Mit ‘Bankenkrise’ getaggte Artikel

Verschuldungs- ohne Verschwörungstheorie

Samstag, 02. Januar 2010

Interesanter Neujahrsaufmacher im Wirtschaftsteil des Kölner Stadt-Anzeigers: „Wem gehört Deutschland?“ fragt Peter Hahne in Hinblick auf die neue Rekordverschuldung des Bundes, denn: siehe Untertitel:

Kölner Stadt-Anzeiger, 02.01.10, Titel: Wem gehört Deutschland?

Die Story liest sich spannend wie eine Kriminalgeschichte, die es mit Einschränkungen auch sein dürfte. Denn – soweit möglich von den politischen Notwendigkeiten einmal abgesehen – grenzt es nicht an ein Verbrechen, die Staatsverschuldung pro Sekunde um mehr als 4.000 Euro anwachsen zu lassen? Das bedeutet aktuell eine Pro-Kopf-Belastung (inklusive aller Babies und Senioren) von mehr als 20.000 Euro (vgl. aktuelle Angaben). Wer diese Staatverschudlung einmal zurück zahlen sollte? Dazu gibt es keine ehrliche Antwort, außer „die nachfolgenden Generationen“.

Die Ergebnisse der Recherche lauten zusammengefasst: Eine „Bundesrepublik Deutschland-Finanzagentur“ in Frankfurt am Main managt die Geldgeschäfte des Bundes, um z.B. für 2010 die von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble durchgesetzte Neuverschudlung von 357 Milliarden Euro zur refinanzieren. Die Eigentümer- und Schuldnerstruktur des Staates ist jedoch nicht bekannt. Peter Hahne hat nur in Erfahrung gebracht, dass im Prinzip jeder Bundesobligationen kaufen kann und dafür in einem Schuldbuchkonto vermerkt wird. Zudem präsentiert er die Zahlen der Bundesbank, dass aktuell Papiere für etwa 700 Milliarden Euro im Inland liegen (davon 400 Milliarden bei Geldinstituten und 300 Milliarden bei anderen Unternehmen), dazu Papiere für weitere 900 Milliarden Euro im Ausland.

Die Schlussfolgerung: die Banken profitieren von diesen sicheren Staatsanleihen, indem sie etwa für ein Prozent Geld bei der Notenbank leihen und es in diese Bundesobligationen investieren, die ein paar Prozent mehr abwerfen. Wohlgemerkt auf Kosten des Steuerzahlers. Diesen Aspekt greift auch Jörg Wagner im Kommentar in derselben Zeitung auf: diese langweiligen, aber sicheren Geschäfte ersetzen aktuell (in einem gewissen Umfang für eine gewisse Zeit) die hochspekulativen, die zuletzt zur Bankenkrise geführt hatten. Damit, so Jörg Wagner, profitierten die Banken zwar stärker als Privatanleger, aber zumindest bänden sie ihre Mittel in sicherere Anlageklassen.

Ansicht des Berliner Reichstagsgebäudes

Das eigentlich Erschreckende – weitab von Verschwörungstheorien, wem Deutschland denn gehöre, etwa den Illuminaten oder der Hochfinanz (sic!) –  ist der Gedanke, dass Deutschland  „Dem Deutschen Volke“ gehören sollte, gemäß der Inschrift auf dem Berliner Reichstagsgebäude, und dass dieser Sachverhalt nunmehr umgedreht ist: Die Deutschen gehören dem Staat, indem dieser sie samt Nachfahren mit stetig steigender Pro-Kopf-Verschuldung in die vernachlässigte Verantwortung nimmt.

Überblick ist Illusion, Umsicht ist Pflicht

Donnerstag, 26. November 2009

Die 37. Römerberggespräche drehten sich im Frankfurter Schauspielhaus um die „Krise des Überblicks„. „Illusionen des Überblicks“ hieß der Eröffnungsvortrag des Philosophen Martin Seel, in dem er statt dieser für ein philosophisches Denken warb, das wie eine „Kamerafahrt vom Panoramabild mitten ins menschliche Getümmel“ verläuft. So zitiert ihn Thorsten Gräbe im Feuilleton der FAZ am vergangenen Montag (online nicht verfügbar).

