Mit ‘Globalisierung’ getaggte Artikel

Öffnung und Identität passen zusammen

Dienstag, 16. März 2010

Die Welt, 11.03.10, Titel: Deutsch hat Zukunft

Am vergangenen Wochenende ist ein neues Buch des Germanistik-Professors und Autors historischer Kriminalromane Karl-Heinz Göttert mit dem Titel „Deutsch. Biografie einer Sprache“ erschienen. Dazu hatte die Welt  bereits vorab einen Auszug unter obigem Titel gebracht. Tenor: „Solange unsere Sprache offen bleibt für Veränderungen, braucht sich keiner um ihren Fortbestand zu sorgen“.

Zum Auftakt des Essays wendet sich der Autor gegen die These des Sprachwissenschaftlers Jürgen Trabant, wonach Englisch (resp. „Globalesisch“) an die Stelle des Hochdeutschen trete und  – ähnlich wie in der Schweiz – der Dialekt vor allem im familiären Gebrauch an Bedeutung gewinne. Daraufhin lässt er Zahlen sprechen: Von den weltweit rund 121 Millionen Sprechern des Deutschen leben rund 110 Millionen in Europa. Damit behauptet Deutsch einen Platz unter den Top Ten der meistgesprochenen Sprachen weltweit, wenn auch freilich hinter dem Englischen (427 Millionen Sprecher weltweit, aber nur 61 Millionen in Europa). Zusammen mit den Fremdsprachlern überwiegen die des Englisch Mächtigen jedoch auch in Europa: 51 Prozent aller Europäer sprechen Englisch, Deutsch aber „nur“ 31 Prozent und Französisch sogar „nur“ 28 Prozent.

Darauf aufbauend rückt Karl-Heinz Göttert die Perspektive zurecht: Englisch, so seine These, ist das neue Latein als freie Sprache (lingua franca), wenn auch mit Abstrichen, denn Latein war im Gegensatz zum Englischen nie eine Muttersprache. Vor allem für Deutschland schlussfolgert er: „das Modell einer Übereinstimmung von Sprache und Nation im Sinne des 19. Jahrhunderts (…) wird immer wirklichkeitsfremder“. Deutschland müsse sich gerade in seiner Sprachpolitik auf Migranten und ihre deutschen Nachfahren einstellen („Deutsch lernen, ohne auf die Muttersprache zu verzichten“). Während das Deutsche von außen also Englisch bedrängt und es von innen im Wettbewerb mit zahlreichen anderen Sprachen steht, bestehe dennoch kein Anlass zur Sorge.

Am Beispiel des Einwanderungslandes Australiens verdeutlicht er mit dem neuseeländischen Germanisten Michael Clyne , dass eine „Wende zu Mehrsprachigkeit und Multikulturalität“ eine Nation in keiner Weise schwächen müsse: „Die Zukunft des Deutschen liegt darin, sich in einem vielsprachigen Europa und einer mehrsprachigen Deutschland zu behaupten.“ Einheit und Vielfalt müssten zusammengedacht werden, fordert er weiter, und: „Die Herausforderung ist nicht, die eigene Identität aufzugeben, sondern sie mit anderen zusammenzubringen.“ Heute ginge die Mehrsprachigkeit erstmals nicht von Gebildeten aus, sondern werde von der Globalisierung aufgezwungen. Abschließend urteilt er, wir müssten uns vor einer weiteren Öffnung Deutschlands nicht fürchten, insbesondere, wenn wir unsere Geschichte kennten. Richtig, zu beidem besteht keine Alternative: Die Geschichte zu kennen und sich weiter zu öffnen.

Wochenend-Presseschau 03-10

Montag, 18. Januar 2010

Entschleunigung in der „Karrierewelt“, Interviews mit Jaron Lanier in der Samstags-FAZ und mit Jeremy Rifkin in der WamS. Um mit dem Letztgenannten zu beginnen, der Leiter der von ihm gegründeten Foundation of Economic Trends, Jeremy Rifkin, warnt im Interview mit Matthias Wulff in der WamS davor, dass die Menschheit trotz wachsender globaler Empathie zielstrebig auf ihre eigene Vernichtung zusteuert. Anlass des Gesprächs ist das heute im Campus-Verlag erscheinende neue Buch „Die empathische Zivilisation“.

