Archiv für die Kategorie ‘Internetkultur’

Neuronale vs. Soziale Netzwerke

Sonntag, 31. Oktober 2010

Diese Meldung hat mich kurz vor Beginn der Normalzeit noch einmal hellwach gerüttelt: Drogen zerstören Netzwerke im Gehirn, schreibt unter anderem die Welt unter Berufung auf eine Studie der Universität Rostock. Dabei hat eine Forschergruppe um den Rechtsmediziner Andreas Büttner systematisch die Gehirne Drogentoter untersucht und eine vorzeitige (und auch vor dem Tode) irreparable Degeneration des Gehirns festgestellt.

Die Welt, 30.10.10, Titel: Studie: Drogen zerstören Netzwerke im  Gehirn

Demnach seien bei den Betroffenen Nervenzellen abgestorben und die Zahl der Verschaltungen zwischen Nervenzellen habe deutlich abgenommen. Kurz: Das komplexe Netzwerk der Zellen im Gehirn werde beeinträchtigt oder sogar teilweise zerstört. Darüber hinaus möchte uns seit der jüngeren Vergangenheit der Autor Nicholas Carr mit seinem Buch „Wer bin ich, wenn ich online bin“ einreden, dass „bereits eine Onlinestunde am Tag erstaunliche neurologische Prägungen in unserem Gehirn“ bewirke (laut Klappentext).

So negativ wie Peter Praschl Mitte der Woche in der Welt würde ich das Buch nicht besprechen. Warum? Ich würde das Buch gar nicht besprechen, weil ich es gar nicht erst lesen würde – „mit einem Vorwort von Frank Schirrmacher“, der schon mit seiner eigenen Payback-Denk-Apokalypse Panik verbreitet. Machen also Soziale Netzwerke unser Gehirn ebenso kaputt wie Drogen die gehirneigenen Netzwerke? „Die Generalthese vom potenziellen Hirnschaden durchs Internet“ erscheint laut Peter Praschl unbegründet. Ebenso undifferenziert erscheint mir die pauschale Beurteilung der Gehirne Drogentoter, ohne  auf die dabei konsumierte Drogen zu verweisen (Heroin? – Kokain? – Cannabis? – Alkohol?).

Lesen kann bilden, Lesen kann aber auch nur Vorurteile zementieren. Nur Vorsicht, dass Lesen nicht zur Droge gerät und weitere neuronale, soziale oder sonstige Netzwerke zerstört.

Guggenheims Youtube-Gewinner

Mittwoch, 27. Oktober 2010

Andrian Kreye hat mich über seinen Feuilletonisten-Blog darauf aufmerksam gemacht, dass die Auswahl des Guggenheim Museums und Youtube in der Biennale der kreativsten Videos  unter youtube.com/play getroffen ist. Aus 23.358 Videos aus 91 Ländern wurden 25 Gewinner ermittelt. Ein besonders schönes Beispiel ist in der Tat „Bathtub IV“ des Australiers Keith Loutit, das die Welt zwischen kindlichem Erstaunen à la Augsburger Puppenkiste und göttlicher Erhabenheit betrachtet.

Sehr bemerkenswert auch der Kurzfilm „I met the Walrus“  in bester Beatles-Tradition über ein Interview mit John Lennon, das 1969 der damals 14jährige Beatles-Fan Jerry Levitan im Hotelzimmer in Toronto führte. Zusammen mit Regisseur Josh Raskin und den Illustratoren James Braithwaite und Alex Kurina ist nun daraus ein Kunstfilm geworden, der 2008 für den Academy Award for Animated Short nominiert wurde, 2009 den Emmy für ‚New Approaches‘ gewann (damit übrigens als erster über Internet verbreiteter Film, der  einen Emmy gewann) und 2010 den Youtube Play-Award .

Autosuggestive Krisenbewältigung

Dienstag, 26. Oktober 2010

Da wäre der 28. Mediengipfel des Medienboard Berlin-Brandenburg doch fast an mir vorbei gegangen, hätte ich nicht am Wochenende in der Süddeutschen Zeitung einen schönen Artikel von Fabian Heckenberger entdeckt, der schon einigermaßen vielversprechend begann.

