Archiv für die Kategorie ‘Internetkultur’

Umfragen ohne Erkenntnisgewinn

Dienstag, 09. März 2010

Zwei Meldungen haben mich jetzt erreicht, deren Nutz- und Neuigkeitswert ich allerdings anzweifle. Zum einen blickt „Yahoo!“ aus Anlass seines 15-jährigen Bestehens nach eigener Aussage in die „digitale Kristallkugel„, zum anderen erklärt PR-Professional, dass Google der „meist gefürchtete Internet-Konzern der Deutschen“ ist.

„Das Web heute alltäglicher als eine Tasse Kaffee“ lautet die erste interessante Mitteilung der Yahoo!-Mitteilung. Statistiken der Umfrage zu täglichen Angewohnheiten unter Deutschen: 89 Prozent mailen, 78 Prozent suchen online, mehr als drei Viertel lesen online Nachrichten, dagegen trinken nur 73 Prozent Kaffee und nur noch 68 Prozent sehen fern. Mehr als 75 Prozent der Befragten könnten sich hierzulande ein Leben ohne Internet nicht mehr vorstellen, heißt es weiter. Bei der Bitcom-Studie vor einer Woche waren es dagegen nur 58 Prozent, die sich ein leben ohne Web nicht mehr vorstellen können (texthilfe berichtete). Für diese Aussage („absolut unverzichtbar“) findet sich bei Yahoo! dann noch eine überwältigendere Mehrheit von 90 Prozent (also was denn nun?)! Und wem soll ich nun mehr Glauben schenken? Ich tendiere mal zum Verband…

Die andere Meldung, die bisher einzig pr-professional.de zitiert, bezieht sich auf eine Kurzumfrage von Faktenkontor und Toluna. Demnach fürchteten sich die Deutschen laut einer repräsentativen Umfrage am meisten vor Google (38 Prozent), gefolgt von Facebook (23 Prozent) und Microsoft (15 Prozent). Befürchtet würden vor allem Viren, Datenmissbrauch und versteckte Zusatzkosten. Der glaubwürdige Informationsdienst leitet daraus ab, dass die PR-Verantwortlichen auf diese Ängste reagieren sowie bei der Zusammenarbeit mit bestehenden Internetplattformen auf die Seriosität achten sollten.  Zuletzt wird Bundesverbraucher-schutzministerin Ilse Aigner zitiert, teils in indirekter Rede: „Branchenriesen wie Facebook, Apple, Google oder Microsoft können im Internet ganze Persönlichkeitsprofile erstellen und niemand wisse, was genau gespeichert werde“.

Der Verweis auf die Quelle „Toluna Quick Surveys“ lässt mich allerdings ein wenig an der Seriosität zweifeln: die Community-Website für Meinungsäußerungen bietet offensichtlich für Konzerne kostenpflichtige „gesponsorte Umfragen“ unter den angeblich 400.000 Mitgliedern (deutschland- oder weltweit?) an. Allerdings gibt es keinen Pressebereich. Bei der PR-Agentur Faktenkontor, die einen durchaus seriösen Eindruck macht, ist das Ergebnis der Umfrage auch nicht im Pressebereich zu finden, allerdings die Ergebnisse einiger anderen, die ebenfalls zusammen mit Toluna erstellt wurden. Die vermutlich vorwiegend jüngeren Mitglieder können sich Punkte verdienen durch das Einstellen und Beantworten von „Quick Votes, Thematischen Umfragen oder regulären Umfragen“. Dafür erhalten sie Belohnungen, können an „Produkt-Tests“ teilnehmen und ihren „Level“ verbessern.

Wochenend-Presseschau 09-10

Montag, 08. März 2010

Zweimal die FAZ vom Samstag und einmal die Süddeutsche vom Freitag: Michael Moorstedt berichtet über Simon Fullers neue Show, die ausschließlich fürs Internet produziert wird, tags drauf kommentiert Carsten Knop auf der ersten Wirtschaftsseite, dass die Kommunikation von Maschinen untereinander die Chance für die deutsche IT-Industrie sei, während Detlef Borchers im Feuilleton ein Buch von vierzig Informatikern vorstellt, das die Geschichte des Computers be- und fortschreibt.

