Mit ‘Surrogates’ getaggte Artikel

Das richtige Leben im falschen Körper

Freitag, 05. Februar 2010

Die Sozialkritikerin Naomi Wolf hat in einem Gastkommentar in der Welt darauf hingewiesen, dass „Avatar“ der erste Hollywood-Blockbuster ist, der Amerika aus der Perspektive der übrigen Welt kritisch darstellt. In Verbindung  mit dem unterbewussten Schuldgefühl der Amerikaner im Zusammenhang mit dem Krieg gegen den Terror (bzw. dem gegen Vietnam) stelle der Film eine „irrationale Traumarbeit“ dar, die den tatsächlichen Zustand der USA (bzw. ihres kollektiven Unterbewussten) wahrheitsgetreuer abbildet als dies jede offizielle Erklärung könnte.

Die Welt, 05.02.10, Titel: Was uns "Avatar" sagt

Damit dürfte der Film wesentlich dazu beitragen,verdrängtes Wissen über ihre seichte nationale Mythologie zu Tage zu befördern. Während der querschnittsgelähmte, weiße Held – durch die Avatar-Technologie zu Gehversuchen in einem anderen Körper befähigt – anfangs noch ungläubig fragt: „Was bin ich, der Schurke?“, kommt er später zur Erkenntnis, dass die auf dem Planeten Pandor zur Zielscheibe gewordenen Ureinwohner zu Recht kein Interesse an der Lebensform der Menschen haben: „Wir haben nichts, was sie interessiert.“

Die Kernfrage ist für mich, ob aus dem Held im Vorgang der Transformation von einem Menschen zu einem „Na’vi“ ein anderer wird? Ändert er nur seine äußere Hülle oder ändert er damit auch seinen Charakter, sein Selbstbewusstsein? Zweifellos ändern sich mit der fiktiven Vorstellung, einen anderen Körper einzunehmen, die Selbstwahrnehmung, das Selbstwertgefühl und das Selbstbewusstsein. Der Einfachheit halber stellt sich der Held des James Cameron-Films am Ende im anderen Körper aber noch immer als derselbe Jack Skully dar. Aber gehen wir davon aus, dass er dies nicht auf Dauer bleiben könnte.

Bereits Mitte vergangener Woche hat Thomas Lindemann ebenfalls in der Welt eine Betrachtung des Avatars als „prägende Figur der Popkultur“ vorgenommen. Der Verlust des Ichs wird in der Umschreibung Siegmund Freuds zitiert als „nicht mehr Herr im eigenen Haus“ zu sein. Dabei suggerierten Filme wie „Avatar“ und „Surrogates„, ein anderer sein zu können. Nichts anderes geschieht bei online Rollenspielen von „Second Life“ bis „World of Warcraft“ – vorübergehend spielerisch ein anderer zu sein. Die genannten Filme (ähnlich in „Matrix“) warten allerdings mit der Visison eines lebensumfassenden, auf künstlichen Zweitkörpern basierenden Systems auf. Das Andere im Film „Avatar“: die Welt der Außerirdischen ist die bessere, das Leben im Avatar ist in der Fiktion objektiv zu bevorzugen. Den Unterschied zu den vergleichsweise stumpfen Video- und Onlinespielen mache das „Ringen um Identifikation und Erlösung“ aus. Mit dem Avatar-Prinzip verbunden sei jedoch die Angst, „dass es in uns  selbst eigentlich leer und tot sein könnte – wie in einem abgeschalteten Avatar“.