Süddeutsche Zeitung, 23.10.10, Titel: Es geht uns gut

Bertelsmann-Chef Hartmut Ostrowski hat zum diesjährigen 175-jährigen Jubiläum des Unternehmens aus Gütersloh einen Gewinnsprung verkündet (siehe Bilderserie bei sueddeutsche.de ) und sprach darum nun auch in Berlin vom guten Abschneiden der Medienkonzerne und von ihrer vorbildlichen Bewältigung der Krise. Bertelsmann hat als größter Medienkonzern Europas zwar immer noch rund 100.000 Mitarbeiter, musste im Vorjahr jedoch erstmals Verluste schreiben und vor allem durch Stellenstreichungen eine Milliarde Euro einsparen. Gut, das schafft natürlich auch nicht jeder.

„Die Zukunft der Medien zwischen Tradition und Wandel“ hieß das Motto der Veranstaltung. Und obwohl die Zahl der Fernseh-zuschauer rückläufig ist und in Zukunft vermutlich weiter gegenüber dem Internet verlieren wird, hielt Ostrowski an der Traditon fest, dass ältere Menschen wiederum mehr fernsähen. „Die Zwischenfrage, ob der Ausgang dieses Feldversuchs überhaupt schon absehbar sei, überging der Bertelsmann-Chef.“, schreibt Fabian Heckenberger.

Eher dem Wandel verpflichtet zeigte sich dagegen der Medienboard-Geschäftsführer Elmar Giglinger, der die Zukunft des Medienwandels durch neue Endgeräte beschleunigt sieht. Demgegenüber lautet das Credo von Hartmut Ostrowski, dass Inhalte in der medialen Zukunft von zentraler Bedeutung blieben. Trotz der schrittweisen Sanierung des durchaus gebeutelten Medienkonzerns fehlt Bertelsmann immer noch die gewinnbringende Strategie  für die Zukunft. neben der Bildung soll auch das Digitalgeschäft zunehmen. Aber punkten konnte der Konzern hier noch nicht. So viel zum Thema Inhalte…

Nachtrag 28.10.: Im heutigen Handelsblatt hat Peter Siebenhaar auf der Meinungsseite eine Beurteilung der RTL Group abgegeben, unter dem Titel „Computerspiele statt Fernsehshows“. Demnach wappnet sich die RTL-Tochter Fremantle Media, einer der größten TV-Produktionskonzerne der Welt mit 10.000 Programmstunden jährlich, mit Firmenankäufen für die digitale Zukunft. Mit der kanadischen Firma Ludia, die Videospiele für Computer und Mobiltelefone herstellt, sowie dem US-Marketingunternehmen Radical Media werden „neue Geschäftsmodelle und neue Kundekreise außerhalb des herkömmlichen TV-Bereichs möglich, heißt es weiter.

Konnektivität für Beziehungsmanagement?

Mittwoch, 20. Oktober 2010

Der Beitrag von Matthias Schwenk auf Carta hat mich auf die Studie der Werbeagentur Grey und von Google Deutschland zum „Homo Connectus“ aufmerksam gemacht. Die Allgegenwart von Online-Inhalten auf Notebooks, vor allem aber auf Smartphones führt zu einer Veränderung im Medienverhalten, aber auch – worauf die Studie abzielt – in der Markenkommunikation.

Zitat aus der Studie unter http://homoconnectus.grey.de/

Diese etwas schnöde Zusammenfassung von Seite 36 greift das Fazit vorweg, wonach die Sprache von Markenkommunikation im Sinne eiens Beziehungsmanagements ist. Technisch und dabei auch sozial vernetzte Menschen müssten folglich in der Kommunikation wenn möglich auf einer Vertrauensbasis erreicht werden. Nutzer, Fans und Gegner einer Marke bestimmten demnach fast ebenso stark das Erlebnis wie die auf verschiedene Kanäle angepasste Werbung. Die Lebenswelt des Homo Connectus wird laut der Studie durch sechs Tendenzen bestimmt (s. S. 9 der Studie).

