Nachdem ich in dieser Rubrik erst neulich über die schwedischen und die italienischen Meisterschaften im Ultimate berichtet habe, geht es dieses Mal um die österreichischen Meisterschaften am vergangenen Wochenende in der Südstadt. Pardon – nach der Aufnahme in die österreichische Bundessport-Organisation – geht es ganz offiziell um die Staatsmeisterschaften! Habe die Ehre!
Passende Musik von Lenny Kravitz ist unterlegt, die Regeln werden kurz und richtig erklärt und der SOTG (Spirit of the Game) als wichtigstes Element hervorgehoben. Dazu äußert sich im Originalton sehr sympathisch unter anderem Claus Lackerbauer vom österreichischen Frisbee-Sport-Verband (mit den Ergebnissen der Staatsmeisterschaften auf der Startseite). Bei den Damen wie in der offenen Division siegten Wiener Teams, die „Wadies“ mit einem Punkt gegen die „Eyecatchers“ aus Graz, „thebigez“ deutlich gegen die „Innsiders“ aus Tirol.
In dem Zusammenhang noch ein älteres Video aus Österreich (aus dem Jahr 2009), das im Rahmen einer Kindersendung ganz schön, wenn auch etwas hektisch Ultimate Frisbee vorstellt. Kleiner Kleiner Schönheitsfehler am Rande: Die ersten Frisbee waren nicht wie hier erwähnt Pizzableche, sondern Kuchendeckel der früheren US-Bäckerei „Ma Frisbie’s Bakery“.
Sarah Franchini von den „Flying Giants“ aus Mengen im Allgäu hat über die engagierte Sportlehrerin Natalie Moser den Teamsport Ultimate Frisbee kennen gelernt. Nicht nur, dass in Mengen im Allgäu bereits seit mehreren Jahren Turniere stattfinden – aktuell erstellt die 12.-Klässlerin auch eine Seminararbeit zu der Sportart, für die sie nun empirische Daten erhebt.
Das Thema der Arbeit unter dem Motto „Sport zwischen Ethik und Kommerz“ lautet: „Kann der (faire) Teamsport Ultimate Frisbee in der Leistungsgesellschaft des 21. Jahrhunderts funktionieren (unter besonderer Berücksichtigung der Bedeutung des Fairplay-Gedankens)?“ Die Grundidee wird durch immer wieder aufkommende Diskussion bezüglich der Praktikabilität genährt, unter anderem in Hinblick auf die viel körperlichere Spielweise in Nord- oder Südamerika oder in Bezug auf eine mögliche Eignung des Teamsports Ultimate Frisbee für Olympia, nachdem er bereits seit 2001 in Akita Mediallendisziplin der World Games ist.
Als Fallbeispiel zum Einstieg dient das Finale der Ultimate Nationen-WM 200 in Heilbronn zwischen den USA und Schweden. Die USA, traditionell vertreten durch den Vorjahressieger der dortigen UPA-Championships, in diesem Fall Boston, siegte aufgrund eines äußerst strittigen Foulcalls in Überzeit, beim Stande von 18:18, als der nächste Punkt über Sieg und Niederlage entscheiden musste. Ebenso wie Natalie Moser war auch ich selbst Zeuge dieses Finales, das durch die Spieler-Entscheidung einen faden Beigeschmack erhielt. Hier eine zweieinhalbminütige Video-Dokumentation auf Youtube:
Das Grundprinzip der Auseinandersetzung im Ultimate basiert auf dem Einspruchsrecht jedes Spielers, durch einen Ruf das Spiel einzufrieren (so genannte „Freeze Calls“ zu Punkten wie in oder aus, Foul oder nicht, gefangen über der Grasnarbe oder erst nach der Berührung mit den Halmen). Die beiden an einer Situation Beteiligten sind gehalten sich in längstens einer halben Minute abzustimmen, ob sie in ihren Ansichten übereinstimmen oder nicht. Falls Sie sich nicht auf eine Auslegung der Tatsachen einigen können, geht die Scheibe zurück zum vorigen Spieler und wird dort durch einen „Check“ wieder ins Spiel gebracht – als sei nichts geschehen. Umschrieben wird dieser grundlegende Gedanke im umfangreichen Regelwerk unter Paragraph 1, benannt „Spirit of the Game“ (etwa „Sportsgeist“).
Aber natürlich ist dabei schon viel geschehen – an Fragwürdigem, Ungerechtem und Unverständlichem – was aber an dem herausragenden Grundprinzip der Selbstregulierung nichts ändert. So bleibt mir auch die Reaktion eines Leistungssport-Referenten des DOSB bei den World Games 2005 in Duisburg unvergessen, der – wie angeblich einige andere hochrangige Sportfunktionäre auch – ungläubig vor dem Spielgeschehen stand und staunte: „Unglaublich, dass ein Teamsport ohne Schiedsrichter funktioniert!“ Doch er tut es.
Die Umfrage, die Sarah Franchini zu diesem Themenfeld nun durchführt, fragt einmal nach den persönlichen Assoziationen, was Ultimate für einzelne Spieler bedeutet, respektive welche Fähigkeiten die Selbstregulierung voraussetzt. Daneben erhebt sie Bewertungen auf einer Skala zwischen o und 10 zu Fragen wie wichtig die Spieler die Tatsache einschätzen, ohne Scheiedsrichter zu spielen, wie gut sie sich ein Spiel mit Schiedsrichter vorstellen könnten, resp. wie ihre praktischen Erfahrungen in der Handhabung von Streitigketein (bei sich selbst und auch bei anderen) sind.