Die Welt, 27.01.10, Titel: Es gibt doch ein richtiges Leben im falschen

Schade, dass die kleine Abhandlung von Thomas Lindemann das im Titel zitierte Wort Adornos nicht thematisiert. Die berühmte Aussage „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ behandelt im Umfeld ihres Erscheinens die Möglichkeit der moralischen Ausrichtung des menschlichen Handelns (Theodor W. Adorno: Minimalia Moralia I, 18, Gesammelte Schriften, Band 4, S. 19). Eine Auslegung könnte davon ausgehen, dass das Leben in seiner Gänze falsch ist (eine Deutung, die der destruktiven Grundhaltung Adornos angesichts einer vom Massenmord der Nationalsozialisten überschatteten Moderne nahekommt), dann aber bliebe demgemäß kein Ausweg, richtig zu handeln (im Sinne einer Generalentschuldigung für jedes Vergehen). Die Bedeutung, die viele Autonome dem Satz zukommen lassen, in einem falschen System dennoch ein richtiges (politisch angemessenes) Leben zu führen, entspricht dennoch nicht Adornos Intention in der 18. (von 153) Miniaturen, bezeichnet „Asyl für Obdachlose“.

Er schrieb zwar andernorts vom Totaliären der Aufklärung, dem Hang des Rationalen zur Beherrschung und Unterdrückung und von der verwalteten Welt, dennoch geht es darum, in der fremden Behausung (der Entfremdung) den Sinn für die Angemessenheit dieses  Asyls zu erkennen. Bewusste Entfremdung vom Kindheitsideal der heilen Welt erscheint demnach als einzig richtige und moralisch vertretbare Reaktion auf die Grausamkeit der Vernunft, des Totalitären, der Shoah. Das Leben unbeeindruckt vom eigenen schlechten Gewissen fortführen zu wollen, als hätten Massenvernichtungen nicht stattgefunden, das ist hier das falsche Leben, in dem es kein richtiges Leben geben kann.

Damit scheint Adorno zugleich eine verblendete Grundhaltung ausschließen zu wollen, um sich überhaupt die Möglichkeit für richtiges Tun offen halten zu können. Allerdings – um einerseits auf das Prinzip „Avatar“ zurück zu kommen – erweist sich das Leben in einem fremden Körper als eine deutliche Entfremdung gegenüber dem ursprünglichen (natürlichen) Menschsein, und – um andererseits auf den gleichnamigen Film zurückzukommen – erweist sich der „Umzug“ in den Avatar-Körper vor dem Hintergund eines erwachten Unrechtsbewusstseins als die Flucht nach vorne in ein (idealisiertes) „richtiges Leben“.

Grenzen der Wirklichkeit in „Avatar“

Donnerstag, 21. Januar 2010

Überaus interessant finde ich die vielen verschiedenen Ebenen, auf denen ein Blockbuster der Extraklasse wie James Camerons „Avatar“ für Schlagzeilen sorgt. Einerseits reitet nach wie vor die Kritik aus verschiedenen Lagern auf einzelnen Aspekten des Filmspektakels herum. Andererseits beschäftigt mich nach wie vor die Frage, wie soll das denn eigentlich funktionieren – in den Austauschkörper eines Avatars zu schlüpfen? Zu diesem Thema kommt bereits ein zweiter Kinofilm auf den Markt, „Surrogates“ mit Bruce Willis.

KStA. 20.01.2010: Der Avatar-Film in China

Im Kölner Stadt-Anzeiger vom vergangenen Dienstag berichtet Bernhard Bartsch von den Chinesischen Zensoren, die „Avatar“ nur noch in den 3D-Kinos laufen lassen und damit den Großteil der auch im Reich der Mitte überaus erfolgreichen Vorstellungen grundlos streichen. Als Erklärung dient die Einschätzung des berühmten chinesischen Bloggers Han Han, der zu den im Film gezeigten Vorgängen auf dem Planeten Pandora schrieb: „Eine solche brutale Räumung kann nur auf einem anderen Planeten oder in China stattfinden.“ Auch offizielle Meiden hätten die Diskussion aufgenommen, heißt es weiter, wonach der Film für viele Kinogänger „einen bekannten sozialen Konflikt“ wieder spiegele. Dieses Phänomen könnte ich auch „Grenzen der Wirksamkeit“ benennen. Allerdings verhilft ein Verbot – oder wie hier Teilverbot – einer kulturellen Schöpfung nur noch zu mehr Beachtung oder sogar Ruhm.