Süddeutsche Zeitung, 05.03.10, Titel:  Ich habe einen Albtraum

Ich liebe vieldeutige Feuilleton-Überschriften, diese inbegriffen. Michael Moorstedt bescheibt das neue Projekt des Erfinders der „Pop Idol“ (DSDS)- und der „So you think you can dance“-Serien. „If I can dream“ zeigt fünf häuslich internierte Kandidaten bei ihren Bemühungen um einen Job in der Entertainement-Industrie. Allerdings findet die „inhaltliche Mischung aus Truman Show, Big Brother und Das Supertalent“ nur auf dem „amerikanischen Video-on-demand-Service hulu.com“ statt. Zum selbst ernannten „Post-Reality-Entertainement“-Format Fullers gehören unter Verzicht auf eine Produktionsfirma, die Konflikte inszeniert, mehr als 50 Kameras und die  Anbindung der Kandidaten an die üblichen sozialen Netzwerke zwecks Kontakten mit den Zuschauern. Diese aber waren nach dem Start in der Mehrheit nicht angetan vom Ergebnis. Laaaaaangweilig!

FAZ, 06.03.10, Titel: Die IT braucht keine Aufbauprämie

Carsten Knop beschreibt in Folge der Cebit, welche Chancen sich aktuell  für deutsche IT-Unternehmen ergeben. Als Beispiel nennt er die „Car to Car“-Kommunikation, die über ein Funknetz zwischen hintereinanderfahrenden Autos z.B. vor einer aktuellen Aquaplaning-Gefahr warnen kann. Die Vernetzung von und Kommunikation zwischen allen Arten von Maschinen und Geräten stelle einen Knotenpunkt dar, an dem „deutsche Unternehmen oft die führenden Anbieter sind“.

Laut einer Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung im Auftrag des IT-Branchenverbandes Bitkom verdoppelten sich innerhalb der nächsten zwanzig Jahre Bruttowertschöpfung und Beschäftigung der deutschen Software- und IT-Dienstleistungsbranche. Allerdings zieht Carsten Knop daraus nicht den Schluss des Verbandes, dass die dynamische Branche daher politisch weiter gefördert werden solle: „Aufbauprämien sind genauso schädlich wie Abwrackprämien“. Worüber sich streiten ließe. Ob sie nötig sind, wäre noch eine Frage. Abschließend gibt er zu bedenken, dass zu diesen Themen bereits wieder amerikanische Unternehmen wie Cisco und Intel den Ton angäben.

FAZ, 06.03.10, Titel: Das Leben des Heinz

Aus derselben Zeitung, ebenfalls in Bezug auf die Cebit, eine weitere schöne Überschrift. Detlef Borchers hielt eine Buchpräsentation auf der Computermesse für eine echte Alternative und sah sich „Heinz‘ Life 1962-2032  -Kleine Geschichte vom Kommen und Gehen des Computers“ an, geschrieben von 40 Informatikern und herausgegeben von Lutz Heuser, Forschungsleiter von SAP. Für jedes Jahr  in der benannten Spanne ist ein Eintrag verfasst. „Das Buch ist ausgesprochen SAP-lastig und klammert Entwicklungen wie Google aus“, bemerkt der Autor und meint, es würde Laien langweilen und Fachleute (vermutlich aufgrund der subjektiven, nicht repräsentativen Themenauswahl) rätseln lassen. Selbst die vermeintlich spannenden Zukunftsvisionen gerieten offenbar eher weniger glaubhaft. Wurde etwa der Vorname Heinz gewählt, um einer subjektiven Sichtweise Vorschub zu leisten? Davon will ich mal nicht ausgehen; ist doch ein schöner Name, oder nicht?

Digitale Orientierungssuche

Sonntag, 07. März 2010

Die Welt am Sonntag hat mich heute doch einigermaßen überrascht: Auf der Titelseite verspricht eine Überschrift neue Erkenntnisse über die Bedeutung des Internets, deren Antwort dann allerdings ganz anders ausfällt als erwartet. Denn die Doppelseite 72/73, auf die hier verwiesen wird, ist grafisch in Anlehnung an die Startseite bei Facebook gestaltet. Vielmehr aber fesselte mich anschließend der Aufmacher der „Stil“-Abteilung über das Geschäftsmodell von Apple.

WamS, 07.03.10, Titel: Wie das Netz unser Leben verändert

Der Untertitel „Facebook-Report“ hätte mich stutzig machen sollen. Das zugegeben große Soziale Netzwerk ist sicherlich eine Marke im Bewusstsein sowohl des Marktes, als auch vieler einzelner Nutzer. Aber der Titel hatte mich doch eher an die geplante Enquete-Kommission des Bundestags erinnert oder wenigstens an umfangreiche Studien über das Ausmaß des Einflusses des Internets auf das alltägliche Leben. Die Auslassungen unserer Bundesfamilienministerin Kristina Schröder über Facebook interessierten mich dann doch weniger. Spannend dagegen fand ich die Betrachtung von Andreas Rosenfelder über „unsere Doppelgänger in den sozialen Netzwerken“:

