Mit ‘Rolf Dobelli’ getaggte Artikel

Aderlass-Effekt und irreführende Innensicht

Mittwoch, 12. Oktober 2011

Heute zwei Themen in einem, gewissermaßen als Doppelfolge der Rubrik „Klarer denken“, allwöchentlich im Montags-Feuilleton der FAZ, mit zwei ähnlich gelagerten Themen: Der hoch geschätzte Rolf Dobelli, Gründer und Kurator des Forums “Zurich.Minds”, hat sich in den beiden jüngsten Ausgaben seiner Reihe  mit den Themen des „Aderlass-Effekts“ und der Selbstbeobachtungs-Illusion befasst.

FAZ, 10.10.11, Titel: Warum Sie Ihre eigenen Überzeugungen so überzeugend finden

Falsche Überzeugungen ist argumentativ nur sehr schwer beizukommen, erläutert der Denker mit praktischen Beispielen. Der Vitamintablettenhersteller, der von Kindesbeinen an täöglich seien Vitamintabletten schluckt, ist aus seiner Sicht sicherlich zutiefst davon überzeugt, dass es die Tabletten sind, die ihm Gesundheit bescheren (vorausgesetzt, ihm geht es mit seinem Livestyle-Produkt nicht nur geschäftlich, sondern auch gesundheitlich gut).

Doch der Blick nach innen ist niemals ehrlich, wie der Autor mit dem Versuch eines schwedischen Psychologen beschreibt: Bei der Ansicht zweier Fotos sollte das attraktivere ausgewählt werden, zur näheren Erläuterung wurde den Probanden dann jedoch das falsche vorgelegt – die allermeisten Teilnehmer bemerkten das nicht und begründeten detailliert, warum ihnen das falsche Bild attraktiver vorkam.

Der im Englischen als „Introspection Illusion“ bezeichnete Denkfehler basiert auf der Vorstellung, bei einer Selbstbefragung würden wahre Ergebnisse zu Tage kommen. – Fehlanzeige! Wir sind voreingenommen von den eigenen Überzeugungen und meinen entweder, die anderen seien ignorant und wissen nicht, was wir wissen (Ignoranz-Annahme), oder wir denken, die anderen sind zu dumm um zu verstehen, was wir wissen (Idiotie-Annahme), bzw. wollen es nicht verstehen (Bosheits-Annahme). Der schlichte Hinweis kritisch gegen sich selber zu sein kann Wunder wirken, denn „Introspektion, der Blick nach innen, ist zum großen Teil Fabrikation.“

FAZ, 03.10.11, Titel: Warum wir uns von unseren falschen Ansichten so ungern trennen

Eine ganz ähnliche Verhaltensweise deckte Rolf Dobelli in der vorigen Kolumne auf, plastisch-drastisch unter dem Begriff „Aderlass-Effekt“ zusammengefasst: Bis ins 19. Jahrhundert hinein war die Methode des Aderlasses weit verbreitet in der Medizin, obwohl es den Patienten anschließend meist schlechter ging (sofern sie eine solche mehrmonatige Therapie überlebten). Die zu Grunde liegende „Vielsäftelehre“ des Körpers dominierte jedoch fast zweitausend Jahre lang die Medizin und wurde nicht aufgegeben, ehe sie durch eine andere, bessere Theorie ersetzt wurde.

Alle Theorien komplexer Systeme, so Rolf Dobelli, betreffen sie nun den Menschen, die Börse, Kriege, Städte, Ökosysteme oder Unternehmen, halten sich so lange, bis sie ersetzt werden, was mitunter weit länger sein kann, als es uns gut tut. Der Wissenschaftshistoriker Thomas Kuhn hat demnach als erster festgestellt, dass Theorien niemals „unter dem Gewicht ihrer Fehler“ kollabieren, sondern „erst, wenn eine andere, scheinbar bessere Theorie vorhanden ist“. Bei Ansichten, heißt es weiter, gibt es kein Schwanken wie zwischen zwei Jobs, Partnern oder Wohnorten, Emotionen kennen nur richtig oder falsch.

