Mit ‘Charles Darwin’ getaggte Artikel

Der Hang zum Bestätigungsfehler

Montag, 18. Oktober 2010

Ahh, ja, da habe ich wieder Rolf Dobellis löbliche Rubrik „Klarer denken“ in der FAZ entdeckt: dieses mal behandelt er den „Bestätigungsfehler“ („Confirmation Bias“) als „Vater aller Denkfehler“, wobei jeder bestätigende Fakt wohlwollend zur Kenntnis genommen, aber jeder Widerspruch ignoriert wird.

FAZ, 18.10.10: Warum Sie gut aufpassen sollten, wann immer das Wort Spezialfall fällt

Dieser Bestätigungsfehler würde besonders heftig in der Wirtschaft wüten, führt er aus, indem alle Anzeichen zur Bestätigung einer eingeschlagenen Strategie gefeiert, „gegenteilige Indizien“ jedoch „entweder gar nicht gesehen oder kurzerhand als „Spezialfälle“ oder „unvorhersehbare Schwierigkeiten“ abgetan“ würden. Eine das Gegenteil bestätigende Erkenntnis („Disconfirming Evidence“) fehle meist völlig. Als gesundes Beispiel eines Wissenschaftlers, der besonders genau hinsah, wenn eine Beobachtung seiner Erwartung widersprach, führt Rolf Dobelli Charles Darwin an.

Daran schließt sich der Tipp an, diese das Gegenteil nahelegenden Einsichten am besten direkt aufzuschreiben, da sie das Gehirn ansonsten nach spätestens einer halben Stunde aktiv ausblende. Die Darstellung eines Experimentes verdeutlicht zuletzt die Schweirigkeit, die es bereitet, von offensichtlich erscheinenden Denkmustern abzuweichen. Ein Professor lässt seine Studenten nach der Fortsetzung einer Zahlenreihe, respektive nach der ihr zugrunde liegenden Regel suchen. Die Reihe lautet „2, 4, 6“. Die meisten Studenten nennen die „8“ und dann die „10“ und treffen damit zwar die Regel, erkennen sie aber nicht.

Denn der Professor bejaht auch die Vorschläge „7“ und „9“ als passend. Um es abzukürzen: Die gesuchte Regel lautete, dass die folgende Zahl höher als die vorherige sein müsste. Aber darauf kommt „man“ ja nicht so schnell. Eine schönes Beispiel für ein ganz schön tückisches Fehlverhalten. Auf Youtube habe ich ein Video gefunden, das weitere typische Denkfehler in einem Lied zum Auswendiglernen thematisiert:

Neues aus der Tierwelt 5

Dienstag, 11. Mai 2010

Gefährlich ists den Leu zu wecken,
verderblich ist des Tigers Zahn.
Jedoch der schrecklichste der Schrecken,
das ist der Mensch in seinem Wahn.

aus „Das Lied von der Glocke“ von Friedrich Schiller (1759-1805)

Bei der Frage, wie der heutige Mensch entstanden ist, hat die Wissenschaft neue Erkentnnise erlangt, andererseits demonstriert sie auch immer wieder, wozu der Mensch nach wie vor in der Lage ist. Fast ebenso poetisch wie Schillers klassische Sentenz klingt die Überschrift vergangene Woche im Kölner Stadt-Anzeiger in Bezug auf den Nachweis von Neandertaler-DNA im menschlichen Erbgut.

Klner Stadt-Anzeiger, 07.05.2010, Titel: Sie liebten und sie kreuzten sich

Vergleichsweise einfallslos dagegen der Titel des oben verlinkten Artikels im Internet. Im Übrigen hatte der Zoologe und Evolutionsbiologe Josef Reichholf im Gastkommentar vergangenen Samstag in der Welt genau dieselbe Überschrift zum Thema gewählt, Tags zuvor formulierte Rolf H. Latussek in der Welt noch ein wenig perfider: „Wir sind alle ein bisschen Neandertaler“. „Wir“ waren Papst, „wir“ waren Handball-Weltmeister, aber wir alle sind und bleiben nicht nur Urmensch, sondern auch Neandertaler, wenigstens zu zwei bis vier Proznt unseres Genoms. Nachdem der Neandertaler bereits vor etwa 270.000 bis 400.000 Jahren aus Afrika ausgewandert war, folgten Frühmenschen erst vor etwa 80.000 Jahren und vermischten sich vermutlich „irgendwo im Nahen Osten“ – bis zu einem gewissen Grad.

