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Peinlichkeit wird ihrem Begriff gerecht

Samstag, 16. April 2011

Eine interessante Studie der Universität Marburg belegt, dass der Begriff „Peinlichkeit“ im wahrsten Wortsinn zutreffend ist. So erzeugt gemäß Versuchsaufbau das Fremdschämen Aktivitäten im selben Hirnareal wie der Anblick körperlicher Schmerzen bei einem Mitmenschen. Im Rahmen der neuronalen Grundlagen des Fremdschämens wurde kurz gesagt ermittelt: „Wenn man sich für andere schämt, sind vergleichbare Gehirnareale aktiv, wie wenn man den Schmerz anderer nachempfindet.“ Die verkürzte Überschrift des Kölner Stadt.-Anzeigers liegt damit nicht ganz richtig:

Kölner Stadt-Anzeiger, 15.04.2011, Titel: Fremdschämen ist wie körperliche Schmerzen

Im ersten Teil ihrer Untersuchung erhielten 600 Personen Beschreibungen peinlicher Situationen. Die Schlussfolgerung daraus: „Das Gefühl der Scham stellt sich relativ unabhängig davon ein, ob sich die beobachtete Person ihrerseits blamiert fühlt oder nicht“. Anschließend bekamen 32 Probanden Zeichnungen von Menschen in peinlichen Situationen gezeigt, dabei wurden die Hirnströme der Teilnehmer gemessen. Aktivitäten wurden verzeichnet im Hirnstamm und im Kleinhirn, exakt denselben Hirnregionen, die das Mitleid verarbeiten, das sich beim Beobachten körperlicher Verletzungen anderer einstellt.

Die kurze Pressemitteilung der Uni Marburg stellt einen Bezug zu Unterhaltungssendungen wie „DSDS“ und „Stromberg“ her, die das Fremdschämen „frei Haus“ lieferten, ohne dass der Betroffene davon etwas mitbekommt. Die Begründung sich zu schämen, weil es „in sozialen Interaktionen äußerst wichtig sei, das Gesicht nicht zu verlieren“, kommt bei mir jedoch nur bedingt an.

Meines Erachtens nach folgt die Scham einem gesellschaftlichen Konsens, der jedoch nicht von allen gleichermaßen geteilt wird. Das heißt aber, ich schäme mich für andere aufgrund meines moralischen Empfindens, gegen das das gesehene Verhalten anderer (z.B. im Fernsehen) verstößt. Das ist ein „schmerzlicher“ Verstoß gegen meine Wertekonfiguration.

Die Darsteller bei DSDS schämen sich zum Teil vielleicht deshalb nicht, weil sie kontinuierlich vorgeführt werden und sich dabei fälschlich für Stars halten. Bei „Stromberg“ oder „Pastewka“ hingegen ist das Konzept ganz auf Fremdschämen hin abgestellt. Wir würden in Anbetracht eines solchen Fehlverhaltens auch sprachlich mit einem Satz reagieren wie „Aua, das tut ja weh!“. Insofern ist es nicht überraschend, dass „Peinlichkeit“ (dem Wortsinn nach) „Pein“, also Schmerz bedeutet. Im Mittelalter war eine „peinliche Befragung“ übrigens ein Verhör unter Folter.