Um einen etwas frevelhaften Einstieg zu wagen, sei die These aufgestellt: Religionen sind nichts Gottgegebenes. Wenn nicht einfache Menschen Religionsstifter waren, dann waren es eben Propheten, die dem Menschlichen jedenfalls sehr nahe stehen (oder nach anderem Deutungsmuster erst das wahre Menschliche zum Ausdruck bringen). Einer relativ neuen mathematischen Studie zufolge ist aktuell die Religion in neun Ländern vom Aussterben bedroht, kurz gesagt, weil andere soziale Gruppen einen stärkeren Nutzen bieten.
Im Kölner Stadt-Anzeiger hat Christian Bos in einem Kommentar gemutmaßt, dass sich die „zukünftigen religiösen Minderheiten im Netz organisieren“ könnten. Vielmehr liegt es offenbar aber genau daran, dass andere soziale Gruppen als kirchliche den heutigen Menschen im Durchschnitt einen stärkeren Nutzen bringen, wie etwa die Sozialen Medien. Denn genau dies ist der Ausgangspunkt der ursprünglich auf BBC veröffentlichten Studie von Forschern der Amercian Physical Society.
Mit einem sogenannten nicht-linearen Modell wurden die Wechselwirkung zwischen der Anzahl der Religionsanhänger in einem Land und den sozialen Motiven für den Anschluss an eine Kirche untersucht. Dieses Modell wurde bereits erfolgreich dafür angewandt, um das Aussterben bestimmter Sprachen zu prognostizieren. Auf dnews wird Untersuchungsleiter Richard Wiener zitiert: “Das Modell setzt voraus, dass es attraktiv ist, sich sozialen Gruppen mit vielen Mitgliedern anzuschließen. Es geht außerdem davon aus, dass soziale Gruppen einen bestimmten Status haben und Nutzen mit sich bringen.”
Dazu greift die Studie auf Zensusdaten zurück, die sich auf ein Jahrhundert erstrecken und stellt dieselbe Tendenz (in unterschiedlich starker Ausprägung) in allen neun berücksichtigten Ländern fest: Australien, Finnland, Irland, Kanada, Neuseeland, die Niederlande, Österreich, die Schweiz und die Tschechische Republik. Das Ergebnis zeige an, dass Religion in den untersuchten Ländern völlig aussterben werde.
Wenn dieses Endergebnis auch noch in ferner Zukunft liegt, so enthält es doch eine Chance zu einer anderen Gruppendynamik, die sich nicht über religiöse Riten, sondern über andere Wesensgemeinsamkeiten definiert. Soziale Medien könnten einen Ansatz zu einer Vernetzung bieten, die sich jedoch über die Grenzen des virtuellen Raums hinaus bewähren und bewahrheiten müsste. Wie heißt es so schön in der „Internationale“? „Es rettet uns kein höheres Wesen, / kein Gott, kein Kaiser noch Tribun. / Uns von dem Unheil zu erlösen / können wir nur selber tun.“