinische Post, 01.03.2011, Titel: Wer Pillen misstraut, wird mit schwacher Wirkung bestraft

Die eine Seite der Medaille ist, dass die Bundesärztekammer nun empfohlen hat, dass Ärzte mehr Placebos verschreiben sollen. Dies bringt manche Ärzte möglicherweise in einen Gewissenskonflikt – immerhin sollten die Patienten doch weitgehend mündig behandelt werden.  Doch die Argumentation er scheint schlüssig: Insofern als Placebos helfen, können sie auch als medizinische Hilfsmittel eingesetzt werden. Die andere Seite der Medaille aber ist – wie oben angedeutet – dass der Glaube der Patienten an den Therapieerfolg einen noch entscheidenderen Einfluss auf ihren Verlauf hat als bisher angenommen.

Forscher des Universitätsklinikums Hamburg haben in „Science Translational Medicine“ einen verscuh mit 22 gesunden Probanden zwischen 20 und 40 Jahren durchgeführt. Sie wurden mehrfach für einige Sekunden einem kontrollierten Hitzereiz ausgesetzt, der zu einem mittleren bis starken Schmerz führte. Parallel dazu erhileten sie ein stark wirksames, opioidhaltiges Schmerzmittel.  Wer nicht wusste, dass er ein Schmerzmitztel erhielt, empfand eine Linderung. Bei demjenigen, der es wusste, verdoppelte sich die schmerzlindernde Wirkung. Wer jedoch gesagt bekam, dass er keine Therapie mehr erhält und der Schmerz zunehmen könnte, bei dem wurde der schmerzlindernde Effekt gänzlich aufgehoben.

Eine zeitgleich vorgenommene funktionelle Magnetresonanztomografie bestätigte dieses Ergebnis: Die persönliche Erwartung beeinflusst dramatisch den Effekt des Medikaments. Dies zeigen die relevanten Schaltstellen des schmerzverarbeitenden Systems wie Thalamus, Insel und somatosensorischer Kortex. Die hauptverantwortliche Neurologin Ulrike Bingel hält die Erkenntnis für relevant vor allem in Bezug auf die Behandlung von Schmerzpatienten. Beid er Auswahl der Therapie könne es schon helfen, Patienten intensiver und gezielter über ihre Erkrankung und Behandlungen aufzuklären, um positive Erwartungen zu wecken und negative zu vermeiden.

Vor gut einem Jahr sprach Doktor Ellis Huber in Deutsche Welle TV über den Placebo Effekt, wonach die Wirkung der mentalen Kräfte unterschätzt würde.