Darstellung aus S. 9 der Studie unter http://homoconnectus.grey.de/

Sicher, das sind alles beeindruckende Stichworte, allerdings wie Matthias Schwenk zurecht bemängelt (unter Verweis auf die mehr als zehn Jahre alten 95 Thesen des Cluetrain-Manifestes), nicht unbedingt neu, aber doch sehr überzeugend dargestellt. Daraus allerdings „echtes Beziehungsmanagement“ abzuleiten, erscheint mir wenig glaubhaft. Vermutlich müssen sich das Werbeagenturen heute auf die Fahnen schreiben, um mit der Zeit zu gehen.

Aber letztlich ist ganz klar: Sie preisen ein Produkt an, versuchen es erlebbar zu machen, seine Vorzüge zu demonstrieren und es gegenüber anderen Produkten hervorzuheben. Wenn es ihnen zu diesem Zweck gelingt, die Kommuniaktion mit (am besten begeisterten) Nutzern einzubeziehen, Chapeau! Wenn nicht, bekommen sie ein Problem. Was aber an dem Beziehungsmanagement „echt“ sein soll, leuchtet mir nicht ein. Denn die Absichten bleiben dieselben, egal welches Medium und welcher Kanal für die Botschaft gewählt wird.

Sehr interessant in diesem Zusdammenhang auch der Verweis eines Carta-Kommentators auf den Beitrag bei FAZ online zu Internet und Demokratie.

Gefühlte und tatsächliche Sicherheit

Freitag, 15. Oktober 2010

Wusste ichs doch, dass da noch mehr zu erwarten wäre. Inhalte von Brisanz von den diesjährigen Münchner Medientagen – sind allerdings Fehlanzeige! Bundesjustizminsiterin Sabine Leutheuser-Schnarrenberger hielt an den Leistungsschutzrechten für Verlagserzeugnisse im Internet fest, verwies aber beim Online-Gipfel „Freiheit im Netz: Bürgerrecht oder Alptraum“ gleichzeitig auf die beschränkte Zuständigkeit, wenn ein Server mit Daten im Ausland steht.

Die Welt, 15.10.10, Titel: Justizministerin setzt sich für Verlage ein

In der Welt berichtet Ileana Grabitz davon, dass der von BDZV und VDZ vorgelegte Vorschlag einer Zwangsabgabe zum Leistungsschutzrecht bei der Industrie überhaupt nicht gut ankommt. Die Argumentation Philipp Schindlers, Googles Managing Director für Nord- und Zentraleuropa, dass die Verlage vor Jahren von sich aus entschieden hätten, ihre Inhalte kostenfrei ins Netz zu stellen und sie insofern nun auch keine Gebühren für ihre Verwendung verlangen könnten, ist verständlich, aber nicht schlüssig. Ein Geschäftsmodell setzt voraus, dass man auch im Internet mit journalistischen Inhalten Geschäfte machen kann. Und das wäre durchaus möglich, wenn eine entsprechende Kehrtwende der Verlage nur vollzogen würde.

Die Welt 15.10.10, Untertitel: Mehr Schutz für Online-Inhalte

Datenschutz betrifft nicht nur journalistische Erzeugnisse, sondern natürlich auch die private Datensphäre im Netz. Laut Bericht in der Zeit online soll bis zum 7. Dezember ein Kodex zum Datenschutz erarbeitet werden, der zur Selbstverpflichtung dienen soll. In der Welt wird Verbraucherminsiterin Ilse Aigner zitiert: „Den verbauchern das Gefühl zu vermitteln, dass sie die Weitergbe ihrer persönlichen Daten kontrollieren können, ist unerlässlich.“ Anmerkung: Es geht nicht nur um das vermittelte Gefühl, sondern um die praktikable Durchführung.

