Mit ‘Frank Schirrmacher’ getaggte Artikel

Wochenend-Presseschau 02-10

Montag, 11. Januar 2010

WamS, 10.01.10, Titel: Wanderkarte für Verzagte

Zweimal Welt am Sonntag, einmal NZZ und einmal die Süddeutsche vom Samstag: Das Interview mit Neon-Chef Michael Ebert muss alleine wegen der lyrischen Überschrift erwähnt werden. „Wanderkarte für Verzagte“ ist als Titel umso erstaunlicher, als zwar das Wort „Wanderkarte“ im Zusammenhang mit dem Buch „Planen oder treiben lassen“ von Michael Ebert und Timm Klotzek erwähnt wird, das Wort „Verzagte“ hingegen im gesamten WamS-Interview von Laura Ewert nicht. Allerdings trifft es auf die avisierte Mainstream-Leserschaft zu, über die Ebert nach meiner Ansicht jedoch zu Unrecht urteilt: „Die jungen Erwachsenen in Deutschland gehören zu der ersten Generation, die sich den Luxus leisten kann, darüber nachzudenken, was sie mit ihrem Leben wirklich anfangen will.“ Bestand zuvor hierzulande kein Bewusstsein?

WamS, 10.01.10, Titel: Macht uns das Internet dümmer?

Eine Antwort auf die Frage, wohin sich die Menschheit in Sachen Intelligenz tendenziell bewegt, ist auch von Alan Posener wahrscheinlich nicht zu erwarten. Allerdings wirft er die Frage im Feuilleton der Welt am Sonntag erneut auf, nachdem sein Kollege Frank Schirrmacher – ganz in seinem Element oder vielleicht noch ein wenig im Taumel des Erfolgs seines Buches „Payback“ – vergangenen Freitag bereits den Feuilleton-Teil der FAZ diesem Thema gewidmet hatte. Um der Wahrheit zur Ehre zu gereichen: Anlass ist die Veröffentlichung von John Brockman, der 114 Peronen aus dem angelsächsischen Raum fragte: „Wie verändert das Internet die Art, wie Sie denken?“

Gegenüber den ausführlichen Antworten in der FAZ liefert Alan Posener eine Zusammenfassung, der zufolge sich Optimisten und Pessimisten in ihren Einschätzungen die Waage halten, ebenso wie das Internet die Gesellschaft gleichermaßen verbinden wie fragmentieren könne. Einerseits würden vorübergehende Moden vorübergehend gehypt, andererseits sei auf viele wissenschaftlichen Informationen selbst in Wikipedia erstaunlich oft Verlass. Entsprechend der Umstellung von mündlicher Tradition auf die Buchkunst verändere sich das Gedächtnis und die Erinnerungsfähigkeit des Menschen nun wieder, wird Gerd Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin abschließend angeführt.

NZZ, 09.0110, Titel: Unterm Stilett

Akzeptanz von Informationen und von Geschriebenem hat immer auch mit der stilistischen Aufbereitung zu tun. Insofern von höchstem Interesse die Einlassungen des Professors für Kunstwissenschaft und Medientheorie Beat Wyss. Das Wort „Stil“ kann demgemäß sowohl vom lateinischen „instigare“ (zuspitzen, aufregen) als auch von „stilus“, dem Griffel abgeleitet werden. Dieser Wortgebrauch stammt wiederum vom spitzen Bolzen, der ein Opfer in der Falle aufspießt – keine schöne Vorstellung von schreiberischen Absichten. Allerdings sorge der Stil doch für eine Zuspitzung des Gesagten in Richtung großer Gefühle. „Es ist der spitze Griffel, der Stichel der Künstlichkeit, der uns die vollendete Form unter das träge Fettgewebe des nackten Lebens einschreibt“, so seine zugespitzte Conclusio, der ich nichts hinzuzufügen habe.

