Mit ‘Ikarus’ getaggte Artikel

Gewinner im Verlustfall

Dienstag, 04. Oktober 2011

Die Rede ist hier nicht von Brokern, die Geld verdienen, indem sie auf fallende Kurse setzen. Die Rede ist auch nicht von Menschen, die von der mangelnden Bedeutung ihrer Existenz getrieben im Extremfall ein Verbrechen begehen, damit sie berühmt würden. Wir sprechen hier von den Menschen, die beabsichtigen zu scheitern und damit zum Erfolg verdammt sind.

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 02.10.11, Titel: Über das gelungene Scheitern

Bei dieser Überschrift handelt es sich um eine Interpretation von Jochaim Sartorius über Ernst Jands frühes Gedicht „Ikarus“ im Rahmen der Frankfurter Anthologie in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Zwar ist Ikarus abgestürzt, weil er sich im Flug zu nahe an die Sonne begab, doch die Abschlusszeilen des Gedichts lauten: „Ikarus ging unter / Hoch über den anderen“.

Mit diesem „Hoch über den anderen“ bezieht sich Jandl auf vorige Verse und verdeutlicht, dass Ikarus trotz seines Scheiterns unsterblich geworden ist. Joachim Sartorius interpretiert: „Jandl will uns damit sagen, dass es verrückter Projekte braucht und die Menschheit nicht vorankommt, wenn es nicht einzelne Menschen gibt, die den Himmel herausfordern und lustvoll das Unmögliche versuchen.“

Genau so hätte ich es wohl nicht ausgedrükt, aber dem Verständnis nach ähnlich. Der Text stamt aus dem ersten Gedichtband Jandls „Andere Augen“ von 1954 und zeigt noch nicht das für den späteren Jandl typische Spielen und Jonglieren mit Worten. Nach dem Einstieg ins Gedicht „Er flog hoch / über den anderen“ folgt später „Er flog höher / als sein Vater, der kunstgewandte / Dädalus.“

Sartorius schreibt, was ich voll und ganz unterstütze, dass in diesem frühen text schon „der ganze Jandl da“ sei : „Ökonomie der Mittel, raffiniert gesetzte, dem knppen Text großen Nachdruck verleihende Wiederholungen.“ Zurück bezogen auf die Bedeutungsebene heißt das: Ikarus ist es gelungen, unsterblich zu werden, auch wenn er gescheitert ist, oder sogar weil er gescheitert ist.

Dennoch ist er aber geflogen und hat den Traum vom Fliegen verwirklicht. Wer denkt schon an die Landung, wenn er abhebt? Heute wissen wir längst: Runter kommen sie alle!