Der Streit tritt auf der Stelle

Donnerstag, 14. Oktober 2010

„Wert(e) der Medien in der digitalen Welt“ lautet das Motto der diesjährigen Münchner Medientage, die morgen zu Ende gehen. Zum Auftakt behakten sich die üblichen Verdächtigen in schon liebegewonnener Gewohnheit – oder für Außenstehende in ermüdender Langeweile.

FAZ, 14.10.10, Titel: Wer bedroht hier wen?

Henning Peitsmeier schreibt in der FAZ: „Wenn Altbekanntes bewährt sein soll, dann hat deer „Mediengipfel“ sein Ziel erreicht.“ Der ARD-Vorsitzende Peter Boudgoust verteidigte die Erhöhung der Rundfunkgebühren ab 2013 (ARD und ZDF hätten keine Mehreinnahmen davon, meinte er). Der Präsident des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien Jürgen Doetz bezweifelte den Informationsauftrag der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender insgesamt. Axel Springer-Chef Mathias Döpfner rief zu mehr Vielfalt hinsichtlich der Endgeräte auf (vermutlich hat er die Mahnung des BDZV, sich vom iPad keine Wunder zu erwarten, ernst genommen). Daneben kritisierte er die kostenfreien ZDF-Apps, die seinen erfolgreichen Bezahlmodellen unlautere Konkurrenz machten. ZDF-Intendant Markus Schächter wiederum machte Stimmung gegen Google und Apple, da die Riesenkonzerne sich alle Inhalte kostenlos einverleibten.

Henning Peitsmeier resümmiert, dass bild.de vermutlich nicht mehr lange zwanzig mal größer als tagesschau.de bleibt, wenn das ZDF-App kostenlos ist, während das Bild-App 79 Cent kostet. In der Tat kommen die Privaten nicht weiter in ihrem Bemühen, ein Bezahlmodell im Internet einzubürgern, wenn es weitere Unterstützer der Abgreifmentalität gibt. Ich bedeine mich auch gerne überall dort, wo mich etwas interessiert. Doch es muss in die Köpfe hinein, dass sobald eine Information exklusiv ist, sobald eine Geschichte mit Hintergrundwissen angereichert wurde und sobald weitere Arbeitsleistung von Journalisten mit ins Spiel kommt, die Inhalte auch ihr Geld wert sein sollten. Insofern ist die nachdrückliche Forderung von Mathias Döpfner in seiner Keynote nach Leistungsschutzrecht bei journalistischen Inhalten im Netz und nach dem Ende der Gratiskultur durchaus berechtigt. Ich will mal gespannt sein, ob von dem Gipfel, den dieses Jahr erstmals sogar Landesvater Horst Seehofer besucht hat, noch stärkere Impulse mit Lösungsansätzen ausgehen.

FAZ, 14.10.10, Titel: Mitregieren im Web

Nebenbei und übrigens auch örtlich direkt neben dem oben zitierten Artikel berichtet die FAZ auch über eine Umfrage von infratest dimap im Auftrag von „Internet & Gesellschaft Co://aboratory„. Demnach möchten mehr als zwei Drittel der 1.00 befragten Wahlberechtigten (genau 71%) häufiger in politische Entscheidungen eingebunden werden und setzen dabei verstärkt auf das Internet. 69% sind dazu bereit, sich konkret an einem lokalen eParticipation-Angebot  kommunale Belange betreffend zu beteiligen. Über die Medien die Bezahlinhalte in den Medien mitzubestimmen, das wäre allerdings auch mal eine schöne Alternative!

Zuletzt noch eine Zusammenfassung von Messe-Live TV:

„Schnapszahl“ – One day on earth

Samstag, 09. Oktober 2010

„Lasst uns die Feste feiern, wie sie fallen!“ – keine ganz schlechte Einstellung angesichts der oft mit wachsendem Alter wachsenden Sorgen. Der 10. Oktober 2010, kurz: 10.10.10, würde als eine klassische Schnapszahl Gelegenheit bieten, zusammen mit Freunden einen (oder auch zwei) darauf zu trinken. Andere nutzen den Tag als Hochzeitsdatum. Daneben gibt es einige weiter reichende Betrachtungen des Tages für „Numerologen, Science-Fictions.-Fans, Zombies, Verliebte und andere Spinner“, wie Kritsanarat Khunkham heute in der Welt schreibt.