Screenshot der Aktuell-Seite von www.roemerberggespraeche-ffm.de

Matthias Arning stellte in der Frankfurter Rundschau bereits vor den Gesprächen nicht nur Martin Seel, sondern auch Harald Welzer vor, Sozialpsychologe am Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen und Dozent an der Privatuni Witten-Herdecke, der unter anderem die Studie „Opa war kein Nazi“ geschrieben hat. Ihm zufolge geht es – ob in Bezug auf den Solidaritätspakt oder auf den Klimawandel – darum, bisher Bewährtes, mittlerweile aber Chancenloses zu ersetzen (sein neues Buch, zusammen mit Klaus Leggewie heißt: „Das Ende der Welt, wie wir sie kannten“). Er war denn gemäß Rudolf Walther auch der einzige, der die „Grenzen des Systems“ nicht im Kapitalismus, sondern im Klima verortete.

Harald Welzer hat nach Angabe von Thorsten Gräbe sein Publikum kritisiert: „Sie applaudieren immer zu schnell“, und warf den vorrangig über sechszigjährigen Zuhörern vor, kritischen Äußerungen vor allem deshalb Applaus zu spenden, um eine einfache Schuldzuweisung vorzunehmen. Weitere Redner sprachen das Publikum direkt an, Thorsten Gräbe bezeichnet es als „mit den Römerberggesprächen gealtert, jüngere Gesichter waren kaum zu sehen.“ Damit kommt er noch einmal auf Harald Welzer zurück, der von einer „Desynchronisation“ zwischen den Generationen sprach. Die konstatierte Generationenungerechtigkeit, während gegenwärtig das Funktionieren unserer Welt simuliert werde, bekamen daher nur wenige jüngere Menschen mit, die an diesem Zustand möglicherweise etwas ändern könnten. Auch die Berichterstattung über die zweifellos hochinteressanten Gespräche blieb vergleichsweise gering.

FAZ, 23.11.2009, Überschrift des Beitrags von Thorsten Gräbe

Rudolf Walther bezeichnet im Feuilleton der Frankfurter Rundschau am vergangenen Montag die diesjährige Themenwahl als besonders gelungen, denn sie hat “ Berufsgruppen zum Thema gemacht, die sich wie keine anderen blamiert haben in der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise – die Ökonomen, Wirtschaftsexperten, Prognostiker und Analysten“. Auch er greift den Einführungsvortrag von Martin Seel auf, wonach menschliches Handeln immer Alternativen und Risiken birgt und daher durch Umsicht, Bescheidenheit und Selbstreflexion bestimmt sein sollte.

„Das Gelegenheitsfenster, das die Krise geöffnet habe, sei nicht genutzt worden“, zitiert Thorsten Gräbe in der FAZ Harald Welzer. Ebenso wenig wurde die Chance zur Öffentlichkeitsarbeit genutzt, auf die vorrangig ökonomischen Themen, unter anderem zu Stichwörtern wie „Homogenisierung der tonangebenden Eliten“, in Abhängigkeit davon sinkende Realisierungschancen von Prognosen, die momentane „Selbstzerstörung der Wirtschaft“, „kriminell zu nennendes Fehlverhalten der Banken“, „Kontrolldefizite aufgrund von Politikversagen“ (Rudolf Walther in der Frankfurter Rundschau).

So die Pointe im Vortrag  von Martin Hellwig, Mitglied im Lenkungsrat, der die staatlichen Mittel zur Rettung privater Banken und Betriebe verteilt, dass es „Banken bei vielen Regulierungsvorschriften gelungen ist, den Behörden ihre eigenen Vorstellungen als die „richtigen“ und „praktikablen“ einzureden“. Diese und andere Erkenntnisse hätten nach meinem Dafürhalten im Sinne der „Umsicht, Bescheidenheit und Selbstreflexion“ auf jeden Fall weitaus mehr öffentliche Resonanz verdient. Dies ist mein bescheidener Beitrag dazu.