Die Umfrage beschließen Fragen nach der Idee, wie sinnvoll das Agieren eines „Observers“ angesehen wird, der in den USA teilweise anzeigt, ob Spieler in oder aus waren und bei Unstimmigkeiten angefragt werden kann, oder nach dem möglichen Einsatz von Schiedsrichtern bei entscheidenden Spielen (siehe Heilbronn 2000). Ich bin nach wie vor der festen Überzeugung, dass den Sport Ultimate genau diese Besonderheit ausmacht, dass die Selbstregulierung funktioniert – auch wenn es um Kommerz gehen sollte. Es ist eine Frage des Bewusstseins jedes einzelnen Akteurs.
Im Leitartikel der FAZ vom ersten Samstag des Jahres hat Jörg Hahn gefragt, ob es ein Misstrauen gegen den Leistungssport gibt. Mit Sicherheit gibt es das, mehr oder weniger ausgeprägt, aufgrund von Doping, Lügen und Manipulationen. Er thematisiert die „ethische und moralische Krise des Sports“ am Beispiel des vergangenen Jahres.
Zu bemängeln gibt es einiges: von gedopten Olympioniken und Fußball-Wettskandal über Absprachen bei Handball oder Formel 1 bis hin zur unrühmlichen Qualifikation Frankreichs zur diesjährigen Fußball-WM. Über die Randbemerkung, dass von Papst Benedikt XVI. eine umfangreiche Erklärung zum Sport erwartet werde, kommt der Autor zur Feststellung: „Sport ohne Fair Play ist überflüssig.“ Im Folgenden geht er auf die Überforderung des Sportapparates ein, das Doping effektiv zu bekämpfen oder der weiter zunehmenden Kommerzialisierung des Sports zu trotzen.
Aber ist Sport ohne Fair Play wirklich überflüssig? Ist es dadurch nicht eher ein ganz anderer Sport? Jörg Hahn spricht vom Phänomen, dass sich junge Leute von Olympia abwendeten, weil sie der Überzeugung sind, dass das Streben nach Medaillen ihren Sport kaputt mache. Diese Einstellung ist mir auch aus dem Deutschen Frisbeesport-Verband bekannt, den ich als Geschäfts-führer vertrete. Einige, durchaus leistungsorientierte Spieler möchten erst gar nicht olympisch werden. Dabei würde sich die Disziplin Ultimate Frisbee von seinem Ansatz her als wahrhaft olympische Disziplin eignen. Dem Sportsgeist des Fair Play ist Paragraf 1 des umfangreichen Regelwerks von Ultimate Frisbee zum Thema „Spirit of the game“ gewidmet. Demnach haben die Freude am Spiel und der Respekt vor dem Gegenspieler anstelle eines unbedingten Siegeswillen zu stehen.
Manifestiert wird diese Eigenart des Teamsports Ultimate durch die Selbstregulierung des Spiels durch die Spieler. Schiedsrichter sind nicht vorgesehen, selbst in den USA, als Mutterland des Frsibeesports nach wie vor das Maß der Dinge, sind allenfalls so genannte „Observer“ am Spielfeldrand zu sehen, die dem Zuschauer helfen, eine Fangszene als „in“ oder „out“ zu interpretieren oder etwaige Streithähne daran zu erinnern, dass sie selbst gefordert sind, nach einer Spielunterbrechung rasch zu einer einvernehmlichen Einigung und Fortführung des Spiels zu gelangen.
Unabhängig von dieser unbestreitbar reizvollen Variante des eigenverantwortlichen Handelns sogar unter Adrenalin, feiert der traditionelle Publikumssport dennoch weiterhin seine kommerziellen Erfolge – auch wenn die Spitzenathleten ihre Selbsteinschätzung von Resultaten abhängig machen, auch wenn das Internationale Olympische Komitee IOC eine ohnmächtige Organisation bleibt, unfähig ihre eigenen hehren Werte durchzusetzen. Der Erfolg neuer Bündnisse zwischen IOC und Human Rights Watch oder Amnesty International hinsichtlich der Durchführung Olympischer Spiele bleibt abzuwarten.
Denn, so die Conclusio des Leitartiklers: Die Lust an der Show ist stärker als jeder Zweifel. Es ist richtig, wenn die Fußball-WM Südafrika wirtschaftlich, sozial und politisch voranbringen soll, dann wird der Sport damit hoffnungslos überfrachtet. Ich setze dagegen auf den bewussten, den eigenen Grenzen angemessenen Sportbetrieb, der die Eigenverantwortung stärkt und im Spielerischen das Zusammenleben erprobt, wie es in allen alltäglichen Situationen funktionieren muss: Einander zuhören, aufeinander zugehen und einen Kompromiss im Sinne des Weiterspielens schließen. Check. Disc in. Play on. Play Ultimate.
Der erste Ansatzpunkt "Behelfs-texte" bedeutet: Korrigier mich bitte, wenn ich falsch liege! Ist doch das Fragment spätestens seit Novalis zur Kunstform erhoben und jedes Kunstwerk zur Interpretation angelegt. Ein zweiter "Hilfen zum Texten" heißt "News to use": it's up to you! Drittens und letztens wollte ich - "Hilfe, Texte!" - schon im Ansatz nicht auf Selbstironie verzichten.