WamS, 07.03.10, Tietl: Vom doppelten Körper des Facebook-Nutzers

Die seit vielen Jahren übliche Angewohnheit, sich im netz einen Avataren anzulegen, vergleicht der Autor mit dem im Mittelalter bemühten „politischen Körper“ ein es Königs, der im Gegensatz zu seinem natürlichen Körper „makellos und unsterblich“ war. „Der Datenkörper steht immer im Licht der Öffentlichkeit, auch wenn wir uns gerade verkriechen möchten.“ Weiter beobachtet Andreas Rosenfelder richtig, dass diese Daten keinen „programmierten Zelltod“ kennen und stattdessen im Fall des Ablebens ihres Urhebers weiter existieren. Es sei denn, wie werden von einer Spezialfirma weitgehend gelöscht. Da gefiel mir natürlich besonders der Vergleich mit James Camerons „Avatar“, über den ich schon lange nichts mehr geschrieben habe.

Allerdings wird dieses treffliche Bild nicht weiter vertieft, sondern handelt der Artikel anschließend vorrangig von der Datenmenge und -speicherung. Während die Telekom in der vergangenen Woche nach dem Verbot der Vorratsdatenspeicherung durch das Bundesverfassungsgericht insgesamt 19 Terrabyte an Daten gelöscht hat, tun wir bei Facebook unablässig immer noch genau das: Daten auf Vorrat speichern („Petabytes“, wenn wir dem Artikel glauben wollen). Das Verweilen auf der Seite verwandle sich „in einem vielstimmigen Gesellschaftsroman, montiert aus Anekdoten, banalen Kantinenwitzen, witzigen Aphorismen, Partyfotos und Miniatur-Leitartikeln“. Aber weder sei das Copyright an diesem Roman festzumachen (Verweis zur Hegemann-Debatte), noch stünde uns im Allgemeinen bislang das nötige „Survival-Wissen“ des Internetzeitalters zur Verfügung, um „all die Elemente zu beherrschen, aus denen sich unser Daten-Corpus zusammensetzt“.

WamS, 07.03.10, Titel: Angebissen

In diesem Zusammenhang passt der so betitelte Beitrag von Joachim Bessing und Lorraine Haist sehr gut ins Bild. Ausgehend von der früheren Lagerbildung Bill Gates (Microsoft) versus Steve Jobs (Apple) wird die heute deutlich verschobene Marktposition dargestellt: Apple stünde heute etwa da, wo Ende des vorigen Jahrhunderts noch Sony stand. „Mit dem iPod hat Jobs den Walkman des 21. Jahrhunderts auf den Markt gebracht. Mit dem iPhone hat er das Mobiltelefon neu erfunden. (…)“. Was aber nioch wichtiger ist, Apple bestimmt in seiner Machtposition auch über die Inhalte, die via „iTunes-Store“ vertrieben werden: Musiktitel, Zusatz-Applikationen, genannt Apps, und demnächst auch die Inhalte fürs iPad von Zeitungs- und Schulbuchverlagen.

Vor diesem Hintergrund passt das Firmenlogo, ein angebissener Apfel, besonders gut: Nach dem Biss in die verbotene Frucht wurden die ersten Menschen aus dem Paradies verwiesen. Die Autoren sehen die Entsprechung zum Nutzer der Jobs-Produkte: „Hinter dem Glas des Monitors liegt sein Garten der Lüste. Mithilfe des orthodoxen Regulariums des iTunes-Store wird dort nun aufgeräumt.“ Nicht nur wurden dort sämtliche Google-Anwendungen aus dem Angebot genommen, sondern auch alle Anwendungen, die anzüglich erscheinen könnten, zensiert (so etwa eine Diashow von Katzenbildern, die dummerweise den Namensbestandteil „Pussy“ trug).

Apple allerdings habe wesentlich zur heutigen Netzkultur mit dem in Soziale Netzwerke ausgelagerten Privatleben beigetragen, „weil es Steve Jobs gelungen ist, aus grauen Büomaschinen Familienmitglieder zu machen: Dinge, die wie Handschmeichler sind“. Der Schluss des Artikels leuchtet mir allerdings nicht ganz ein: „Aus Steve Jobs Paradies wird keiner mehr verbannt“, heißt es da. Aber zuvor klang es noch so, als sei es Steve Jobs gewesen, der uns aus dem Paradies geschmissen habe. Sein Konzern des angebissenen Apfels trägt dazu bei, die Zeiten des kostenlosen und des unzensierten Internets zu beenden. Ob ein Konsumentenprotest gegen Apple wirklos bliebe, wie in der WamS vermutet wird, ist ungewiss. Aber die Verhandlungen um digitale Urheberrechte haben erst begonnen. Alternative Geschäftsmodelle zu Gunsten der Verbraucher werden vermutlich nicht lange auf sich warten lassen.

