Es ist kaum zu glauben. Vor vier Tagen sah der kleine Vogel, der uns zugeflogen ist (ich berichtete) und den wir „Sky“ nannten, so aus wie unten. Seitdem konnten wir jeden Tag wachsende Federn bestaunen, sprießenden Flaum erst am Kragen, dann am ganzen Körper, sodass aus dem hautigen, häßlichen Küken ein richtiger kleiner Spatz heranreifte. Und dann ist ein kleines Wunder geschehen: Der Spatzenclan in unserem Block hat den Vogel wieder aufgenommen. Das Auswildern ging ganz plötzlich – viel schneller, als wir es uns erwartet hätten.
Genau eine Woche ist es her, dass das Jungtier aus dem Nest gefallen war und wie durch ein Wunder den Sturz auf die Markise und isn Gras unverletzt überlebte. Wir haben das Tier vor allem mit Mehlwürmern gefüttert, jede Stunde erst, dann alle eineinhalb Stunden mit steigenden Rationen (erst fünf, dann sieben, schließlich zehn Würmer pro Mahlzeit).
Während der Fütterungen per Pinzette immer das gleiche Spiel: Plötzlich dreht sich der Vogel um, setzt seinen (ummantelten) Schiss ab und bettelt weiter, bis er satt ist. Danach zieht er sich unter den Stoffhund zurück. Teilweise ließ er sich auch in die Hand nehmen und wärmen. Abends schläft der kleine Vogel erst in einem Karton, dann in einer Kiste. Das sind unvergessliche Erlebnisse. Die prompte Auswilederung müssen wir jetzt erst einmal wegstecken…
Allerdings bahnte sich die letztlich doch positive Entwicklung an. Der Jungspatz tschilpte laut und machte damit auch seine Elterntiere mit dem Nest unterm Giebel unseres Hauses auf sich aufmerksam. Das Muttertier landete häufiger auf der Terrasse, um nach dem Nachwuchs zu sehen, den es offenbar anhand der Stimme identifizierte. Innerhalb von zwei Tagen wurde aus der Zutraulichkeit wieder aktive Nestpflege. Gestern erst begann das Muttertier die grüne Kiste anzufliegen und begab sich dann auch vereinzelt hinein.
Heute schließlich (leider nicht mit Fotos dokumentiert) lockt ein ganzer Spatzenschwarm (etwa sechs Vögel, vermutlich drei Paare) das Jungtier aus der Kiste hinaus. Die Mutter füttert ihn nonstop. Gleichzeitig ist aus dem Nestling plötzlich ein Ästling geworden. Das kräftige Federnwachstum befähigt ihn nun schon kurze Strecken zu fliegen – kaum vorstellbar angesichts des obigen Fotos von vor nur vier Tagen. Ihm gelingt die Flucht aus dem Kasten, einmal holen wir ihn zurück, ein zweites mal – beim dritten mal lassen wir ihn ziehen.
Die Mutter dirigiert ihn zu einem geschützten Platz im kaum genutzten Nachbargarten, der Jungvogel kann bereits erste Strecken zurücklegen. Eine ganz erstaunliche Entwicklung – und ein ganz erstaunliches Sozialverhalten, das uns aus der Vogelwelt nicht bekannt war. Im Nest unterm Dachgiebel scheint nur noch ein weiteres Jungtier zu sitzen, sodass sich das offenbar erfahrene Elternpaar um beide Spatzen kümmern kann. Wir sind verdutzt, etwas stolz und auch glücklich, dass wir den kleinen Spatzen durchgebracht zu haben scheinen – nach nur einer Woche bei uns zu Gast.