Die Welt, 09.10.10, Titel: Die Antwort auf alle Fragen des Lebens

Alleine in Köln heiraten diesen Sonntag 60 Paare, das bedeutet reichlich Zusatzeinnahmen für die Stadtkasse. Aber warum ist dieses Datum als „10.10.10“ geschrieben auch ein ganz besonderer Binärcode? Fans von Douglas Adams werden es längst wissen, gemäß dem meist angeführtem Zitat aus dem Science Fiction-Klassiker „Per Anhalter durch die Galaxis“: „Die Antwort 42“. Detaillierte Analysen finden sich zum Beispiel im Anhalter-Lexikon von Marco Mütz und Wolf Rödiger. Im Buch wusste der Supercomputer „Deep Thought“ nach langer Berechnung keine andere „Antwort auf das Leben, das Universum und den Rest“. Fanclubs des Buchs reisen am Sonntag daher in verschiedenen Städten weltweit gezielt mit Bussen der Linie 42 herum, so in New York, Denver, Los Angeles, London, Paris und Budapest. Hier die Szene aus dem Film, in der der Computer die Antwort gibt.

 

Parallel dazu wurde das Datum auch als „Welt-Zombie-Tag“ ausgerufen. Für Numerologen ist der Tag von besonderer Bedeutung, da der Zehn als Summe der Zahlen 1 bis 4 eine besondere Bedeutung zukommt. Immerhin rechnen wir auch im Dezimalsystem, das uns schon durch die Zehn Gebote aus der Bibel nahegebracht wurde. Zuletzt gibt es auch ein Filmprojekt „One day on earth„, bei dem tausende Filmemacher dokumentieren, was an diesem Sonntag so alles passiert.

Das Nachrichten-Yin und Yang

Freitag, 08. Oktober 2010

Digitale und analoge Medien ergänzen sich nach wie vor (als Yin und Yang der Nachrichtenwelt) , auch wenn die Geschäftsmodelle vieler Unternehmer für beide Bereiche sich aufs Neue behaupten müssen. Diese Kurzformel ziehe ich aus zwei Veröffentlichungen in der FAZ in dieser Woche. Zuerst war da die Buchbesprechung von Uwe Ebbinghaus zum Sammelband „Wozu noch Journalismus?“ – Wie das Internet einen Beruf verändert. Dem schloss sich ein kurzer Beitrag über die weltweit vergleichsweise geringe Nachfrage nach Nachrichten-Apps an.

FAZ, 02.10.10, Titel: Wichtiger denn je: Zeitung lesen!

Die Überschrift der Renzension liest sich natürlich ein wenig wie eine Selbstrechtfertigung. Doch in der Tat ist das Zeitunglesen – zumal im Feuilleton – gelegentlich ein ganz besonderer Genuss. So auch in diesem Fall, wobei sich die Besprechung hauptsächlich mit den einführenden Essays der Herausgeber Stephan Weichert und Leif Kramp (beide Medienwissenschaftler) sowie Hans-Jürgen Jacobs, Chefredakteur von „sueddeutsche.de“ auseinandersetzt. Uwe Ebbinghaus bescheinigt ihnen „unbelegbare Behauptungen“ (wie die Forderung nach einem „unablässigen Dialog“ der Redakteure mit ihren Lesern) und eine „völlig unzureichende Argumentation“ (wie Blogs würden „etablierten Medien unerwartet das Wasser abgraben“ oder dass die Presse „Moderator von Leser- und Zuschauerinteressen sein“ müsse).

