Archiv für den 04. Mai 2010

Sport heilt Wunden und reißt Barrieren ein

Dienstag, 04. Mai 2010

Zur Abschlussrede der Konferenz der Weltsportverbände („Sportaccord„) in Dubai konnten die Organisatoren den ehemaligen UN-Generalskretär Kofi Annan gewinnen. Nach Angaben des an der Konferenz teilnehmenden Präsidenten des Weltflugscheibenverbandes Jonathan Potts (World Flying Disc Federation, WFDF), erhielt der charismatische Redner stehende Ovationen, noch bevor er einen Satz gesagt hatte.

Evi Simeoni in der FAZ zitiert Kofi Annan: „Der Sport spielt eine einzigartige Rolle darin, Wunden zu heilen, die Menschen gegen soziale Probleme zu aktivieren, Barrieren gegen rassen und Geschlechter einzureißen, für interkultuelles Verständnis zu sorgen, Flüchtlinge zu integrieren, mentale Traumata zu heilen und wirtschaftliche Entwicklung anzuregen.“

FAZ, 03.05.2010, Titel: Die Welt wäre ein schlechterer Ort

Die FAZ-Autorin behauptet, dass sowohl das Internationale Olympische Komitee (IOC) wie der Internationale Fußballverband (Fifa) damit liebäugelten einen Nobelpreis zu erhalten, wie Kofi Annan 2001. Doch der internationale Spitzensport könnte seine Botschafterrolle für eine bessere Welt leicht überbewerten und sich etwas damit überheben, sich selber nicht mehr zu genügen. Angesichts „eigener Probleme wie Doping, Wettbetrug, Spielabsprachen, Fan-Ausschreitungen, Ellbogenmentalität und Kooruption unter Funktionären“ sei schon der Anspruch Jugendlichen grundlegende Werte zu vermitteln etwas zu hoch gegriffen, geschweige den mit einer Fußball-WM in Südafrika einen ganzen Kontinent zu retten.

Die von Annan angesprochenen „Heilkräfte“ sind jedoch zweifellos vorhanden, unabhngig ob er und Fifa-Chef Joseph Blatter nur „gute Freunde“ sind oder nicht. Auch der Hinweis auf die Mitgliederzahlen der Organisationen ist relevant: Die Vereinte Nationen haben 192 Mitgliedsländer, das IOC 205, die Fifa gar 208. IOV-Präsident Jacques Rogge jedoch arbeitet nach Darstellung von Evi Simeoni während seiner letzten Amtszeit an seinem „persönlichen Vermächtnis“. Dazu gehörten die 2007 beschlossenen Olympischen Jugendspiele, erstmals in diesem Jahr in Singapur, die er als „große gewonnene Schlacht“ bezeichnete.

Die Unterstützung der 26 olympischen Sommer-Sportarten durch fragwürdige Vorbilder ist vielleicht wirklich nicht geeignet, das Image des „heilsamen“ Sports den Jugendlichen zu vermitteln. Rogge wird zitiert: „Manche werden später vielleicht trotz allem Doping-Mittel nehmen.“ Doch besonders interessant für mich ist hierbei, dass in zehn Wettkämpfen gemischt geschlechtliche Teams antreten sollen. Dies ist – außer beim Korfball – eine Domäne des Teamsports Ultimate Frisbee, der auch an deutschen Schulen zunehmend als „Endzonenportart“ zur Durchführung empfohlen wird. Dieser schiedsrichterlose und damit potenziell für Olympia hoch interesante Sport ist immerhin bereits in Australien, Finnland, Indien, Japan, Niederlande, Norwegen und Schweden offiziell anerkannt.

In diesem Jahr finden nun erstmals vom 19. bis 25. Juli in Florenz U23-Weltmeisterschaften im Ultimate Frisbee statt – mit dem ausdrücklichen Ziel, die besten Nationen auch in Hinblick auf Hochschul-Weltmeisterschaften und die Olympischen Jugendspiele zu bestimmen. Während es klar ist, dass Ultimate  noch auf Jahrzehnte hianus keinen Eingang ins  Olympische Programm finden wird – auch wenn Jonathan Potts in Dubai den Hinweis erhielt, „die Tür sei offenfür neue olympische Sportarten“ – wären die Olympischen Jugendspiele vielleicht eine realistische Chance, den fairen, selbstverantwortlichen und koedukativen Sport Ultimate auf eine höhere Stufe zu heben.