Der Schalter im Kopf und der Chip im Körper

Donnerstag, 04. März 2010

Statistiken ist bekanntlich immer nur dann zu trauen, wenn man sie selbst angefertigt hat. Doch gerade über die Internetnutzung werden immer wieder so überzeugende und schöne Statistiken erstellt, dass ich einfach nicht anders kann, als sie relativ vorbehaltlos zu glauben. Zum Start der Computermesse Cebit hat der IT-Branchenverband Bitcom eine repräsentative Studie vorgestellt, wonach das Internet inzwischen fester Bestandteil des deutschen Alltags ist.

FAZ, 04.03.10, Titel: Internet ist Bestandteil des Alltags

Die FAZ greift das Thema heute auf, unter dem obigen Titel und fast die wichtigsten Fakten zusammen: 71 Prozent der Deutschen nutzt das Internet täglich durchschnittlich 140 Minuten, sechs von zehn Deutschen können sich ein Leben ohne Internet nicht mehr vorstellen, bei den Jüngeren bis 29 Jahre sind es sogar neun von zehn. Der digitale Graben zwischen Onlinern und Offlinern hat sich nach hinten verschoben und liegt nunmehr bei 65 Jahren. „Knapp zwei Drittel der Befragten gaben an, das Internet habe ihre Allgemeinbildung verbessert; jeder zweite Nutzer hat schon Vorteile im Beruf erreicht“, heißt es im FAZ-Artikel weiter.

Eine weitere Erkenntnis der Studie zum Messemotto „Connected Worlds“: Die Trennung von Berufs- und Privatleben weiche zunehmend auf: Mehr als zwei Drittel der Berufstätigen sind auch in ihrer Freizeit für Chefs, Kollegen oder Kunden erreichbar, andererseits nutzen 43 Prozent das Internet auch während der Arbeitszeit privat.  Vielleicht meinte Bitkom-Präsident August-Wilhelm Scheer ja das, als er formulierte: „Virtuelle und reale Welt sind in vielen Bereichen bereits verschmolzen.“ Oder aber er bezog sich dabei auf den anhaltenden Trend zur Partnersuche im Internet (18 Prozent aller Nutzer ab 14 Jahren oder 9 Millionen Deutsche haben über das Netz schon einen festen Partner kennen gelernt).

Bitkom 01.03.2010, Präsentation Connected Worlds, Grafik zu Körperchips

Was die FAZ dann aber doch nicht mehr thematisert, ist über die Internetnutzung hinaus, sozusagen als den „umgelegten Schalter im Kopf“, die Befürwortung des implantierten Chips im Körper: Jeder vierte Deutsche würde sich für bestimmte Vorteile sogar einen Computerchip einpflanzen lassen, etwa für eine schnellere Rettung im Notfall, eine größere Sicherheit (etwa im Sinne von Überwachbarkeit?) oder sogar zum bequemeren Einkaufen.

Einen Absatz widmet die FAZ aber noch dem Wunsch nach mehr Netzpolitik.  Knapp mehr als die Hälfte der Befragten ist für eine stärkere Überwachung des Datenverkehrs im Internet, sogar 60 Prozent für strengere staatliche Regeln im Netz. Nicht im offiziellen Pressetext, aber in den Präsentationsgrafiken und auch in der FAZ: Ganz klar unterschieden nach dem Alter der Befragten fällt die Bewertung von Zensur und von der Freiheit im Internet aus. Obwohl es sich bei beiden Begriffen um äußerst heikle (und schwammige) Themen handelt, bleibt festzuhalten, die Jüngeren sind strikt gegen Zensur und für die Freiheit, was auch immer darunter verstanden wird.

Bitkom.org, 01.03.2010, Präsentation Connected Worlds, Grafik zu Netzpolitik

Wochenend-Presseschau 08-10

Montag, 01. März 2010

Zwei mal die Welt vom Samstag und einmal die Welt am Sonntag sind mir hängen geblieben, was keine Bevorzugung gegenüber anderen Tageszeitungen darstellen soll, sondern lediglich ein Abbild dessen ist, was meine Interessenlage spiegelt. Eine Kolumne von Maxeiner und Miersch zur Abwanderung aus Deutschland, ein Sonntags-Beitrag von Roger Schawinski über die zunehmenden Animositäten zwischen Deutschland und der Schweiz sowie ein Kommentar von Thomas Heuzeroth zu Apples Entscheidung, keine Dividende auszuzahlen.