Als sehr gutes Beispiel wird die Theorie angeführt, dass die Wirtschaft über die Geldmenge zu steuern sei. Vor dem Kongressausschuss wurde der amerikanische Notenbaker Alan Greenspan im Herbst 2008 vom Vorsitzenden befragt: „Sie realisierten also, dass ihre Sicht der Welt, Ihr Gedankenmodell falsch war?“, was der Befragte unumwunden bejahte. Doch bis heute halten die Regierungen der westlichen Welt noch immer an diesem Modell fest, „und das nur, weil keine Alternative in Sicht ist“. Dobelli rät dem Leser daher, seine Ansichten regelmäßig zu überprüfen, sofern wir „nicht ausbluten wollen“. Ebenfalls ein einfacher, doch sehr angemessener Ratschlag.

Bauern-Unkenntnis oder das „NIH-Syndrom“

Donnerstag, 29. September 2011

Das Sprichwort sagt: „Was der Bauer nicht kennt, das isst er nicht.“ Mehr noch: Vielen steht die Angst vor Veränderungen buchstäblich ins Gesicht geschrieben, wann immer sich die Chance dazu ergibt. Bauern-Unkenntnis dürfte demnach die Kehrseite der Bauern-Schläue sein. Ähnlich geht es auch klugen Köpfen, wenn es darum geht, denkerische Leistungen anderer zu würdigen. 

Der verehrte Rolf Dobelli, der Gründer und Kurator des Forums “Zurich.Minds”, hat in seiner jüngsten Ausgabe seiner Reihe „Klarer denken“ (immer montags im Feuilleton der FAZ), das so genannte „NIH-Syndrom“ behandelt. Es steht für „Not invented here“ und uimschreibt die Tatsache, dass gute Ideen oft nciht erkannt werden, wenn sie jemand anders hatte.

FAZ, 26.09.11, Titel: Warum wir uns in die eigenen Ideen verlieben

Nun könnte der Eindruck entstehen, wenn etwas wo anders erfunden wurde, fällt es mir aus Gründen ungenauer Kommunikation schwer, der Idee zu folgen. Doch das ist hier nicht gemeint. Unternehmen tednieren nachgewiesenermaßen dazu, diejeingen Ideen, die eigene Mitarbeiter hervorbrachten für besser zu halten als die der Konkurrenz. Dies ist bereits bei Brain Stormings zu erkennen, wenn mehrere Menschen Lösungen suchen: Die eigenen Ideen werden stets am besten bewertet. Autor Dobelli macht das Phänomen sogar für die schlechten Renditen vieler Start-Ups verantwortlich.

Ein schöner Beleg stammt aus dem Buch „The Upside of Irrationality“ des Psychologen Dan Ariely: Im Blog der New York Times sammelte er Vorschläge zum Senken des Wasserverbrauchs und bat um Bewertungen der Anwendbarkeit. Die Antworten waren absichtlich auf wenige Wörter begrenzt, sodass viele sehr ähnliche Vorschläge abgaben. Dennoch wurden die eigenen Ideen ganz vorwiegend am besten bewertet.

Ein anderes, kulturhistorisches Beispiel entstammt der weiterführenden Beobachtung, dass gute Ideen aus anderen Kulturkreisen ebenfalls nicht gerne übernommen werden. So war der Schweizer Kanton Appenzell-Innerrhoden bis zu einem Bundesgerichts-Entscheid im Jahr 1990 unbelehrbar, wenn es um das Stimmrecht  für Frauen ging, ringsumher eine Selbstverständlichkeit seit langem.

Um dem beliebten Trugschluss nicht zu unterliegen (wer nochmal hat Amerika entdeckt?), rät der Autor zu Abstand und dazu, sich die Frage zu beantworten, welche eigene Idee der vergangenen Jahre wirklich so herausragend war, dass sie noch heute Bestand hätte. Abschließend eine kurze englische Erörterung des Autors Dan Ariely zum NIH-Kapitel seines Buchs. Sehr schön darin auch die Umschreibung des Phänomens als „Toothbrush Theory“: jeder bracuht eine, jeder will eine (Idee), aber niemand möchte die des anderen nutzen.

Impulse zu kontrollieren fördert die Karriere

Montag, 29. August 2011

Im Feuilleton der heutigen FAZ fand ich wie an jedem Montag eine weitere Ausgabe der anregenden Kolumne „Klarer denken“ von Rolf Dobelli, Gründer und Kurator des Forums “Zurich.Minds”, worin er die verführerischere Tücke der sofortigen Belohnung beschreibt.