Süddeutsche Zeitung, 09.01.10, Titel: Humor-Berater

Zuletzt eine Anekdote über Erfolg, der ebenfalls mit Stilfragen zu tun hat, sowie mit psychologischer Bereitschaft zur Auseinandersetzung. Das überragende österreichische Skispringerteam leistet sich den Luxus eines Humor-Beraters. Der 49jährige Johnathan Briefs hat zweimal mit den Springern Improvisationstheaterkurse durchgeführt, um teaminterne Spannungen zu lösen, Perspektivwechsel vorzunehmen zu können und die für den Erfolg benötigte Leichtigkeit zurückzuerobern. Allerdings sieht er sich nicht als Geheimwaffe, auch wenn der Schweizer Olympiasieger Simon Ammann sichtlich verdattert war, nachdem sich ihm der Coach als Humor-Berater der österreichischen Mannschaft vorgestellt hatte.

Wunsch-Angst-Spirale des Kontrollverlusts

Dienstag, 08. Dezember 2009

NZZ, 05.12.2009, Titel Schirrmacher-Besprechung

Besprechung von Frank Schirrmachers neuem Buch „Payback“ in der Neuen Zürcher Zeitung. „Erschöpftes Ich in Datenfluten„, so lyrisch der Titel des Feuilleton-Artikels, so gehaltvoll seine Ausführung. Dem Autoren Uwe Justus Wenzel gelingt es jeweils in wenigen Sätzen die Position des Mitherausgebers der FAZ klarzumachen („Kulturkritik (…) hält (…) Technikbegeisterung die Waage“, wenngleich der Pessimismus zu überwiegen scheint),  Schirrmachers Methode zu erläutern („unter Rückgriff auf neuere Untersuchungen aus Psychologie und Nerurobiologie“ – „Multitasking als Symptom“) als auch den Ursachenhorizont  des beschriebenen Phänomens zu beleuchten: „Er macht beiläufig, aber mehr als einmal ein Wunsch-Angst-Gespann verantwortlich für das, was geschieht: den Wunsch nach Kontrolle über unser Leben und die Angst vor Kontrollverlust.“

Demnach spielt sich – in den zu Grunde gelegten Fällen der Technik-Obessivität – eine Spirale des Kontrollverlusts ab: je stärker der Mensch in die Technik investiert, um sein leben zu kontrollieren, umso mehr gibt er die Kontrolle ab. Die Phänomene sind uns gut bekannt: Schon wenn die TV-Fernbedienung nicht mehr geht, wenn der Drucker ausfällt, wenn beim Surfen die Internetverbindung abbricht oder wenn das Navi eine Einbahnstraße nicht als solche gespeichert hat. Natürlich bestehen immer Alternativen, mit diesen Situationen umzugehen. Nur, dieser Zustand der machtlosen Abhängigkeit von der Technik nervt.

Der Ausgang aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit, sprich wie ich mich in dieser Situation verhalte, liegt meines Erachtens an jedem selbst. Immanuel Kant schrieb 1784 zur „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?„: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“ Der Verstand ist der Schlüssel dazu, jedwede Information aus all den verfügbaren Kanälen zu eigenem Wissen zu verarbeiten.

Uwe Justus Wenzel versucht den von Schirrmacher dazu empfohlenen Perspektivwechsel mit einer Utopie zu verdeutlichen, die an Hermann Hesses „Glasperlenspiel“ angelehnt ist, „in der der Umgang mit Informationen nicht mehr vom nie zu stillenden Hunger geprägt wird, sondern vom Spiel“. Der Rezensent schreibt, dass das Buch „seiner – spielerischen – Machart nach bereits einen Vorgeschmack von ihrer Verwirklichung“ liefert (der der Utopie). Das Spielerische gefällt mir gut, auch wenn wir dabei Spuren im Netz hinterlassen. Heißt das Buch deswegen „Payback“, weil wir „die Rechnung erhalten“ für alles , was wir tun? Andere Spuren im Netz hierzu beim WDR- Jugendsender Eins Live: „Selber Denken!„, „Kein Kommentar“ bei WDR 5 von Uli Höhmann: „Planlos plan und so flat wie die rate“ sowie zahlreiche Rezensionsnotizen bei perlentaucher.de.

Das Cover von Frank Schirrmacher: Payback

Karl Blessing Verlag, München 2009
ISBN-10 389667336X
ISBN-13 9783896673367
Gebunden, 200 Seiten, 17,95 EUR