Das Bild Kölns im Dritten Reich zurechtgerückt

Dienstag, 04. Mai 2010

Interessante Buchbesprechung in der FAZ am Montag: Michael Hollmann rezensiert die Bestandsaufnahme von Horst Mazerath: „Köln in der Zeit des Nationalsozialismus“. Ausgangspunkt der Besprechung ist die von Konrad Adenauer stammende Mythologie, die Kölner hätten stets Hitler abgelehnt und er hätte die Stadt (deshalb) nicht gemocht. Dieser Behauptung tritt der Buchautor, der bis 2002 Leiter des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln war, mit einem fundierten und differenzierten Bild der Stadt entgegen.

FAZ, 03.05.2010, Titel: Jungfrau zu sein an Grohés Rhein

Demnach bestimmten Ende der 1920er Jahre je zwei Großmilieus das Stadtbild, die jeweils etwa ein Drittel der Bevölkerung integrierten: zum einen „das klassische katholische Milieu der Handwerker und Kleinbürger“, zum anderen das Arbeitermilieu. Beide standen dem Nationalsozialismus bis 1933 ablehnend gegenüber, danach diktierte jedoch auch in Köln schnell die NSDAP das gesellschaftliche Geschehen: Gewerkschaften und Arbeitervereine wurden zerschlagen, das kirchliche Vereinswesen zurückgedrängt. 

Nach der planmäßigen Machtübernahme („im Zusammenwirken von Staat und Straße“), heißt es in der Besprechung weiter, „setzte in Köln schneller und radikaler noch als andernorts die Diskriminierung und Verfolgung von Systemgegnern“ ein. „Angesichts der wirtschaftlichen Erholung Deutschlands und der außenpolitischen Erfolge der NS-Regierung“ hätten die Kölner, deren Stadt bis 1936 in der entmilitarisierten Zone lag, „ihren Frieden mit dem Regime“ gemacht. Die Nationalsozialisten instrumentalisierten das Traditionsbewusstsein, wodurch sich Köln gegenüber anderen Regionalzentren profilieren konnte.

1935 wurde Köln der Titel einer „Hansestadt“ verliehen, seit 1939 musste die Jungfrau im Dreigestirn eine Frau sein, 1941 wurden in der Stadt als „Ausfallstor des Westens“ „Deutsch-Flämische Kulturtage“ ins Leben gerufen. 1944 schließlich wurde der Gauleiter Josef Grohé zum reichskommissar für die besetzten Gebiete in Belgien und Nordfrankreich ernannt. Alle diese Fakten belegen, dass es zwar „eine regionale Spielart des Nationalsozialismus“ gab, aber keine Sonderstellung Kölns, auch nicht in Hinblick auf die Diskriminierung und Verfolgung von zahlreichen gesellschaftlichen Gruppen und auch nicht in Hinblick auf den geleisteten Widerstand.

Erst, „als die Angriffe auf die katholische Kirche an Intensität zunahmen“ und Köln frühzeitig und häufig Ziel alliierter Bombenangriffe wurde, ging das Gros der Bevölkerung auf Distanz zum System, schreibt Michael Hollmann, gleichzeitig blieb in Köln ebenso wie andernorts die Aufarbeitung der Zeit des „Dritten Reiches“ aus. Den Nationalsozialismus im Nachhinein als eine Fremdherrschaft zu interpretieren udn sich selbst als immun gegen das NS-Regime zu betrachten, kann somit nur als Wunschbild gelten. Der Rezensent lobt das Buch von Horst Mazerath als „verständlich geschriebene, detailreiche und auch sehr gut bebilderte Darstellung“.

„Köln in der Zeit des Nationalsozialismus 1933 – 1945“, Geschichte der Stadt Köln, Band 12, erschienen im Greven-Verlag, Köln 2009, 657 Seiten, 60 Euro.