FAZ, 29.08.11, Rolf Dobelli: Warum die Unmittelbarkeit so äußerst verlockend ist

Experiment: Vor die Wahl gestellt, in einem Jahr eintausend Euro oder in 13 Monaten 1.100 Euro zu erhalten, entscheiden sich fast alle Probanden für die zweite Alternative. Bei der Frage, ob du lieber 1.000 Euro jetzt oder 1.000 Euro in einem Monat möchtest, antworten jedoch die meisten: Jetzt. Alles. Sofort! Der englische Begriff für dieses Phänomen, das nach den Worten des Autors ein „Überrest unserer tierischen Vergangenheit“ ist, lautet „Hyperbolic Discounting“ (etwa: „Übertriebenes Abrechnen“).

Interessant auch die Randbemerkung Dobellis, dass Ökonomen fälschlich mit konstanten Zinssätzen rechnen und unsere subjektive Herangehensweise unterschlagen. Zuletzt verweist er auf ein Youtube-Video, das den „Marshmellow-Test“ bei vierjährigen Kindern zeigt. So gut wie keines von ihnen kann auf Dauer widerstehen, wenn es einen Marshmallow sofort gibt, auch bei der Aussicht, einen zweiten zu bekommen, wenn es nur einige Minuten warten würde.

Übrigens hat der Erfinder dieses Tests, Walter Mischel, auch noch festgestellt, dass diejenigen Menschen, die ihre Impulse besser kontrollieren können (die „Fähigkeit zum Belohnungsaufschub“ haben) später häufiger Karriere machen.

Mit Ausreden sind wir schnell dabei

Montag, 18. Juli 2011

Aus dem Sport kennen wir diese Argumentation: Im Falle eines Sieges hat alles gepasst, der Sportler war in Top-Form, das Training hat sich ausgezahlt, der Dank geht an alle möglichen Helfer – wohl wissend, dass doch er selbst die Leistung erzielt hat und nun gefeiert wird. Im Falle einer Niederlage gestehen sich aber die wenigsten Sportler oder Trainer leicht Fehler ein. Das Wetter war schuld, der psychologische Druck, gerne auch die Medien.

Nicht viel anders ist es in der Wirtschaft und im täglichen Leben, wie Rolf Dobelli, Gründer und Kurator des Forums “Zurich.Minds”, in seiner montäglichen Rubrik „Klarer denken“ in der FAZ erläutert.

FAZ, 18.07.11, Titel: Warum wir nur für Siege und nie für Niederlagen Verantwortung tragen

Mit schönen Beispielen deckt der Autor den Denkfehler der Selbstbestätigung („self serving bias“) auf. In Geschäftsberichten von Konzernen ist für Wachstum stets das Management zuständig, für Verluste aber sind es äußere Umstände (Wirtschaftskrise, Wechselkurseffekte, Verbraucherverhalten u.a.m.). So nannte sich der CEO von lkehmann Brothers Richard Full, angeblich gerne „Master of the Universe“, allerdings nur bis 2008.

Schon in der Schule neigen wir dazu: Die Eins hab ich mir verdient, die fünf lag an der schweren Prüfung, die so gar nicht angekündigt war… Derart lassen sich für jede Entwicklung schützende Argumente finden, warum es wohl so ist, wie es ist, und warum ich beim schlechten Ausgang nichts dafür kann. Weitergehend stellt Rolf Dobelli eine systematische Selbstüberschätzung fest, so z.B. bei den Uni-Eignungstests von US-Schülern, deren Ergebnis einer Untersuchung zufolge schon nach einem Jahr immer besser angegeben wird als er wirklich wahr. Das erinnert an den größten bisher gefangenen Fisch, der ebenfalls in der Erinnerung weiter wächst.

Auch in Ehen bewerten Frauen und Männer ihren Anteil am Gelingen der Partnerschaft regelmäßig mit über 50 Prozent. Diesem sehr menschlichen und bequemen Denkfehler zu begegnen bedarf schon einer starken Willenskraft. Glücklich, wer Freunde hat, die einem die ungeschminkte Wahrheit sagen, meint der Autor. Wenn nicht, sollte man sich seinen Feind zum Kaffeetrinken einladen. Was er über mich zu sagen hat, dürfte meist weit aufschlussreicher und wir sollten solchen Erkenntnissen gegenüber aufgeschlossen sein.

