Mit ‘Unmittelbarkeit’ getaggte Artikel

Impulse zu kontrollieren fördert die Karriere

Montag, 29. August 2011

Im Feuilleton der heutigen FAZ fand ich wie an jedem Montag eine weitere Ausgabe der anregenden Kolumne „Klarer denken“ von Rolf Dobelli, Gründer und Kurator des Forums “Zurich.Minds”, worin er die verführerischere Tücke der sofortigen Belohnung beschreibt.

FAZ, 29.08.11, Rolf Dobelli: Warum die Unmittelbarkeit so äußerst verlockend ist

Experiment: Vor die Wahl gestellt, in einem Jahr eintausend Euro oder in 13 Monaten 1.100 Euro zu erhalten, entscheiden sich fast alle Probanden für die zweite Alternative. Bei der Frage, ob du lieber 1.000 Euro jetzt oder 1.000 Euro in einem Monat möchtest, antworten jedoch die meisten: Jetzt. Alles. Sofort! Der englische Begriff für dieses Phänomen, das nach den Worten des Autors ein „Überrest unserer tierischen Vergangenheit“ ist, lautet „Hyperbolic Discounting“ (etwa: „Übertriebenes Abrechnen“).

Interessant auch die Randbemerkung Dobellis, dass Ökonomen fälschlich mit konstanten Zinssätzen rechnen und unsere subjektive Herangehensweise unterschlagen. Zuletzt verweist er auf ein Youtube-Video, das den „Marshmellow-Test“ bei vierjährigen Kindern zeigt. So gut wie keines von ihnen kann auf Dauer widerstehen, wenn es einen Marshmallow sofort gibt, auch bei der Aussicht, einen zweiten zu bekommen, wenn es nur einige Minuten warten würde.

Übrigens hat der Erfinder dieses Tests, Walter Mischel, auch noch festgestellt, dass diejenigen Menschen, die ihre Impulse besser kontrollieren können (die „Fähigkeit zum Belohnungsaufschub“ haben) später häufiger Karriere machen.

„Schildern aus Erzählungen“

Mittwoch, 11. Mai 2011

Die Aberkennung des diesjährigen Henri-Nannen-Preises in der Kategorie „Reportage“ wirft ein schlechtes Licht auf den Journalismus. René Pfister hatte für seinen Spiegel-Artikel „Am Stellpult“ die Auszeichnung in dieser Kategorie erhalten, obwohl er selbst im darin beschriebenen Hobbykeller von Horst Seehofer nie war. Dieses Veräumnis hatte er in seiner Dankesrede selbst eingestanden, nicht ahnend, dass er damit die Voraussetzung für den Erhalt des Preises nicht erfüllte. Der Sachverhalt wiegt um so schwerer, da die Reportage als wichtigste Preiskategorie gilt.

Kölner Stadt-Anzeiger, 11.05.2011, Titel: Auf dem falschen Gleis

Treffend, in Bezug auf den Inhalt des fraglichen Beitrags, beschreibt Anne Burgmer heute im Kölner Stadt-Anzeiger den Sachverhalt, der nach ihrer Unterüberschrift „Grundfragen des Journalismus berührt“. Laut Erklärung der Hauptjury erfordert aber die Glaubwürdigkeit einer Reportage, „dass erkennbar ist, ob Schilderungen durch die eigene Beobachtung des Verfassers zustande gekommen sind, oder sich auf eine andere Quelle stützen, die dann benannt werden muss.“ Das Guttenberg-Syndrom scheint hier wieder einmal zugeschlagen zu haben. Nur in einem anderen Zusammenhang.

Am Inhalt des Artikels „Am Stellpult“ gibt es nach Meinung der Jury nichts auszusetzen, nur an der Form. In der Tat sind Reportagen aktuell stark gefragt. Dabei sollen Journalisten von ihren Erfahrungen vor Ort berichten. Wenn sie nicht selbst vor Ort waren, müssen sie darauf hinweisen und nicht in einer Weise formulieren, die den Eindruck vermittelt, als seien sie dagewesen, so die. Denn dann beziehen sie die Eindrücke zweifellos von jemand anderem. Und diese Quelle müssen sie ebenso nennen wie ein Wissenschaftler die in seinen Arbeiten zitierten Quellen.

Der Spiegel selbst nahm die Entscheidung in einer Erklärung „mit Unverständnis zur Kenntnis“, weder sei René Pfister um eine Stellungnahme gebeten worden, noch habe René Pfister an irgend einer Stelle behauptet, selbst im Keller gewesen zu sein. Vielmehr habe er die Angaben aus „Gesprächen mit Seehofer, dessen Mitarbeitern sowie Spiegel-Kollegen, die den Hobbykeller selbst in Augenschein genommen haben“.

Hinzu kommt, dass es sich bei dem Artikel eigentlich nicht vorrangig um eine Reportage handelt, sondern eher um eine „szenische Rekonstruktion“ wie der Spiegel meint. Oder um ein „analsyiserendes Portät“, wie Anne Burgmer schreibt und schlussfolgert, die Jury des Henri-Nannen-Preises müsse sich fragen, „warum sie Pfisters Stück überhaupt in ihre Betrachtung einbezogen hat“. Kernfrage dürfte nun sein, ob die Aussage der Spiegel-Erwiderung stimmt: „Jede Reportage besteht nicht nur aus Erlebtem, sondern auch aus Erfragtem und Gelesenem.“

Zum einen ist die Frage, ob die Grundprinzipien der Reportage: Konkretisierung, Nähe, Emotionalität und eben Unmittelbarkeit sich auch aus Aussagen Dritter speisen lassen? Immerhin ist ein gebräuchliches Synonym von Reportage „Augenzeugenbericht“. Zum anderen erscheint die Frage erlaubt, ob die Mehrzahl der Journalisten den Zeitaufwand überhaupt leisten kann, sich für die häufig gefragten Reportagen ein eigenes Bild vor Ort zu machen.

Dies soll keine Entschuldigung für nachlässiges Arbeiten sein, sondern ein Appell für angemessene Bezahlung. Denn nicht nur Reportagen, sondern auch Interviews entstehen inzwischen häufig „mittelbar“, über Ecken, sprich über die Aussagen Prominenter in anderen Medien.