Mit ‘Multitasking’ getaggte Artikel

Die Mär vom Multitasking

Dienstag, 29. Juni 2010

Der Legende nach soll schon Cäsar ein hervorragender Multitakser gewesen sein, der neben dem Fernsehen telefonieren konnte und parallel dazu Befehle an seine Truppen gab. Aber diese Legende kann ja gar nicht stimmen – angeblich sind doch nur Frauen multitaskingfähig! Doch dann musste ich am Wochenende im Kölner Stadt-Anzeiger lesen:

Kölner Stadt-Anzeiger, 26.06.10, Titel: Frauen sind keine besseren Multitasker

Einer Studie des Instituts für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung zufolge können Frauen mehrere Aufgaben gleichzeitig auch nicht besser handhaben als Männer. Jüngere sind dabei auch nicht besser als Ältere, hieß es weiter. Das einzige, für alle Gruppen übereinstimmende Ergebnis war, dass sich der psychische Druck auf die Studienteilnehmer erhöhte, der Herzschlag scih beschleunigte, sie angespannter waren und sie insgesamt die Aufgaben schlechter bewältigten. Das führt mich unmittelbar zu einem anderen Artikel des vergangenen Wochenendes von Wieland Freund aus der Welt:

Die Welt, 26.06.10, Titel: Entschleunigt die Philosophen

Der Autor geht in seinem Kommentar bereits davon aus, dass die Vorstellung, Frauen seine multitaskingfähiger (so 80% der Befragten einer Intel-Studie im Jahr 2003), überholt ist. Über Frank Schirrmachers Slogan „Multitasking ist Körperverletzung“ (der sich mit der oben zitierten Studie deckt) gelangt Wieland Freund zu Rüdiger Safranski, der im Rahmen der „Salzburger Vorlesungen“ eine „Rückgewinnung der Zeitsouveränität“ propagierte. Biorhythmen passten sich an „die Maschinenzeit“ an.

Gegenüber bestehenden Forderungen zur Entschleunigung in Bereichen wie „Slow Food„, „Slow Media“ oder „Slow Fiction“ sprach Safranski hierbei von „Slow Money“. Gemeint ist damit eine Entschleunigung des Finanzmarktes, der unter Zeitdruck („Zeit ist Geld“) schnelle Entscheidungen trifft, während die Politik einerseits demokratische Abläufe zu beachten hat, andererseits aber zum Opfer der Echtzeit-Kommunikation auf allen Kanälen wird. Während früher die allermeisten Ereignisse außerhalb des eigenen Wirkkreises in der Vergangenheitsform erlebt wurden und nur durch das Wort transportiert wurden, sind wir heute durch eine Bilderflut und Erlebnisdichte in Echtzeit überfordert.

Wieland Freund schließt mit der geistreichen Sentenz, dass die Politik – die zunehmend auf das Erlebnis im Futur setze – nicht zuletzt deshalb langsam sei, „weil sie ständig vorauseilt“. Die Frage ist nun, hat der Schlagzeilen-Redakteur des Welt-Feuilletons etwas daneben gegriffen oder trifft eine „Entschleunigung der Philosophen“ tatsächlich den Kern des diskutierten Problems? Die Politik kann nicht das Tempo der Finanz- und Wirtschaftswelt annehmen. Vermutlich sollte die auf Produktivität getrimmte Gesellschaft auch aus Gründen des Umweltschutzes dringend ihren Leistungsanspruch zurückschrauben.

Rüdiger Safranski zitiert Wilhelm Humboldt, der als einer der ersten das Ideal einer liberalen Gesellschaft paradox formulierte: „Die ganze Gesellschaft ist dazu da, dass die Einzelnen eine Lust verspüren ein Ich zu sein.“ Das Ich definiert sich aber mitnichten nur durch Arbeit. Insofern ist eher eine Entschleunigung der Ökonomie gefordert, oder wie es im Text heißt: „Entschleunigt die Banken!“ Glechzeitig stellt Rüdiger Safranski klar, dass die Politik nicht auf der Höhe der Zeit ist, weil sie nicht begreift, dass die Ökonomie – nach ihrer Rettung durch die Politik – bereits von der Gnade der Politik abhängig ist.

