Mit ‘Selbstbewusstsein’ getaggte Artikel

Neues aus der Tierwelt 18

Donnerstag, 07. Oktober 2010

Nachschlag vom vergangenen Wochenende: In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hat Georg Rüschemeyer im Wissenschaftsteil die Intelligenz von Tieren behandelt, in einem Auszug seines Buches „Menschen und andere Tiere“. Ausgehend vom Zitat Charles Darwins, der den Unterschied zwischen dem klügsten Tier und dem dümmsten Menschen als nur „graduell“ bezeichnet hat, bietet der Autor einen Überblick über die zahlreichen Fälle teilweise erstaunlicher Gedächtnisleistungen und anderer kognitiver Fähigkeiten von Tieren.

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 03.10.10, Titelteil: Beim Denken...

Neben den sprichwörtlichen Erinnerungskünstlern Elefanten kommen Forschungsergebnisse an Vögeln zur Sprache, so das Vergraben von Kiefernsamen durch Kiefernhäher betreffend und die Zuordnung menschlicher Gesichter zu Futtergaben bei Tauben. Weiter heißt es, nicht nur Hunde, Affen und Kühe, sondern auch Frösche, Goldfische und Honigbienen wiesen Gedächtnis-Begabungen auf.

Mit Denken hat das alles allerdings genau so wenig zu tun wie das so genannte „Gewöhnungslernen, das schon Pantoffeltierchen oder Anemonen beherrschen (sie ziehen ihre Fangarme nach einer Weile nicht mehr zurück, wenn sie regelmäßig gekitzelt werden). Lernaufgaben wie wenn Ratten ein Labyrinth immer besser durchqueren, an dessen Ausgang Futter platziert ist oder das Drücken eines Hebels, um an Futter zu gelangen, sind ebenfalls einigen Tieren erfolgreich beizubringen. Aber auch das, bestätigt Georg Rüschemeyer, wird allgemeinhin nicht als Intelligenz bezeichnet.

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 03.10.10, Titelteil: ... sind Tiere auch...

Typisch für Versuche mit Menschenaffen sind die Aufgaben, bei denen es um den erfolgreichen Einsatz von Werkzeugen geht (vgl. einen älteren Beitrag dieser Serie zum „Essen mit Stäbchen“ bei Krähen). In freier Wildbahn nutzen nicht nur Affen Werkzeuge, sondern zum Beispiel auch Seeotter (Steien zum Aufklopfen von Muscheln), Delfine (Schwämme zum Schutz der Schnauzen beim Gründeln) Elefanten (Äste zum Fliegenverscheuchen) und die in obiger Klammer genannten Krähen von der pazifischen Inselgruoppe Neukaledonien. Japanische Krähen lassen Nüsse sogar von vorüberfahrenden Autos knacken, und nicht nur das, zur Minderung der Gefahr teilweise sogar gezielt an Fußgängerampeln.

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 03.10.10, Titelteil: ...nur Menschen

Im Weiteren kommt noch der so genannte Spiegeltest zur Sprache, bei dem Tiere  einen im Gesicht angebrachten Punkt registrieren sollen. Tun sie dies (Menschenaffen, Orcas, Delphine, Elefanten, Schweine und Elstern), wird eine Art Selbstbewusstsein unterstellt. Unter Bezug auf den amerikanischen BiologenMarc Bekoff werden drei Stufen der Metakognition benannt: 1. den eigenen Körper zu kontrollieren (das tun so gut wie alle Tiere), 2. eigene Dinge oder Bereiche zu verteidigen, und 3. „über sein eigenes Wissen Bescheid zu wissen“.

Das allerdings kommt im wesentlichen nur Menschen zu, denn – um dem irreführenden Titel kontra zu geben – sollte klar sein, dass Tiere nicht denken. Denn das Denken erfordert, dass Begriffe bestehen, mit denen operiert wird. Dies ist vielleicht allenfalls bei einzelnen Ausnahmetieren möglich, die bis zu 50 oder 100 verschiedene Schautafeln per Zuruf unterscheiden können. Aber selbst diese Tiere sprechen nicht. Sprechen ist der Bewusstseinsakt, der das Denken offenbart. Außer gegenüber vielleicht einem Franz von Assisi oder anderen Heiligen, die mit Tieren sprechen konnten, wurde uns Normalsterblichen jedoch noch keine begriffliche Sprache von Tieren bekannt. Treffend hingegen ist der Titel des Buches: „Menschen und andere Tiere – Vom Wunsch einander zu verstehen.“

Das richtige Leben im falschen Körper

Freitag, 05. Februar 2010

Die Sozialkritikerin Naomi Wolf hat in einem Gastkommentar in der Welt darauf hingewiesen, dass „Avatar“ der erste Hollywood-Blockbuster ist, der Amerika aus der Perspektive der übrigen Welt kritisch darstellt. In Verbindung  mit dem unterbewussten Schuldgefühl der Amerikaner im Zusammenhang mit dem Krieg gegen den Terror (bzw. dem gegen Vietnam) stelle der Film eine „irrationale Traumarbeit“ dar, die den tatsächlichen Zustand der USA (bzw. ihres kollektiven Unterbewussten) wahrheitsgetreuer abbildet als dies jede offizielle Erklärung könnte.