Ein weiteres wichtiges Versäumnis hält der Autor dem Buch vor, nämlich dass die Debatte noch „vor der Etablierung vieler Medien-Applikationen für Smartphones und der Markteinführung des Tablet-Computers iPad“ ende. Insgesamt sei das Ergebnis des ganzen Buches jedoch „erhellend und optimistisch“, heißt es, „die Debatte schärft sich sozusagen in Abgrenzung von den Impulsgebern“. Allerdings lautet der Abschlusssatz zu dem Sammelband, der auf einer online nachzulesenden Serie bei sueddeutsche.de beruht: „Die entscheidenden Fragen über die Zukunft des Journalismus werden in diesem Buch nicht beantwortet.“ Zu nennen ist jedoch die von den Buch- wie vom Rezensions-Autoren wiederholte Forderung nach einem „entschleunigten Journalimus“. Dieser sei doch gerade im Printjournalismus gegeben, betont Ebbinghaus. Vor allem im Feuilleton, möchte ich anmerken.

FAZ, 07.10.10, Titel: Warnung vor iPad-Begeisterung

Unter anderem wird aber in dem Buch auch – vor dem Hintergrund der inzwischen bestehenden  kostenpflichtigen online Angeboten speziell für das iPad und für Smartphones – eine Einigkeit in Hinblick auf die „ökonomisch nicht zu rechtfertigende Gratiskultur“ konstatiert. Dazu passt der Artikel vom 7. Oktober aus der FAZ (online leider nicht verfügbar), wonach der Welt-Verlegerband Wan-Ifra vor „zu viel Begeisterung für den Tablet-Computer iPad von Apple gewarnt“ habe. Neben dem Hinweis, dass es auch noch andere Geräte gibt, ist noch entscheidender die Tatsache, dass „die Nachfrage nach den Anwendungsprogrammen (Apps) mit Nachrichtenangeboten eher gering“ ist. Dies wurde am Rande der „Leitmesse der Zeitungsindustrie“, der Ifra Expo 2010 in Hamburg mitgeteilt. Eine interessante Zusammenfassung weiterer Hauptthemen des 17. World Editors‘ Forum auf englisch bietet wan-press.

Kristina Sabelstörm-Möller von der Meinungsforschung des Wan-Ifra wurde weiter zitiert, „nur bis zu vier Prozent der Downloads sind „News“-Anwendungen, um Zeitungen oder Magazine zu lesen“. Demgegenüber würden bei E-Readern die Inhalte fast ausschließlich zum Lesen genutzt, von denen 95 Prozent kostenpflichtig seien. Abschließend folgt ein Hinweis des Analysten des Marktforschers Forrester Research, Nick Thomas: Zeitungsverlage müssten sich vor allem als Nachrichtenmarken etablieren. Das ist ja nun mal nichts Neues. Warum aber sollten Tablet-Nutzer, die nur bereit sind, jährlich rund 50 Dollar für ein Abo zu bezahlen, mehr in Informationen über dieses Endgerät investieren? Sie können ja immer noch Zeitung lesen.

Stilistische Vergleiche erwünscht

Montag, 04. Oktober 2010

Julia Encke hat in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung einen Stiltest vorgestellt, den die Zeitung in Anlehnung an das englische Vorbild „I write like“ von Coding Roberts eingerichtet hat. Die Programmierung basiert auf der Idee des montenegrinischen Russen Dmitri Chestnykh, der ein Programm mit Massen von Literatur fütterte und einen entsprechenden Algorithmus entwickelte.

Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 03.10.10, Titel: "Ich schreibe wie..."

Erstaunlich, dass mir beim Selbstversuch eins mit dem Text meines Blogeintrags „Der Virus Social Proof“ vom 29. September ein Stil wie Goethe bescheinigt wurde: 

Johann Wolfgang von Goethe

Beim zweiten Selbstversuch mit dem Text des Eintrags „Die Sorgen der Zeitungsverleger“ (eine Woche älter) ergab der Stiltest allerdings etwas ganz anderes, nämlich:

Sigmund Freud

Damit wurde definitiv ein dritter Test erforderlich, wozu ich den Text des Beitrags „Wünsche und Ängste in Statistiken verpackt“ (noch mal eine Woche älter) wählte. Das Ergebnis:

Rainald Goetz

Entweder habe ich also eine rasante stilistische Entwicklung hingelegt (deren Ende sicherlich nicht so bald absehbar wäre), oder ich hätte mich mal besser mit dem ersten Ergebnis zufrieden gegeben, nach dem Motto: „Der ist ein Tor, der zweimal das Orakel befragt.“ Eine sehr spaßige Sache das!