Wunsch-Angst-Spirale des Kontrollverlusts

Dienstag, 08. Dezember 2009

NZZ, 05.12.2009, Titel Schirrmacher-Besprechung

Besprechung von Frank Schirrmachers neuem Buch „Payback“ in der Neuen Zürcher Zeitung. „Erschöpftes Ich in Datenfluten„, so lyrisch der Titel des Feuilleton-Artikels, so gehaltvoll seine Ausführung. Dem Autoren Uwe Justus Wenzel gelingt es jeweils in wenigen Sätzen die Position des Mitherausgebers der FAZ klarzumachen („Kulturkritik (…) hält (…) Technikbegeisterung die Waage“, wenngleich der Pessimismus zu überwiegen scheint),  Schirrmachers Methode zu erläutern („unter Rückgriff auf neuere Untersuchungen aus Psychologie und Nerurobiologie“ – „Multitasking als Symptom“) als auch den Ursachenhorizont  des beschriebenen Phänomens zu beleuchten: „Er macht beiläufig, aber mehr als einmal ein Wunsch-Angst-Gespann verantwortlich für das, was geschieht: den Wunsch nach Kontrolle über unser Leben und die Angst vor Kontrollverlust.“

Demnach spielt sich – in den zu Grunde gelegten Fällen der Technik-Obessivität – eine Spirale des Kontrollverlusts ab: je stärker der Mensch in die Technik investiert, um sein leben zu kontrollieren, umso mehr gibt er die Kontrolle ab. Die Phänomene sind uns gut bekannt: Schon wenn die TV-Fernbedienung nicht mehr geht, wenn der Drucker ausfällt, wenn beim Surfen die Internetverbindung abbricht oder wenn das Navi eine Einbahnstraße nicht als solche gespeichert hat. Natürlich bestehen immer Alternativen, mit diesen Situationen umzugehen. Nur, dieser Zustand der machtlosen Abhängigkeit von der Technik nervt.

Der Ausgang aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit, sprich wie ich mich in dieser Situation verhalte, liegt meines Erachtens an jedem selbst. Immanuel Kant schrieb 1784 zur „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?„: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“ Der Verstand ist der Schlüssel dazu, jedwede Information aus all den verfügbaren Kanälen zu eigenem Wissen zu verarbeiten.

Uwe Justus Wenzel versucht den von Schirrmacher dazu empfohlenen Perspektivwechsel mit einer Utopie zu verdeutlichen, die an Hermann Hesses „Glasperlenspiel“ angelehnt ist, „in der der Umgang mit Informationen nicht mehr vom nie zu stillenden Hunger geprägt wird, sondern vom Spiel“. Der Rezensent schreibt, dass das Buch „seiner – spielerischen – Machart nach bereits einen Vorgeschmack von ihrer Verwirklichung“ liefert (der der Utopie). Das Spielerische gefällt mir gut, auch wenn wir dabei Spuren im Netz hinterlassen. Heißt das Buch deswegen „Payback“, weil wir „die Rechnung erhalten“ für alles , was wir tun? Andere Spuren im Netz hierzu beim WDR- Jugendsender Eins Live: „Selber Denken!„, „Kein Kommentar“ bei WDR 5 von Uli Höhmann: „Planlos plan und so flat wie die rate“ sowie zahlreiche Rezensionsnotizen bei perlentaucher.de.

Das Cover von Frank Schirrmacher: Payback

Karl Blessing Verlag, München 2009
ISBN-10 389667336X
ISBN-13 9783896673367
Gebunden, 200 Seiten, 17,95 EUR