Die Verknüpfungs-Täuschung

Dienstag, 21. Juni 2011

Wer montags die FAZ in die Hände bekommt, dem kann ich nur (zum wiederholten Male) im Feuilleton die herrlich anschaulichen und meist überraschenden Hinweise von Rolf Dobelli empfehlen, der uns dort regelmäßig auf Tücken des menschlichen Denkens aufmerksam macht. In der jüngsten Ausgabe seiner Rubrik „Klarer denken“ behandelt der Autor, Gründer und Kurator des Forums “Zurich.Minds” den klassichen Denkfehler der „Conjunction Fallacy“ (auf deutsch etwa „Verknüpfungs-Täuschung“).

FAZ, 20.06.11, Titel: Warum die Intuition verführerischer ist als rationales Denken

Dazu der folgende Selbsttest: Welche Aussage erscheint Dir plausibler: a) „Der Flughafen Köln/Bonn ist geschlossen.“ oder b) „Der Flughafen Köln/Bonn wurde aufgrund des schlechten Wetters geschlossen.“ Die meisten Probanden entscheiden sich kurz entschlossen für b). Denn die Begründung vermittelt eine nachvollziehbare Ursache. Allerdings ist die erste Aussage bei weitem wahrscheinlicher (vermutlich nicht wahrscheinlicher in der Zeitung zu lesen, aber wahrscheinlicher, was ihren eigenen Wahrheitsgehalt betrifft). Denn in der Aussage b) ist mit der Schließung des Flughafens die Einschränkung verknüpft, dass dies wegen schlechten Wetters der Fall ist. Tatsächlich kann der Flughafen auch aufgrund zahlreicher anderer Ursachen geschlossen sein, z.B. wegen eines Brandes, eines Bombenalarms, eines Unfalls oder eines Streiks.

Dieses Denkmuster begegnet uns immer wieder. Ein weiteres Beispiel ist der Vergleich der Aussagen „Der Ölverbrauch sinkt um 30 Prozent“ oder „Der dramatische Anstieg des Ölpreises führt zu einer Reduktion des Ölverbrauchs um 30 Prozent.“ Jetzt fallen wir darauf nicht mehr herein. Allerdings taten dies Wissenschaftler beim Versuch von Daniel Kahneman auf einem Kongress für Zukunftsforschung 1982. Der Prognose b) wurde weit stärker geglaubt als der Prognose a). Rolf Dobelli bezieht sich bei seiner Begründung für dieses Denkmuster auf Kahneman, der zwei Arten des Denkens beschreibt: das  intuitive, das vorschnelle Schlüsse zieht, und das langsame rationale. Er empfiehlt, „das Modethema „linke und rechte Gehirnhälfte““ zu vergessen und darauf zu achten, dass das intuitive Denken nicht auf plausibel erscheinende Geschichten hereinfällt, ehe wir einmal näher darüber nachgedacht haben, welche falschen Vorausetzungen darin versteckt sein könnten.

Zwischen Prophetie und Prognose

Samstag, 15. Januar 2011

Dass Vorhersagen wirtschaftlicher Entwicklungen nicht viel genauer sind als das Geraune von Wahrsagern, legt ein Gastbeitrag von John Kay im Handelsblatt nahe. Dazu erklärt Rolf Dobelli in seiner brillanten Reihe „Klarer Denken“ bereits Ende des vergangenen Jahres, welcher klassische Denkfehler sich in Hinblick auf Prognosen häufig einstellt.

Handelsblatt, 10.01.2011, Titel: An der Zukunft scheitern Experten wie Schimpansen

Voraussagen sind vor allem am Jahresanfang sehr beliebt und eigenn sich am Ende des Jahres (bzw. zu Beginn des kommenden) wieder dazu zu erkennen, wo wir überall daneben gelegen haben. Freilich ließe sich einwenden: Jede Entscheidung bedeutet das Verwerfen anderer Möglichkeiten und insofern machen wir uns immer schuldig. Aber halt! Prognostiker zwingt niemand dazu etwas zu behaupten, wozu es eigentlich keine Veranlassung gibt. Aktuelle Trends, meint John Kay, würden gewöhnlich mit übertriebenem Tempo fortgeschrieben.