Im Gespräch gibt der streitbare Wissenschaftler Energie- und Kommunikationsrevolutionen als Ursachen für einen Bewusstseinswandel der Menschheit an (Beispiel: obwohl der Buchdruck schon länger existierte, ermöglichte erst die kohlegetriebene Dampftechnik den Betrieb moderner Druckerpressen). Heute sieht er die dritte industrielle Revolution in Vorbereitung, wodurch die globale Menschheit zur erweiterten Familie jedes einzelnen werde. Gleichzeitig verringere sich aktuell erstmals bei einem Umbruch der Kommunikationstechnik der durchschnittlich verfügbare Wortzschatz der Kinder.

Als heutige Aufgabe skizziert Rifkin das „Empathie-Entropie-Paradox“ zu durchbrechen (wir kommen uns global zwar sehr viel näher, auch in unserem gegenseitigen Verständnis, aber dabei verbrauchen wir unglaubliche Mengen an Energie). Lösungsansätze sieht er im Hausbau (Umbau von Häusern zu „Kraftwerken“ mit positiver Energiebilanz) sowie im Anpassen der Denkgebäude von Kategorien des 18. Jahrhunderts („autonome, materialistische Individueen“) auf heutige Anforderungen („globaler Ziivilsation“). Allerdings sieht er einen echten Überlebenskampf der Menschheit bevorstehen.

FAS, 17.01.10, Titel: Warum die Zukunft uns noch braucht

Jordan Mejias führt in der Samstags-FAZ ein Interview mit dem Informatiker, Komponisten und Autoren Jaron Lanier, der den Begriff der „virtuellen Realität“ prägte, 1983 ein erstes Videospiel vorstellte, als Erster internetbasierte Computernetzwerke vorschlug und den ersten Avatar entwickelte. Sein neues Buch, deutsch im Alfred A. Knopf Verlag, heißt „You Are Not a Gadget: A Manifesto.“ Aufgrund der Datenlage im Internet konstatiert er (Buchauszug in der Sonntags-FAZ): „Die weltweite Vernetzung von Intelligenz produziert nicht Über-Intelligenz, sondern Banalität.“ Stattdessen plädiert er für einen kostenpflichtigen Zugang zu wertvollen Inhalten im Netz (bei moderaten Preise), um nicht fortwährend „unter dem Banner der Offenheit zu einem Verlust an Kreativität“ zu gelangen.

Als Scheininformationen bezeichnet er die Informationsflut der allermeisten Einträge, die dem einzelnen Nutzer (je nach genutzter Technik und angewöhntem Verhalten) keine Zeit mehr lassen, nachdenkende Individuen zu sein. Im Buchauszug in der FAS wird er noch deutlicher: „Unter dem Strich produziert die Blogosphäre leeres Gerede, wie es in den heute hochgejubelten flachen und offenen Systemen eigentlich immer geschieht.“ An anderer Stelle formuliert er: „Wenn Inhalte wertlos sind, dann werden die Menschen irgendwann hohlköpfig und inhaltslos.“ Er analysiert Werbung im Internet als entscheidend für die so genannte „Schwarmökonomie“ und schreibt: „Die Kultur soll sich in Werbung und nichts anderes verwandeln“, Autoren, Journalisten, Musiker und Künstler dagegen sollen ihr geistiges Eigentum als unbezahltes Fragment dem „Schwarmgeist“ überlassen.

Karrierewelt, 16.01.10, Titel: Die neue Lust auf Langsamkeit

Zu guter Letzt bezeichnet sich der im Interview befragte Lanier allerdings doch als optimistischer als viele seiner Kollegen, indem er das geistige Eigentum menschlicher Ausdrucksformen für schützenswert erklärt und freiwillige Änderungen des Gesellschaftsvertrags für möglich hält. – Auf einer ganz anderen Ebene beschäftigt sich die Karrierewelt vom vergangenen Samstag mit den geänderten Bedingungen der Arbeitswelt. „Zeitmanagement-Experte Lothar Seiwert gibt Tipps zur Entschleunigung“, so der Untertitel des Beitrags. Lothar Seiwert hat übrigens auch Bücher zum Thema geschrieben. Die Basistipps lauten: Dein eigenes Tempo leben, Unwichtiges streichen, sich bei unliebsamen Aufgaben hingegen durchaus Zeit nehmen (dann geht es schneller), und im größten Stress bewusst inne halten. Danke, ich werds versuchen.

