Mit ‘Sozialisation’ getaggte Artikel

Streiche in unserem Kopf

Dienstag, 28. Dezember 2010

Die große Frage lautet: Spielt das Gehirn uns Streiche oder spielen wir dem Gehirn Streiche? Und wenn ich meinem Gehirn einen Streich spiele, ist es dann ein von mir abgetrennter Teil? Oder gehört es nicht ebenso zu mir wie mein Körper und meine Seele (noch viel schwieriger zu bestimmen)? Fragen über Fragen, mir wird ganz plümerant! Kein Wunder, dass wir es uns im Kopf doch gerne mal einfach machen.

Die Welt, 28.12.10, Titel: Gleichmacherei im Gehirn

Adrian Lobe schreibt unter dieser Überschrift in der Welt über neuronale Prozesse, die unsere visuelles System dazu bringen, Dinge schnell in ein grobes Muster einzuordnen. Als Beispiel sind die Schwierigkeiten genannt, die Europäer und Asiaten gegenseitig damit haben, Gesichter der jeweils anderen Rasse voneinander zu unterscheiden. Forscher der Universitäten in Glasgow und in Fribourg haben mittels eines EEG im Bereich der Hirnrinde, in dem Gesichter erkannt werden, festgestellt, dass dieses Phänomen universell ist.

„In weniger als einer Zehntelsekunde werden im Unterbewusstsein unbekannte Gesichter über einen Kamm geschert“, heißt es, diese Gleichmacherei würde unter Neurologen als „Other-Face-Effect“ bezeichnet. Asiaten, die in Europa aufwachsen (oder umgekehrt), dürften einen besseren Unterscheidungssinn aufweisen, zumal das Erkennen von gesichtern nur im Alter zwischen etwa drei und neun Monaten ohne Klassifizierung erfolgt. Vermutlich ist das so etwas wie eine Schutzreaktion zur Vereinfachung von Erkennungsprozessen, damit wir nicht zuviel Energie auf sich wiederholende Gesichtsmerkmale verwenden.

Kölner Stadt-Anzeiger, 27.12.10, Titel: Wie das Gehirn sich wehrt

Zumal das Gehirn ja auch nur ein sehr sensibles, schwaches Organ ist, wenn auch eigentlich das vermutlich größte und leistungsfähigste und dabei das vermutlich am schlechtesten ausgelastete. Aber seine Belastbarkeit hängt sicher auch mit seiner Reizbarkeit zusammen. So hat der Neurologe Magnus Heier in seiner Kolumne „Aus der Praxis“ im Kölner Stadt-Anzeiger jüngst auf areale im menschlichen Gehirn hingewiesen (leider noch nicht online), die auf „musikalische Merwürdigkeiten“ (rechte Gehirnhälfte) sowie auf „sprachlichen Unsinn“ (linke Gehirnhälfte) reagieren. Diese offenbar nicht willentlich steuerbaren Reaktionen treten dann auf, wenn eine Erwartung nicht erfüllt wurde, also zum Beispiel bei unlogischen Sätzen (links im Gehirn) oder bei falsch gesungenen Liedern (rechts im Gehirn).

Die Abwehrreaktionen traten nachweisbar sogar dann auf, wenn Probanden bei einem Versuch einen Fehler in der Melodie nicht einmal bewusst bemerkt hatten. Auch das hängt offensichtlich mit kulturellen Gewohnheiten zusammen, weil schon fünfjährige Kinder entsprechend reagieren. Ist das nun ein Streich, den das Gehirn uns spielt, oder nicht eher einer, den die kulturelle Sozialisation uns spielt. Und tut es dem Gehirn vielleicht nicht gerade gut, dieses Areal öfter mal zu aktivieren? Immerhin ist ein Witz bekaanntlich die Auflösung einer Erwartungshaltung in nichts. Aber ein Misston bleibt ein Misston – jedenfalls solange man sich nicht zur Zwölftonmusik gezwungen hat.