Das ist einfach zu belegen und insofern gut und billig. Die allermeisten Leser dieser Vorhersagen werden sich in dieser naheliegenden Auffasung bestätigt sehen, weil sie ähnlich Lautendes bereits gehört oder gelesen haben. Ein US-Politologe namens Philip Tetlock jedoch hat 20 Jahre lang Prognosen über geopolitische Ereignisse gesammelt und dabei 30.000 Vorhersagen von 3.00o Experten überprüft. Das Ergebnis lag insgesamt noch unter „Naiven Extrapolationen“, wi es heißt;  das Wissen, das sich dabei als nützlich erwies, war eher selten anzutreffen. Sogar Schimpansen, die per Zufallsprinzip Auswahlen trafen, kamen im Durchschnitt fast an das Ergebnis der Experten heran.

FAZ, 06.12.10, Titel: Warum Sie Ihr Tagebuch zu einem besseren Prognostiker machen kann

John Kay führt weiter an, dass Leute, die mit unbequemen oder schlecht vorstellbaren Vorhersagen richtig liegen, sowohl im Vorfeld anecken, als auch im Nachhinein, wenn sie recht behielten – einfach, weil diese Vorstellung nicht ins Weltbild der „Normalbürger“ passt. Hierzu führt er das sehr plausible Beispiel eines Terrorexperten des Weißen Hauses an, der vor dem 11. September eindringlich vor den Gefahren des Islamismus gewarnt hatte. Die Conclusion des Artikels lautet, dass „handelsübliche“ Vorhersagen die Wirkung der kurzfristigen Veränderungen überschätzten und das Ausmaß des langfristigen (kaum absehbaren) Wandels unterschätzten.

Auf einen anderen Punkt zielt die Folge „Klarer Denken“ von Rolf Dobelli ab, Rückblickend ergibt sich für uns immer ein logisch nachvollziehbares Bild der Geschichte. Allerdings sehen die Prognosen vor einschneidenden Ereignissen meist ganz anders aus, sei es wenn der Autor die Tagebücher seines Großonkels von 1932 aus Frankreich oder die positiven Wirtschaftsprognosen von 2007 – ein Jahr vor der Finanzmarktkrise – liest. Dass sich aber in der späteren Betrachtung alles als äußerst wahrscheinlich erweist, das nennt er den „Rückschaufehler“.

Er bezeichnet ihn auch als das „Ich habs schon immer gewusst“-Phänomen, eine Einstellung, die den Lauf der Welt als möglichst einfach verständlich erscheinen lassen soll, was er aber in den seltensten Fällen ist. Als Beispiele hierfür führt er den CEO an, der durch glückliche Umstände zum Erfolg gekommen ist – er selbst betrachtet diese Entwicklung aber als ganz stringent. Weiter nennt er das Attentat von Sarajewo 1914, das zum Ausbruch des 1. Weltkriegs führte: Wer hätte sich damals eine solche Eskalation vorstellen können? Die Gefahr des omnipräsenten Rückschaufehlers liegt in der Überschätzung der eigenen Fähigkeit Entwicklungen vorherzusehen. Übrigens helfe laut Studien auch die Kenntnis dieses Fehlers nicht davor ihn zu begehen. Aus persönlicher Erfahrung könnte einzig helfen – so der Autor im Rückbezug auf die Tagebücher seines Großonkels – Tagebuch zu führen. Dies könne einem eindrucksvoll die  Unvorhersehbarkeit der Welt vor Augen führen.

Keine Angst vor einem schlechten Tag!

Montag, 03. Januar 2011

Anfang des Jahres hält sich bei manchem Arbeitnehmer die Motivation zur konzentrierten Arbeit wohlmöglich in Grenzen. Nicht ausgerechnet deshalb, doch passend dazu, stieß ich heute in der FAZ auf die hochverehrte Rubrik von Rolf Dobelli, die uns Tücken der Bequemlichkeit des menschlichen Geistes vor Augen führt.

FAZ, 03.01.2011, Rubriktitel "Klarer denken"

Auch dieser Rubriktitel ließe sich sehr gut auf den Jahresbeginn und dunkle Tage nach durchzechten Nächten beziehen. Noch besser ist es aber, sich diese Fallen regelmäßig bewusst zu machen und nicht erst, wenn es (zumindest tageszeitlich) dafür zu spät (oder doch zu früh?) ist. Jedenfalls bezieht sich der Autor, Gründer und Kurator des Forums “Zurich.Minds” auf den häufig vorkommenden Irrtum des Denkens, den er „Regress zur Mitte“  nennt.