Die Welt, 05.02.10, Titel: Was uns "Avatar" sagt

Damit dürfte der Film wesentlich dazu beitragen,verdrängtes Wissen über ihre seichte nationale Mythologie zu Tage zu befördern. Während der querschnittsgelähmte, weiße Held – durch die Avatar-Technologie zu Gehversuchen in einem anderen Körper befähigt – anfangs noch ungläubig fragt: „Was bin ich, der Schurke?“, kommt er später zur Erkenntnis, dass die auf dem Planeten Pandor zur Zielscheibe gewordenen Ureinwohner zu Recht kein Interesse an der Lebensform der Menschen haben: „Wir haben nichts, was sie interessiert.“

Die Kernfrage ist für mich, ob aus dem Held im Vorgang der Transformation von einem Menschen zu einem „Na’vi“ ein anderer wird? Ändert er nur seine äußere Hülle oder ändert er damit auch seinen Charakter, sein Selbstbewusstsein? Zweifellos ändern sich mit der fiktiven Vorstellung, einen anderen Körper einzunehmen, die Selbstwahrnehmung, das Selbstwertgefühl und das Selbstbewusstsein. Der Einfachheit halber stellt sich der Held des James Cameron-Films am Ende im anderen Körper aber noch immer als derselbe Jack Skully dar. Aber gehen wir davon aus, dass er dies nicht auf Dauer bleiben könnte.

Bereits Mitte vergangener Woche hat Thomas Lindemann ebenfalls in der Welt eine Betrachtung des Avatars als „prägende Figur der Popkultur“ vorgenommen. Der Verlust des Ichs wird in der Umschreibung Siegmund Freuds zitiert als „nicht mehr Herr im eigenen Haus“ zu sein. Dabei suggerierten Filme wie „Avatar“ und „Surrogates„, ein anderer sein zu können. Nichts anderes geschieht bei online Rollenspielen von „Second Life“ bis „World of Warcraft“ – vorübergehend spielerisch ein anderer zu sein. Die genannten Filme (ähnlich in „Matrix“) warten allerdings mit der Visison eines lebensumfassenden, auf künstlichen Zweitkörpern basierenden Systems auf. Das Andere im Film „Avatar“: die Welt der Außerirdischen ist die bessere, das Leben im Avatar ist in der Fiktion objektiv zu bevorzugen. Den Unterschied zu den vergleichsweise stumpfen Video- und Onlinespielen mache das „Ringen um Identifikation und Erlösung“ aus. Mit dem Avatar-Prinzip verbunden sei jedoch die Angst, „dass es in uns  selbst eigentlich leer und tot sein könnte – wie in einem abgeschalteten Avatar“.

Die Welt, 27.01.10, Titel: Es gibt doch ein richtiges Leben im falschen

Schade, dass die kleine Abhandlung von Thomas Lindemann das im Titel zitierte Wort Adornos nicht thematisiert. Die berühmte Aussage „Es gibt kein richtiges Leben im falschen“ behandelt im Umfeld ihres Erscheinens die Möglichkeit der moralischen Ausrichtung des menschlichen Handelns (Theodor W. Adorno: Minimalia Moralia I, 18, Gesammelte Schriften, Band 4, S. 19). Eine Auslegung könnte davon ausgehen, dass das Leben in seiner Gänze falsch ist (eine Deutung, die der destruktiven Grundhaltung Adornos angesichts einer vom Massenmord der Nationalsozialisten überschatteten Moderne nahekommt), dann aber bliebe demgemäß kein Ausweg, richtig zu handeln (im Sinne einer Generalentschuldigung für jedes Vergehen). Die Bedeutung, die viele Autonome dem Satz zukommen lassen, in einem falschen System dennoch ein richtiges (politisch angemessenes) Leben zu führen, entspricht dennoch nicht Adornos Intention in der 18. (von 153) Miniaturen, bezeichnet „Asyl für Obdachlose“.

Er schrieb zwar andernorts vom Totaliären der Aufklärung, dem Hang des Rationalen zur Beherrschung und Unterdrückung und von der verwalteten Welt, dennoch geht es darum, in der fremden Behausung (der Entfremdung) den Sinn für die Angemessenheit dieses  Asyls zu erkennen. Bewusste Entfremdung vom Kindheitsideal der heilen Welt erscheint demnach als einzig richtige und moralisch vertretbare Reaktion auf die Grausamkeit der Vernunft, des Totalitären, der Shoah. Das Leben unbeeindruckt vom eigenen schlechten Gewissen fortführen zu wollen, als hätten Massenvernichtungen nicht stattgefunden, das ist hier das falsche Leben, in dem es kein richtiges Leben geben kann.

Damit scheint Adorno zugleich eine verblendete Grundhaltung ausschließen zu wollen, um sich überhaupt die Möglichkeit für richtiges Tun offen halten zu können. Allerdings – um einerseits auf das Prinzip „Avatar“ zurück zu kommen – erweist sich das Leben in einem fremden Körper als eine deutliche Entfremdung gegenüber dem ursprünglichen (natürlichen) Menschsein, und – um andererseits auf den gleichnamigen Film zurückzukommen – erweist sich der „Umzug“ in den Avatar-Körper vor dem Hintergund eines erwachten Unrechtsbewusstseins als die Flucht nach vorne in ein (idealisiertes) „richtiges Leben“.