Mit ‘Social Proof’ getaggte Artikel

Mickymaus-Stimmchen und Arzt-Verweigerer

Samstag, 16. Oktober 2010

„Psychologie heute“ ist mindestens eine ebenso schöne Rubrik wie „Neues aus der Tierwelt“: Nicht auszudenken, was Frauen und Männer miteinander zu besprechen hätten, wenn es nicht immer wieder neue Forschungsergebnisse gäbe! Wie zum Beispiel diese: Frauen bemerken, auf welche weiblichen Stimmen ihr Mann anspricht, und Männer begründen ihre Abneigung gegen Vorsorgeuntersuchungen durch „Social Proof„.

Die Welt, 16.10.10, Titel: Eine Frau erkennt die Nebenbuhlerin an der Stimme

Daniela Bengsch berichtet in der Welt von einer Untersuchung von Anthropologen an der Pennsylvania State University, wonach Männer und Frauen Stimmen von Frauen danach bewerten sollten, welche Stimmen auf Männer attraktiv wirkten. Interessanterweise waren dei Ergebnisse weitgehend übereinstimmend, d.h. die Frauen wussten intuitiv, dass ihr „Männe“ auf hohe Stimmen abfährt. Mit der Erklärung für dieses Phänomen ist die Wissenschaft allerdings noch vorsichtig, vermutlich habe es mit der Evolution zu tun, hieß es. Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen übrigens auch Forscher der Uni Aberdeen in Schottland. Dort wurde argumentiert, dass  höhere weibliche Stimmen für Gesundheit und Fruchtbarkeit ständen; besonders nach dem Eisprung würde die weibliche Stimme “nach oben” wandern. Bei Martina Hill von „Switch Reloaded“ ist diese Stimmveränderung allerdings eher beruflicher Natur.

Eine weitere tolle Geschichte von Fanny Jiménez aus derselben Zeitung mit einer schon beinahe episch anmutenden Überschrift hat mich ebenso zum Nachdenken gebracht: Ja, warum eigentlich? (Der Grund, warum mich der Beitrag zum Nachdenken gebracht hat, war einerseits die Überschrift, andererseits aber die Überlegung, wie eine kürzere Überschrift hätte lauten können. Vielleicht: „Wenn Du nicht, ich auch nicht“ oder  einfach „Andere machen es auch nicht“. Vergleiche zu epischen Überschriften auch noch einmal den zitierten Welt-Beitrag an anderer Stelle.)

Die Welt, 16.10.10, Titel: Warum soll ein Mann zum Arzt gehen, wenn es andere auch nicht tun?

Nachdenken über solche Sachverhalte gibt aber eben auch immer gute Smalltalk-Themen, wenn mir sonst beim Flirten an der Bar nichts mehr einfällt: „Wusstest Du schon, dass Männer, die nicht zur Vorsorge-Untersuchung gehen, glauben, es gingen viel weniger Männer dorthin als es in Wirklichkeit sind?“ Und wenn sich daraus eine interessante Konversation entspinnt, gleich nachlegen: „Übrigens denken diejenigen Männer, die zur Vorsorge-Untersuchung gehen, dass es weit mehr sind, die ihnen das gleich tun.“ Das Prickeln in dieser Dialogsituation ist spürbar.

Allerdings empfehlen die Forscher Uni Heidelberg, dass staatliche Kampagnen zum Gesundheitsverhalten berücksichtigen sollten, wie Männer in diesem Fall ticken. Wird behauptet, dass zwei Drittel aller Geschlechtsgenossen an einer Krebsfrüherkennungsuntersuchung teilnehmen, dann steigt die Bereitschaft ebenfalls daran teilzunehmen stark an.  Als hoffnungslosem Realisten fehlt mir in diesem Zusammenhang nun nur die doch entscheidende Information, wie viele es tatsächlich sind. Aber entscheidend ist eben nicht, wie viele es wirklich sind, sondern, wieviele es der Behauptung nach sind. Hauptsache, die Gesprächpartnerin an der Bar hat eine hohe Stimme. Alleine ihr zuliebe würde ich bestimmt gehen! Wohin bliebe noch abzuwarten…

