Mit ‘John Kay’ getaggte Artikel

Zwischen Prophetie und Prognose

Samstag, 15. Januar 2011

Dass Vorhersagen wirtschaftlicher Entwicklungen nicht viel genauer sind als das Geraune von Wahrsagern, legt ein Gastbeitrag von John Kay im Handelsblatt nahe. Dazu erklärt Rolf Dobelli in seiner brillanten Reihe „Klarer Denken“ bereits Ende des vergangenen Jahres, welcher klassische Denkfehler sich in Hinblick auf Prognosen häufig einstellt.

Handelsblatt, 10.01.2011, Titel: An der Zukunft scheitern Experten wie Schimpansen

Voraussagen sind vor allem am Jahresanfang sehr beliebt und eigenn sich am Ende des Jahres (bzw. zu Beginn des kommenden) wieder dazu zu erkennen, wo wir überall daneben gelegen haben. Freilich ließe sich einwenden: Jede Entscheidung bedeutet das Verwerfen anderer Möglichkeiten und insofern machen wir uns immer schuldig. Aber halt! Prognostiker zwingt niemand dazu etwas zu behaupten, wozu es eigentlich keine Veranlassung gibt. Aktuelle Trends, meint John Kay, würden gewöhnlich mit übertriebenem Tempo fortgeschrieben.

Das ist einfach zu belegen und insofern gut und billig. Die allermeisten Leser dieser Vorhersagen werden sich in dieser naheliegenden Auffasung bestätigt sehen, weil sie ähnlich Lautendes bereits gehört oder gelesen haben. Ein US-Politologe namens Philip Tetlock jedoch hat 20 Jahre lang Prognosen über geopolitische Ereignisse gesammelt und dabei 30.000 Vorhersagen von 3.00o Experten überprüft. Das Ergebnis lag insgesamt noch unter „Naiven Extrapolationen“, wi es heißt;  das Wissen, das sich dabei als nützlich erwies, war eher selten anzutreffen. Sogar Schimpansen, die per Zufallsprinzip Auswahlen trafen, kamen im Durchschnitt fast an das Ergebnis der Experten heran.

FAZ, 06.12.10, Titel: Warum Sie Ihr Tagebuch zu einem besseren Prognostiker machen kann

John Kay führt weiter an, dass Leute, die mit unbequemen oder schlecht vorstellbaren Vorhersagen richtig liegen, sowohl im Vorfeld anecken, als auch im Nachhinein, wenn sie recht behielten – einfach, weil diese Vorstellung nicht ins Weltbild der „Normalbürger“ passt. Hierzu führt er das sehr plausible Beispiel eines Terrorexperten des Weißen Hauses an, der vor dem 11. September eindringlich vor den Gefahren des Islamismus gewarnt hatte. Die Conclusion des Artikels lautet, dass „handelsübliche“ Vorhersagen die Wirkung der kurzfristigen Veränderungen überschätzten und das Ausmaß des langfristigen (kaum absehbaren) Wandels unterschätzten.

Auf einen anderen Punkt zielt die Folge „Klarer Denken“ von Rolf Dobelli ab, Rückblickend ergibt sich für uns immer ein logisch nachvollziehbares Bild der Geschichte. Allerdings sehen die Prognosen vor einschneidenden Ereignissen meist ganz anders aus, sei es wenn der Autor die Tagebücher seines Großonkels von 1932 aus Frankreich oder die positiven Wirtschaftsprognosen von 2007 – ein Jahr vor der Finanzmarktkrise – liest. Dass sich aber in der späteren Betrachtung alles als äußerst wahrscheinlich erweist, das nennt er den „Rückschaufehler“.

Er bezeichnet ihn auch als das „Ich habs schon immer gewusst“-Phänomen, eine Einstellung, die den Lauf der Welt als möglichst einfach verständlich erscheinen lassen soll, was er aber in den seltensten Fällen ist. Als Beispiele hierfür führt er den CEO an, der durch glückliche Umstände zum Erfolg gekommen ist – er selbst betrachtet diese Entwicklung aber als ganz stringent. Weiter nennt er das Attentat von Sarajewo 1914, das zum Ausbruch des 1. Weltkriegs führte: Wer hätte sich damals eine solche Eskalation vorstellen können? Die Gefahr des omnipräsenten Rückschaufehlers liegt in der Überschätzung der eigenen Fähigkeit Entwicklungen vorherzusehen. Übrigens helfe laut Studien auch die Kenntnis dieses Fehlers nicht davor ihn zu begehen. Aus persönlicher Erfahrung könnte einzig helfen – so der Autor im Rückbezug auf die Tagebücher seines Großonkels – Tagebuch zu führen. Dies könne einem eindrucksvoll die  Unvorhersehbarkeit der Welt vor Augen führen.