Mit ‘Lena Reinhard’ getaggte Artikel

Vom Vorteil erzwungener Aufmerksamkeit

Mittwoch, 12. Mai 2010

Die Diskussion geht weiter: Nachdem der Kölner Stadt-Anzeiger mit einem Gastbeitrag der Bloggerin Lena Reinhard die Debatte um Online-Journalismus entfacht hatte (Texthilfe berichtete), meldet sich nun der Medienwissenschaftler am Institut für Sprache und Kommunikation an der TU Berlin, Norbert Bolz zu Wort. Sein Beitrag trägt den monumentalen Titel:

Kölner Stadt-Anzeiger, 11.05.2010, Titel: Orientierung in der Sintflut des Sinns

Grundaussagen des Medienwissenschaftlers: „Ein berühmter Journalist ist eine intellektuelle Marke, an der man sich in der Sintflut des Sinns orientieren kann.“, „Freie Presse ist immer schon als kostenlose Information über die Welt verstanden worden.“ und „Wir haben kein Informationsproblem, sondern ein Orientierungsproblem.“ In Bezug auf die Kernidee der Bloggerin Lena Reinhard, sich eine eigene Zeitung zu konfigurieren, gibt er zu bedenken, dass dies einerseits eine klare Orientierung voraussetzt, die oft nicht gegeben ist, und andererseits dem Leser die „Erfahrung des Neuen“ oft vorenthält, weil er sich dadurch „in einen Informationskokon einspinnt“.

Schließlich weist er als Vorteil der nicht interaktiven Massenmedien aus, Aufmerksamkeit zu erzwingen. Diesen Effekt könnten interaktive Medien niemals erreichen. Warum aber ein Blog, der 50.000 mal besucht wird, zum Massenmedium umschlägt und dann kein Blog mehr ist, leuchtet mir nicht ein. Anders gefragt: Warum sollen sich die Begriffe Blog und Massenmedium gegenseitig ausschließen? Dass sie das faktisch meist tun, steht außer Frage. Aber ich kann nicht erkennen, was die Interaktivität wie etwa bei Thomas Knüwer, der regelmäßig auf Anregungen seiner zahlreichen Leser eingeht, an der Marke des Journalisten und der möglichen Orientierung ändert (auch wen Thomas Knüwer mittlerweile auf die Beraterseite gewechselt ist).

Dass in jedem Blogger ein Journalist stecke – zugegeben! Dass jedoch jeder Blogger sein Massenmedium suche – angezweifelt! Meines Erachtens nach geht es bei der Orientierung sehr stark um die Special Interest-Kanäle, die sich ausdrücklich zu eingegrenzten Themengebieten äußern. Die Zeitung als Sammelsurium von Meldungen nach den bekannten Unterteilungen – Politik, Wirtschaft, Finanzen, Feuilleton, Medien, Menschen – ist in meinen Augen nicht ersetzbar. Nach der jüngsten Studie des BDZV (Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger) befinden sich die Zeitungen in Deutschland – jedenfalls im Vergleich zu denen in Amerika – in einer sehr guten Verfassung.

Die Anzahl der Titel ist hierzulande mit aktuell 351 weitaus konstanter (minus vier seit 1999, gegenüber minus 80 seit 1998 in den USA), die Reichweiten sind nach wie vor hoch. Auch sei die Abhängigkeit vom Werbemarkt in Deutschland weitaus geringer. An der schlechten Bezahlsituation von Journalisten und dem Buy-Out von Rechten für zusätzliche Online-Veröffentlichungen ändert dies jedoch nichts. Diesem Umstand sollte erzwungenermaßen die Aufmerksamkeit gelten! Daraus ergäben sich interessante Schlussfolgerungen für den Online-Auftritt von Zeitungen. Vielleicht sollte ich mich mit einem eigenen Beitrag an der Debatte beteiligen!

Journalismus der Zukunft gesucht

Sonntag, 09. Mai 2010

Die Bloggerin Lena Reinhard konnte mit einem ausführlichen Gastbeitrag im Kölner Stadt-Anzeiger (und auch in der Frankfurter Rundschau) ihre Ansichten zum Journalismus der Zukunft darstellen. Die Zeitungen positionieren sich selbst mittels des ins Leben gerufenen Reporterpools für vier Titel als innovationsfreudige und zukunftorientierte Medien (vgl. älteren Texthilfe-Beitrag). Es geht um gewandelte Ansprüche der Nutzer, um den Bedarf an Diskussion und Leidenschaft. Ein toller Erfolg für die Autorin und ihren Blog – inhaltlich sind jedoch einige Passagen strittig.

Kölner Stadt-Anzeiger, 08.05.2010, Titel: Kommt uns Lesern endlich näher

Interessant, dass Kölner Stadt-Anzeiger (s.o.) und Frankfurter Rundschau („Mehr Emotionen, bitte!“) zwei verschiedene Titel für denselben Beitrag wählen, während Lena Reinhard den Text überschrieb mit: „Verraten Sie es nicht weiter, aber: Ich habe da einen Traum!“ Sicherlich mit gewisser Ironie versehen, rückt dieser Ansatz ein ganz anderes Problem als Emotionalität und Leidenschaft oder das Ernstnehmen der Leser in den Mittelpunkt. Der Autorin geht es um das transparente Abomodell, bei dem sie beliebige Inhalte aus beliebigen Titeln in einem Online-Kiosk miteinander zu „Ihrer Zeitung“ kombinieren bzw. konfigurieren kann. Diesen Traum halte ich für schwer umsetzbar. Im Fall der Mediengruppe DuMont-Schauberg wird ein solcher Kiosk mit Inhalten aus den zugehörigen Titeln Kölner Stadt-Anzeiger, Frankfurter Rundschau, Berliner Zeitung und Mitteldeutsche Zeitung angedacht. Auch andere Verlage denken über Kooperationen nach. Aber Geld verdienen lässt sich damit auf Dauer vermutlich nicht zur Genüge.

Die Paid-Content-Debatte mag in eine falsche Richtung gehen. Sicher sind für Zeitungsartikel als Produkte ihre überzeugende und fesselnde Machart entscheidend. Aber der Preis spielt nach wie vor eine große Rolle, vor allem in Hinblick auf die damit verbundenen, unvermeidlichen Personalkosten. Online dominiert nach wie vor die Kostenlos-Kultur, vor mehr als zehn Jahren vermutlich bedenkenlos eingeführt, sodass viele kostenpflichtigen Printartikel heute noch online kostenfrei zu lesen sind. Das wird auf Dauer nicht so bleiben. Und vor allem Special-Interest-Themenangebote werden ihre Abonnenten finden. Der BDZV hat erst jüngst eine weit größere Zahlungsbereitschaft als angenommen unter deutschen Internetlesern festgestellt (siehe Texthilfe-Beitrag) – allerdings in einer selbst beauftragten Studie, die die Relevanz des Ergebnisses etwas schmälert. Die Verlage müssen sich über kurz oder lang auf das Risiko der Kostenpflichtigkeit im Internet einlassen.