Der Virus „Social Proof“

Mittwoch, 29. September 2010

Alleine der Titel der FAZ-Rubrik „Klarer denken“ erfüllt mein Herz mit Freude. Der Schriftsteller Rolf Dobelli lässt sich an dieser Stelle im Feuilleton in unregelmäßigen Abständen über Phänomene der Vernunft und des Verstandes aus.  Anfang dieser Woche überraschte er mich mit der Schlagzeile in Anlehnung an Summerset Maugham, die nur vermeintlich einer Binsenweisheit gleicht.

FAZ. 27.09.10, Titel: Wenn Millionen eine Dummheit behaupten, wird sie deshalb nicht zur Wahrheit

Das Ansteckende menschlichen Verhaltens beschreibt der Gründer und Kurator des Forums „Zurich.Minds“ unter dem Schlagwort „Social Proof“. Beginnt im Konzert einer zu klatschen, auch an einer ungeeigneten Stelle, klatschen schnell alle. „Man findet Social Proof in der Kleidermode, bei Managementtechniken, im Freizeitverhalten, in der Religion und bei Diäten.“ Nicht zuletzt führt er den Massenselbstmord ganzer Sekten oder Joseph Goebbels Rede vom „Totalen Krieg“ von 1943 an.

Als Ursache für dieses Verhaltensmuster gibt er eine Überlebensstrategie aus der Steinzeit an und verweist auf Alltagsfallen von Social Proof, die strategisch ausgenutzt werden. In Comedy-Sendungen wird Gelächter eingespielt, damit die Zuschauer zuhause (nachweislich) mitlachen, in der Werbung sprechen manche Marketingasse von „meistverkauften“ Produkten. Dies empfiehlt den Kauf zur Nachahmung, auch wenn es alles andere als ein echtes Verkaufsargument ist.

Süddeutsche Zeitung, 24.09.10, Titel: Zeig mir deine Wunde

Einen Bereich hat Rolf Dobelli jedoch vergessen aufzuführen, und zwar den der Sozialen Medien. Bereits ein paar Tage zuvor war mir hierzu obiger Artikel aus der Süddeutschen Zeitung aufgefallen, in dem Nikolas Westerhoff erklärt, wie in sozialen Netzwerken Menschen sich mit psychischen Leiden infizieren können. Das Internet mit seinen Foren und anderen Treffpunkten bildet den Nähr- oder Resonanzboden zur Ausbreitung von Online-Gemeinschaften zu psychischen Leiden.

Dies belegt eine zitierte Studie von Psychologen des Colleges of Human Ecology an der Cornell University in Ithaca im US-Bundesstaat New York. Demnach gab es 1998 eine einzige bekannte Netzgemeinschaft zum Thema Selbstverstümmelung, 2001 bereits 28, aktuell um die 400. Nachweisbar ist auch die Selbstmordrate abhängig von der Suizid-Berichterstattung in Zeitungen (untersucht zwischen 1947 und 1968 anhand der New York Times). Nikolas Westerhoff  zitiert weitere Fälle übertragener psychischer Störungen, hysterisches Lachen 1962 in Tansania oder die ansteckende Angst vor dem verschwindenen Penis 1967, 1976 und 1990 in Ländern wie Thailand, Malaysia und Nigeria.

Ein weiteres interessantes Beispiel ist die eklatante Zunahme von Rückenschmerzen nach der Wiedervereinigung in Ostdeutschland, laut dem Mediziner und Soziologen Nicholas Christakis von der Havard University ein eindrucksvoller Beleg für die Macht eines sozialen Netzwerkes, auch „soziale Ansteckung“ genannt. Diese soziale Ansteckung wird durch die weit gespannten Online-Netzwerke weiter verstärkt. „Die Bestätigung für das eigene Verhalten liegt nur einen Mausklick entfernt.“, heißt es.