Google vs. China: Überzeugung oder Kalkül?

Samstag, 16. Januar 2010

Die Zeitungen waren Mitte der Woche voller Kommentare, vor allem habe ich mit denen der Financial Times Deutschland und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am Donnerstag beschäftigt. Die FTD sprach im Leitartikel von einer „Achse des Guten“, die das Unternehmen gemeinsam mit US-Außenministerin Hilary Clinton nun bilde. Auch wenn es den Konzern nicht viel koste, weil er in China bisher nur ein Nischendasein gefristet habe, sei dies doch ein mutiger und der richtige Schritt, sich vom größten Wachstumsmarkt der Welt zurückzuziehen.

In der Rubrik „Das Kapital“ wurde in derselben Zeitung dargelegt, dass es beiden Riesen (China und Google) um Nutzerdaten im großen Stil gehe: „China will, das Google will“. Noch vor zehn Jahren hätten sich die Geheimdienste die Finger nach den Daten geschleckt, heißt es dort, die die Nutzer heute dem Internetgiganten bereitwillig frei Haus liefern. Dass der Konzern Google, der sich durch rechtlich ungeklärtes Scannen von Büchern und ganzen Straßenzügen nicht eben als moralische Instanz erwiesen habe, nun aus moralischen Gründen aus China zurückziehe, sei unwahrscheinlich. Als wahrscheinlicherer Grund werden Signale aus Peking angegeben, dass Baidu als staatlich favorisierter Suchdienst favorisiert werde.

Überschriften der Google-Kommentare in FTD und FAZ am 14.01.10

Carsten Knop vermeint in der FAZ vom vergangenen Donnerstag zu erkennen, dass „Google doch nicht böse“ sei. Da der vermutliche Rückzug aus China im Westen gut ankomme, sei der Schritt als PR-Maßnahme sicherlich klug. Allerdings glaubt der Autor, dass es Verhandlungen zwischen Google und China geben werde udn Google sich dann doch kompromissbereit zeigen werde,. Immerhin dürfte es sich bei aktuellen Umsätzen in China von „nur“ 600 Millionen Dollar doch um einen Werbemarkt von 10 Milliarden Dollar handeln.

Peter Sturm bemerkt allerdings in derselben Zeitung, dass es bei dieser Reaktion eher um das weitere negative Schlaglicht geht, das auf Chinas Praktiken  geworfen wird. Als Hintergrund der Reaktion seien daher vielmehr die massenhaften chinesischen Hackerangriffe auch auf Google zu betrachten. Im schlimmsten Fall aber – sollte Google bei der angedrohten Blockadehltung gegenüber China bleiben – könnten die User in aller Welt daraus lernen, wie es auch ohne Google gehen kann.

Auch Joachim Rogge im Kölner StadtAnzeiger betonte („Moral und Markt“), dass Google „mehr als andere Unternehmen vom Vertrauen seiner Kunden“ lebe. Mit dem PR-Coup sei der wachsenden Kritikerschar der Wind aus den Segeln genommen worden. Das Handelsblatt vom Donnerstag brachte in seinem Leitartikel („Google und die Freiheit in China“) zusätzlich das gewichtige Argument des Diebstahls geistigen Eigentums in die Diskussion ein. Google könne es sich schlichtweg nicht leisten, von einem Land ausspinoniert zu werden (auch wenn China diese Beschuldigung von sich weist). Zudem wird auch hier betont, dass der Konzern mit dem spektakulären Signal kein wirtschaftliches Risiko eingehe.

FTD, 15.01.2010, Zwischenüberschrift aus "Wenn China die Welt regiert"

In der Wochenend-Ausgabe der FTD beschäftgit sich der Harvard-Wirtschaftsprofessor Dani Rodrik mit der Frage,w as passiert, „Wenn China die Welt regiert“. Die Globalisierung würde deutlich chinesische Züge tragen, mutmaßt er, Demokratie und Menschenrechte würden dann ihren Glanz als globale Normen verlieren. Aber „eine chinesische Weltordnung würde nationalen Souveränitäten und nationaler Vielfalt dann auch mit mehr Toleranz“ begegnen und „mehr Raum für Experimente mit verschiedenen Wirtschaftsmodellen“ lassen. Ein schwacher Trost vielleicht, doch vermutlich eine realistische Aussicht.