Der Virus „Social Proof“

Mittwoch, 29. September 2010

Alleine der Titel der FAZ-Rubrik „Klarer denken“ erfüllt mein Herz mit Freude. Der Schriftsteller Rolf Dobelli lässt sich an dieser Stelle im Feuilleton in unregelmäßigen Abständen über Phänomene der Vernunft und des Verstandes aus.  Anfang dieser Woche überraschte er mich mit der Schlagzeile in Anlehnung an Summerset Maugham, die nur vermeintlich einer Binsenweisheit gleicht.

FAZ. 27.09.10, Titel: Wenn Millionen eine Dummheit behaupten, wird sie deshalb nicht zur Wahrheit

Das Ansteckende menschlichen Verhaltens beschreibt der Gründer und Kurator des Forums „Zurich.Minds“ unter dem Schlagwort „Social Proof“. Beginnt im Konzert einer zu klatschen, auch an einer ungeeigneten Stelle, klatschen schnell alle. „Man findet Social Proof in der Kleidermode, bei Managementtechniken, im Freizeitverhalten, in der Religion und bei Diäten.“ Nicht zuletzt führt er den Massenselbstmord ganzer Sekten oder Joseph Goebbels Rede vom „Totalen Krieg“ von 1943 an.

Als Ursache für dieses Verhaltensmuster gibt er eine Überlebensstrategie aus der Steinzeit an und verweist auf Alltagsfallen von Social Proof, die strategisch ausgenutzt werden. In Comedy-Sendungen wird Gelächter eingespielt, damit die Zuschauer zuhause (nachweislich) mitlachen, in der Werbung sprechen manche Marketingasse von „meistverkauften“ Produkten. Dies empfiehlt den Kauf zur Nachahmung, auch wenn es alles andere als ein echtes Verkaufsargument ist.

Süddeutsche Zeitung, 24.09.10, Titel: Zeig mir deine Wunde

Einen Bereich hat Rolf Dobelli jedoch vergessen aufzuführen, und zwar den der Sozialen Medien. Bereits ein paar Tage zuvor war mir hierzu obiger Artikel aus der Süddeutschen Zeitung aufgefallen, in dem Nikolas Westerhoff erklärt, wie in sozialen Netzwerken Menschen sich mit psychischen Leiden infizieren können. Das Internet mit seinen Foren und anderen Treffpunkten bildet den Nähr- oder Resonanzboden zur Ausbreitung von Online-Gemeinschaften zu psychischen Leiden.

Dies belegt eine zitierte Studie von Psychologen des Colleges of Human Ecology an der Cornell University in Ithaca im US-Bundesstaat New York. Demnach gab es 1998 eine einzige bekannte Netzgemeinschaft zum Thema Selbstverstümmelung, 2001 bereits 28, aktuell um die 400. Nachweisbar ist auch die Selbstmordrate abhängig von der Suizid-Berichterstattung in Zeitungen (untersucht zwischen 1947 und 1968 anhand der New York Times). Nikolas Westerhoff  zitiert weitere Fälle übertragener psychischer Störungen, hysterisches Lachen 1962 in Tansania oder die ansteckende Angst vor dem verschwindenen Penis 1967, 1976 und 1990 in Ländern wie Thailand, Malaysia und Nigeria.

Ein weiteres interessantes Beispiel ist die eklatante Zunahme von Rückenschmerzen nach der Wiedervereinigung in Ostdeutschland, laut dem Mediziner und Soziologen Nicholas Christakis von der Havard University ein eindrucksvoller Beleg für die Macht eines sozialen Netzwerkes, auch „soziale Ansteckung“ genannt. Diese soziale Ansteckung wird durch die weit gespannten Online-Netzwerke weiter verstärkt. „Die Bestätigung für das eigene Verhalten liegt nur einen Mausklick entfernt.“, heißt es.