Welt, 08.05.2010, Titel: Der Neandertaler in uns

Josef Reichholf beruhigt, dass sowieso etwa die Hälfte aller unserer Gene schlicht „Schrott“ sei und damit der jetzt nachgewiesene geringe Neandertaler-Bestandteil also gar nichts zu sagen habe. Im Übrigen hätten diese Kraftprotze sogar mehr Gehirnmasse gehabt als die Menschen. Die Frage also, was genau der heutige Mensch vom Neandertaler geerbt haben mag, ist noch völlig offen, wie auch diejenige danach, warum sie vor etwa 30.000 Jahren ausstarben. Vielleicht wurden sie von den sprachbegabteren, aber schwächeren Frühmenschen ausgetrickst – oder sie waren einfach friedfertiger als sie, wirft der Zoologe und Ökologe in die Diskussion. Im Neanderthal-Museum in Mettmann jedenfalls war man laut Süddeutscher Zeitung von der Neuigkeit nicht überrascht. Schon lange wird im dortigen Shop das T-Shirt mit der Aufschrift verkauft: „Ich bin stolz ein Neandertaler zu sein!“

Welt, 11.05.2010, Titel: Wie Bonobos Nein sagen

Dass uns heute auch noch einiges mit Primaten verbindet, beweist die jüngste Erkenntnis von Forschern des Leipziger Max-Planck-Instituts für Anthropologie. Demnach hätten Bonobo-Muttertiere zum Zeichen des Verbots gegenüber ihrem Nachwuchs deutlich den Kopf geschüttelt, um Nein zu sagen. Wenn Menschenmütter heute den Kopf schütteln und zu sich im Stillen „Nein!“ murmeln, schwingt dagegen meist weit mehr Verzweiflung mit, im Sinne von „Was hab ich nur falsch gemacht?“. Solche Selbstzweifel plagen Bonobos dagegen seltener. Ich habe zumindest noch nichts davon gehört.

Welt, 11.05.2010, Mäuse zeigen bei Schmerzen ähnliche Mimik wie Menschen

Allerdings tun Tiere Menschen auch kein Unheil an im Namen der Wissenschaft. Ist das nun unmenschlich, allzumenschlich oder untierisch? Kanadische Wissenschaftler an der McGill-Universität in Montreal haben nun eine Skala zur Erkennung von Schmerzen bei Mäusen anhand ihrer Mimik entwickelt. Das hat die Welt berichtet. Wenn es in dem Beitrag heißt, dass die Messung von Schmerzen bei Tieren „generell ein Problem“ sei, so werden damit keine ethischen Dimensionen berührt. Es sei einfach so schwierig, wie an der Uni Bremen, den Schmerzensgrad bei Makaken anhand von Stresshormonen im Blut oder ihren Abbauprodukten im Urin zu bestimmen.

Da ist doch die sogenannte Mäuse-Grimassenanzeige weitaus einfacher zu lesen. Sie soll nun zur Entwicklung von Schmerzmitteln für Menschen weiter voran getrieben werden. War doch schon Charles Darwin der Überzeugung, dass auch Tiere emotionale Regungen zeigen. Dass den Mäusen in Montreal dazu Mittel verabreicht werden, die schmerzhafte Entzündungen auslösen, oder genetische Mutationen vorgenommen werden, die Migräne-ähnliche Symptome auslösen, das ist eben der Preis der Forschung. Im Sinne der Wissenschaft heißt es dann auch für die Versuchstiere: Schön, wenn der Schmerz nachlässt. Ein Klassiker des Gewissenskonflikts.