FAZ, 03.01.2011, Titel: Warum Sie mit der natürlichen Schwankung ihrer Leistung rechnen sollten

Anhand vieler Beispiele beschreibt Rolf Dobelli, wie sich Menschen aufgrund einer schlechten Leistung kurzfristig helfen lassen. prompt wird eine verebsserte Leistung dieser Hilfe zugeschrieben, obwohl sie vermutlich nur auf einer natürlichen Schwankung beruht. Ein Beispiel ist der gute Amateur-Golfer, der sich nach jedem schlechten Tag eine Stunde beim profi genehmigt. Anschließend ist sein Spiel wieder besser. Ein anderes ist das des Börsenmaklers, der nach einem Abrutschen seiner performance einen Regentanz aufführt – und prompt verbessert sie sich anschließend wieder.

Genauso zuverlässig wie beim Wetter nach einer Kältephase auch wieder mildere Tage kommen, folgen beim Menschen weniger extreme Leistungen auf extreme. Ob nun Chefs die am wenigsten motivierten Mitarbeiter zu einem Kurs schicken oder Schulen mit schlechten Testergebnissen gezielt gefördert werden: dass anschließend andere Mitarbeiter die geringste Motivation haben und andere Schulen die schlechtesten Ergebnisse, hätte sich vermutlich auch ohne Kurse und Förderungen so ergeben.

Besonders negativ wirkt sich die Regression zur Mitte im Fall von Lehrern aus, die bemerken, dass ein Schüler nach einer sehr guten Arbeit, für die er Lob erhielt, anschließend ins Mittelmaß abfällt, oder dass ein Schüler nach einer sehr schlechten Arbeit, für die er getadelt wurde, anschließend ins Mittelmaß aufsteigt. Die (falsche) Schlussfolgerung lautet: Lob schadet, Tadel hilft. Das alles bedeutet natürlich nicht, dass es ausgeschlossen ist, dass ein Golfpro dem Amateur etwas beibringt, dass Chefs ihre Mitarbeiter tatsächlich motivieren oder dass Länder auffällige Schulen nachhaltig fördern.

Aber hier dürften zur Warnung solche Allgemeinplätze angebracht sein wie „Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen“, „Gut Ding will Weile haben“ oder „Kräht der Hahn auf dem Mist, ändert sich das Wetter oder es bleibt wie es ist“. Nur auf Dauer wird das Wetter sicher nicht das gleiche bleiben. Und ein schlechter Tag muss Sie nicht beunruhigen, schon gar nicht im Rahmen der natürlichen Leistungsschwankungen.

Der Hang zum Bestätigungsfehler

Montag, 18. Oktober 2010

Ahh, ja, da habe ich wieder Rolf Dobellis löbliche Rubrik „Klarer denken“ in der FAZ entdeckt: dieses mal behandelt er den „Bestätigungsfehler“ („Confirmation Bias“) als „Vater aller Denkfehler“, wobei jeder bestätigende Fakt wohlwollend zur Kenntnis genommen, aber jeder Widerspruch ignoriert wird.

FAZ, 18.10.10: Warum Sie gut aufpassen sollten, wann immer das Wort Spezialfall fällt

Dieser Bestätigungsfehler würde besonders heftig in der Wirtschaft wüten, führt er aus, indem alle Anzeichen zur Bestätigung einer eingeschlagenen Strategie gefeiert, „gegenteilige Indizien“ jedoch „entweder gar nicht gesehen oder kurzerhand als „Spezialfälle“ oder „unvorhersehbare Schwierigkeiten“ abgetan“ würden. Eine das Gegenteil bestätigende Erkenntnis („Disconfirming Evidence“) fehle meist völlig. Als gesundes Beispiel eines Wissenschaftlers, der besonders genau hinsah, wenn eine Beobachtung seiner Erwartung widersprach, führt Rolf Dobelli Charles Darwin an.

Daran schließt sich der Tipp an, diese das Gegenteil nahelegenden Einsichten am besten direkt aufzuschreiben, da sie das Gehirn ansonsten nach spätestens einer halben Stunde aktiv ausblende. Die Darstellung eines Experimentes verdeutlicht zuletzt die Schweirigkeit, die es bereitet, von offensichtlich erscheinenden Denkmustern abzuweichen. Ein Professor lässt seine Studenten nach der Fortsetzung einer Zahlenreihe, respektive nach der ihr zugrunde liegenden Regel suchen. Die Reihe lautet „2, 4, 6“. Die meisten Studenten nennen die „8“ und dann die „10“ und treffen damit zwar die Regel, erkennen sie aber nicht.