Welt, 19.01.2010: Weitere Avatar-Kritik

In der Welt vom vergangenen Montag sammelte Hannes Stein noch einmal verschiedene Kritikerstimmen, allen voran die im obigen Titel zitierte des „Movieguide“. Daneben betonten viele konservative Kritiker, dass sie sich aufgrund der Klischees in dem Film so schrecklich gelangweilt hätten – was ich beim besten Willen nicht glauben kann. Der Autor räumt basierend auf der durchaus pro-amerikanischen Einstellung von Karl Marx im 19. Jahrhundert mit der Behauptung auf, bei „Avatar“ handele es sich um einen linken Film. Vielmehr sei er der politischen Romantik zuzuordnen. Beiden Aspekten widmet die FAZ im heutigen Feuilleton einen ausführlichen Artikel: „Avatar, Vorbild Nummer 1“ (in China, inkl. des Dementis der Filmbehörde, dass die Teilabsetzung nichts mit Propaganda zu tun habe) und „James Cameron, Staatsfeind Nummer 1“ (in den USA, vor allem bei den rechten Kritikern).

Zuletzt geht Hannes Stein in der Welt nochmals auf die Kritik von David Brooks in der New York Times ein (ich hatte berichtet) – die Geschichte der Eingeborenen würde entweder von grausamen oder von einem gutmütigen Imperialisten, aber damit immer fremd bestimmt. Hier mögen die Einschränkungen gelten, dass es sich a) um die messianische Geschichten eines Weißen als menschliche Identifiaktionsfigur für das Kinopublikum weltweit handelt, und dass es sich b) nur um eine fiktionale Geschichte handelt, die zudem noch einen überraschenden Schluss bietet (dieser stellt die unverbrüchlich menschliche Natur der Heldenfigur in Frage, um im Sinne des Betrachters zu fragen: „Möchte ich nicht auch viel lieber ein Na’vi sein?“).

Die Welt, 21.01.2010: Ein Bruce Willis ohne jede Falte

Derweil kommt bereits ein nächster Film in die Kinos, der seinen Helden, diesmal Bruce Willis als FBI-Agent, einmal als perfekten Avatar und einmal als schwächelnden Medienkonsumenten seines virtuellen eigenen Lebens zeigt. Die Comic-Verfilmung nach Robert Venditti bietet sicherlich bei weitem nicht so viel Diskussionsbedarf wie Avatar. Aber auch in diesem Film, bei dem es um eine neue Waffe geht, die zusammen mit einem Avataren auch seinen „Originalmenschen tötet, geht es um das Prinzip, einen anderen Körper einzunehmen. Der General-Anzeiger Bonn bezeichnet ihn als eine „manchmal wirklich spannende, aber unzureichend ausformulierte Parabel“.

Im Film „Matrix“ fasste ich die Vorstellung, die Menschen erleben die interaktive Wirklichkeit nur simuliert, während sie als natürliche Batterien in Brutstationen vor sich hinvegetieren, nur als philosophisches Gedankenexperiment auf. Zum „Avatar“-Prinzip werde ich mich jedoch mit den (pseudo-)wissenschaftlichen Grundlagen des Gedankenexperiments eines Körperwechsels  näher beschäftigen müssen (im gleichnamigen Film auch als „Traumwandeln“ bezeichnet): Wie sollte das überhaupt funktionieren? Allenfalls erinnert es noch an religiöse Vorstellungen des Besitzergreifens von Seelen durch Dämonen. Wo liegen hier die Grenzen der Wirklichkeit? Das lässt mir keine Ruhe.

Hier ein kleines Erklärstück aus dem „News Reel“ zum Streifen „Surrogates – Mein zweites Ich“, der heute in deutschen Kinos startet: