Mit ‘Sprachentwicklung’ getaggte Artikel

Nicht nur diesen Freitag ist Vorlesetag

Mittwoch, 24. November 2010

Die Stiftung Lesen und die Zeit veranstalten an Freitag, den 26. November zum 7. Mal den bundesweiten Vorlesetag. Mit dem Vorlesen werden so grundlegenden Fähigkeiten wie die Sprachentwicklung, Konzentrationsfähigkeit und soziale Kompetenz gefördert. Daneben erhöht Vorlesen bei Vorschuls- und Grundschulkindern auch die Lust am eigenständigen Lesen, was Christine Haderthauer als Lesepatin  den „wichtigsten Baustein zum Bildungserfolg“ nennt. In Köln sind nicht nur so prominente Paten wie Henning Krautmacher und Manuel Andrack  mit von der Partie, sondern auch der oft im Dienst der Kinder und im Dienst der kölschen Sprache tätige Musiker Björn Heuser.

Der kölsche Musiker Björn Heuser liest Kindern vor

Seit dem Start des Projektes „Björns Bärenbande – neue kölsche Kinderlieder“ im März dieses Jahres wurden hunderte Kinder bei Konzerten in KiTas und Schulen zum Mitsingen „op kölsch“ motiviert. Auch im Rahmen des „Köln-Sommers“ und beim großen Weltkindertag im September stand er mit seiner Bärenbande erfolgreich auf der Bühne. Nun tritt Björn Heuser als Pate des bundesweiten Vorlesetages im Kindergarten „An St. Peter“ in Köln-Ehrenfeld auf, zwischen 10:00 Uhr und 11:30 Uhr wird er am Freitag, 26. November 2010, den Kindern spannende und mitreißende Geschichten erzählen, und natürlich auch gemeinsam mit ihnen singen.

 „Gerade in Zeiten, wo die modernen Unterhaltungsmedien viel zu sehr in die Lebenswelt der Kinder involviert werden, finde ich es äußerst wichtig, dass wieder mehr vorgelesen wird“, erklärt Björn Heuser: „Um die Phantasie der Kinder zu fördern, eignet sich das Vorlesen deutlich besser als beispielsweise das TV-Gerät.“ Eine Überzeugung, der ich mich nur anschließen kann, und die mit dem Wunsch verbunden ist, dass möglichst nicht nur an diesem bundesweiten Vorlesetag Kinder in den Genuss des Vorlesens kommen, sondern wenigstens gelegentlich auch abends vor dem Einschlafen.

Ist das Deutsche noch zu retten?

Dienstag, 06. April 2010

Zwei Besprechungen des neuen Buches des Kölner Germanisten Karl-Heinz Göttert: „Deutsch. Biografie einer Sprache“ mit unterschiedlichem Tenor (Texthilfe berichtete über einen Welt-Beitrag des Autors): Zum Einen das Interview von Matthias Heine mit dem Autor in der Welt (in der Print-Version: „Man spricht Deutsch“), zum Anderen die kritische Rezension von Hans-Martin Gauger in der FAZ unter nachfolgendem Titel:

FAZ, 06.04.2010, Titel: Unsere Sprache ist nicht die reine Unschuld

Im Welt-Interview geht es um interessantes Wissen, beginnend mit der zweiten Lautverschiebung, die den Startpunkt einer deutschen Sprache markiert, über die Ausbreitung des Süddeutschen nach Norden hin, ohne dass die im 15. Jahrhundert niedergehende Macht der Hanse diesen Prozess behindert hätte, bis hin zu den starken Einflüssen von Martin Luther, der nicht nur den Wortschatz bereicherte, sondern auch die Großschreibung von Substantiven einführte, und den Brüdern Grimm mit ihrem „Deutschen Wörterbuch“. Später wird auch der Punkt aus einem Aufsatz von Karl-Heinz Göttert thematisiert, wonach er das Deutsche aktuell nicht durch das Englische bedroht sieht (s. den älterenTexthilfe-Eintrag).

Die FAZ-Besprechung hingegen zieht zunächst die Methode in Frage – ob anstatt der „rektochronologischen“ nicht eine „retrochronologische“ Herangehensweise (von heute zurück bis zum Beginn der Sprache) angemessener gewesen wäre? – und macht dem Autor zum Vorwurf, er vergleiche zu wenig mit den Entwicklungen anderer Sprachen, er schweife häufig von der Sprach- zu einer Literaturgeschichte ab und schließlich, er formuliere einerseits zu locker, andererseits für Laien dennoch nicht nachvollziehbar. Noch spannender: Hans-Martin Gauger weist dem Buchautioren zahlreiche historische Fehler nach (deren Stimmigkeit ich nicht kontrollieren kann): „Es fehlt Plasbergs „Faktencheck“.“

Demnach sei das Elsässische noch heute und nicht wie im Vorwort behauptet nur bis vor zwei Generationen vorhanden. Demnach habe König Ludwig der XI. nie ein Edikt erlassen, dass alle Franzosen zum Sprechen des „Île de France“-Französischen genötigt habe. Demnach sei die Zuordnung des Wortes „Eid“ zum Keltischen strittig. Demnach sei im 9. Jahrhundert in Frankreich kein „Vulgärlateinisch“, sondern zwischenzeitlich ein „Galloromanisch“ gesprochen worden. Demnach habe der ängstliche Descartes die Aufklärung nicht losgetreten. Demnachkönne Francis Bacon nicht als „Erzrationalist“ sondern viel eher als „Erzempirist“ bezeichnet werden.

Weiter wird akribisch aufgeführt: Der Sprachkritiker Fritz Mauthner habe mit seinen „Beiträgen zu einer Kritik der Sprache“ 1901/1902 Nietzsche nicht beeinflusst, da dieser bereits 1900 gestorben sei. Die Dresdner Bombennacht habe nicht im März, sondern am 13. und 14. Februar 1945 stattgefunden. Victor Klemperer habe klar unterschieden zwischen der deutschen Sprache und der „Sprache des Dritten Reichs“ („Lingua Tertii Imperii“). In Bezug auf die Rechtschreibdebatte stellt der FAZ-Autor klar, die „Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung“ gehöre dem „Deutschen Sprachrat“ nicht an.

Die Kritikpunkte gipfeln in der Ausführung, dass es für Göttert keine Verführung durch Sprache gebe: „Es ist nie die Sprache. Die ist immer die reine Unschuld.“ In diesem Zusammenhang bezweifelt Gauger auch dessen Haltung zur Gefahr, die dem Deutschen vom Englischen drohe: „Übrigens ist dies keine wissenschaftlich zu entscheidende Frage, denn da gibt es nur schwach zu begründende Vermutungen.“ In seiner Conclusio versteigt sich Hans-Martin Gauger: Weil Götterts Verneinung der Gefahr ein unsicherer Analogieschluss unter Verweis auf die Vormacht des Französischen im 17. Jahrhundert sei, dürfe er sich auch nicht gegen Andersdenkende wenden. Denn damals hätte nur „eine massive, organisierte und zum Teil hochnationalistische Gegenwehr“ die Überflutung vermieden.

Göttert sagt in der Welt, das Deutsche wurde damals gerettet, „weil das Bürgertum sich durchgesetzt hat“, da „war die Sache des Französischen hierzulande verloren“. Ich betrachte diesen Punkt ähnlich pragmatisch: Die Sprache ist lebendig. Letztlich haben wir als Gemeinschaft ebenso wie die Regierung und das Fernsehprogramm auch die Sprache, die wir verdienen. Gespannt bin ich allerdings auf die Antworten Karl-Heinz Götterts auf die zahlreichen weiteren Vorwürfe.