Denn der Professor bejaht auch die Vorschläge „7“ und „9“ als passend. Um es abzukürzen: Die gesuchte Regel lautete, dass die folgende Zahl höher als die vorherige sein müsste. Aber darauf kommt „man“ ja nicht so schnell. Eine schönes Beispiel für ein ganz schön tückisches Fehlverhalten. Auf Youtube habe ich ein Video gefunden, das weitere typische Denkfehler in einem Lied zum Auswendiglernen thematisiert:

Der Virus „Social Proof“

Mittwoch, 29. September 2010

Alleine der Titel der FAZ-Rubrik „Klarer denken“ erfüllt mein Herz mit Freude. Der Schriftsteller Rolf Dobelli lässt sich an dieser Stelle im Feuilleton in unregelmäßigen Abständen über Phänomene der Vernunft und des Verstandes aus.  Anfang dieser Woche überraschte er mich mit der Schlagzeile in Anlehnung an Summerset Maugham, die nur vermeintlich einer Binsenweisheit gleicht.

FAZ. 27.09.10, Titel: Wenn Millionen eine Dummheit behaupten, wird sie deshalb nicht zur Wahrheit

Das Ansteckende menschlichen Verhaltens beschreibt der Gründer und Kurator des Forums „Zurich.Minds“ unter dem Schlagwort „Social Proof“. Beginnt im Konzert einer zu klatschen, auch an einer ungeeigneten Stelle, klatschen schnell alle. „Man findet Social Proof in der Kleidermode, bei Managementtechniken, im Freizeitverhalten, in der Religion und bei Diäten.“ Nicht zuletzt führt er den Massenselbstmord ganzer Sekten oder Joseph Goebbels Rede vom „Totalen Krieg“ von 1943 an.

Als Ursache für dieses Verhaltensmuster gibt er eine Überlebensstrategie aus der Steinzeit an und verweist auf Alltagsfallen von Social Proof, die strategisch ausgenutzt werden. In Comedy-Sendungen wird Gelächter eingespielt, damit die Zuschauer zuhause (nachweislich) mitlachen, in der Werbung sprechen manche Marketingasse von „meistverkauften“ Produkten. Dies empfiehlt den Kauf zur Nachahmung, auch wenn es alles andere als ein echtes Verkaufsargument ist.

Süddeutsche Zeitung, 24.09.10, Titel: Zeig mir deine Wunde

Einen Bereich hat Rolf Dobelli jedoch vergessen aufzuführen, und zwar den der Sozialen Medien. Bereits ein paar Tage zuvor war mir hierzu obiger Artikel aus der Süddeutschen Zeitung aufgefallen, in dem Nikolas Westerhoff erklärt, wie in sozialen Netzwerken Menschen sich mit psychischen Leiden infizieren können. Das Internet mit seinen Foren und anderen Treffpunkten bildet den Nähr- oder Resonanzboden zur Ausbreitung von Online-Gemeinschaften zu psychischen Leiden.

Dies belegt eine zitierte Studie von Psychologen des Colleges of Human Ecology an der Cornell University in Ithaca im US-Bundesstaat New York. Demnach gab es 1998 eine einzige bekannte Netzgemeinschaft zum Thema Selbstverstümmelung, 2001 bereits 28, aktuell um die 400. Nachweisbar ist auch die Selbstmordrate abhängig von der Suizid-Berichterstattung in Zeitungen (untersucht zwischen 1947 und 1968 anhand der New York Times). Nikolas Westerhoff  zitiert weitere Fälle übertragener psychischer Störungen, hysterisches Lachen 1962 in Tansania oder die ansteckende Angst vor dem verschwindenen Penis 1967, 1976 und 1990 in Ländern wie Thailand, Malaysia und Nigeria.

Ein weiteres interessantes Beispiel ist die eklatante Zunahme von Rückenschmerzen nach der Wiedervereinigung in Ostdeutschland, laut dem Mediziner und Soziologen Nicholas Christakis von der Havard University ein eindrucksvoller Beleg für die Macht eines sozialen Netzwerkes, auch „soziale Ansteckung“ genannt. Diese soziale Ansteckung wird durch die weit gespannten Online-Netzwerke weiter verstärkt. „Die Bestätigung für das eigene Verhalten liegt nur einen Mausklick entfernt.“, heißt es.