Welt, 27.02.10, Kolumnen-Titel "Deutsche Fluchten"

Besonders illustrativ in der Kolumne „Deutsche Fluchten“ ist der Vorschlag von Maxeiner und Miersch, eine „Kapitalfluchtuhr“ zu installieren, entsprechend der bekannten Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler. Alle vier Minuten verlasse ein Deutscher das Land, meist gut ausgebildet auf Kosten des Staates – über die jeweilige Mixtur der tatsächlichen Gründe darf spekuliert werden. Die Steuerflucht spiele bei all denen, die sich bisher nicht selbst angzeigt hätten, neuerdings ebenfalls eine zunehmende Rolle. Bei allem Interesse für die langfristigen Auswirkungen und für Möglichkeiten, den negativen Folgen dieses Trends entgegenzuwirken, beschäftigt mich aber vor allem, wie es den Deutschen im Ausland in der Mehrheit wohl geht. Fühlen sie sich bald nicht mehr als Deutsche? Plagt sie irgendwann das Heimweh? Oder schließen sie mit der deutschen Identität gänzlich und freudig ab?

WamS, 28.02.10, Ausschnitt aus Beitrag von Roger Schawinski

Aus dem Hauptauswanderungsland der Deutschen, der Schweiz, stammt der Beitrag von Roger Schawinski, dem ehemaligen Sat.1-Chef in der Welt am Sonntag: „Deutsche sind vom Mars, Schweizer von der Venus“. Demnach hätten es nicht nur Schweizer in Deutschland, sondern auch Deutsche in der Schweiz extrem schwer – ein Eindruck, den ich bestätigen kann. Weder wird in der Schweiz hochdeutsch gesprochen (sondern Schwyzerdüütsch, dialektal: Höchstoberdeutsch – gegenüber Österreichisch: Niederober-deutsch), noch gleicht sich die Mentalität all zu sehr.

Schawinski spricht konkret von den Erlebnissen, dass er als Manager in Deutschland eine viel stärker hierarchisch aufgebaute Unternehmensorganisation vorgefunden habe, in der einerseits Ansagen erwartet, und andererseits unangemeldete Besuche bei und Gespräche mit Mitarbeitern als peinlich empfunden würden. Gleichzeitig nähme viele Deutsche in der Schweiz weder die kulturellen Unterschiede noch überhaupt schweizerische kulturelle Errungenschaften wahr. In diesem Zusammenhang steht der obige Ausriss. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Schweizer nicht nur die häufig demonstrierte Überheblichkeit der Deutschen stört, sondern ganz besonders ihre Hektik.

Welt, 26.02.10, Kommentar-Titel "Nur Jobs kann sich das leisten"

Ganz ruhig dagegen scheint Steve Jobs seinen Weg der Marktwertsteigerung seines Unternehmens Apple zu verfolgen. Der Aufmacher im Wirtschaftsteil der Welt vom vergangenen Samstag wurde mit einem großen Kleinbuchstaben „i“ und drei ebenso großen Fragezeichen dahinter bebildert. „Apple hortet Bares für das nächste große Ding“  ist ein toller Titel für das Unternehmen, das gerade erst das flache Brett „iPad“ herausgebracht hat. Im Kommentar meint Thomas Heuzeroth, dass der resolute Unternehmenschef keine Dividende auszuzahlen brauche, weil die Aktie innerhalb eines Jahres von 80 auf 200 Dollar gestiegen sei. Wer braucht da noch Dividende?

Mit milliardenschwerer Kasse sei es leichter wehrhaft zu bleiben, besonders weil Google derzeit fast alles kaufe, was sich bewege. Dividende hingegen bräuchten unter anderem Unternehmen, denen „die Welt verändernden Einfälle ausbleiben, wie beispielsweise bei der Deutschen Telekom, die weiterhin hohe Gewinne ausschüttet.“ Apples Investoren gewinnen demgegenüber an der Aktie, die bekanntlich von der Fantasie lebt. Und man mag nun Fan der gestylten Produkte sein oder nicht, aber eine Perspektive wie 25 Apple-Stores innerhalb zweier Jahre in Fernost, die regt die Fantasie nun mal definitiv an. Außerdem will Jobs vielleicht eher selber ein Unternehmen kaufen, als befürchten zu müssen gekauft zu werden.

Marktmacht als Vorbild für Cyberdemokratie

Mittwoch, 24. Februar 2010

Hard facts und soft skills im Vergleich: das neuerliche Abwägen zwischen Firmenkulturen, diesmal von Apple und Google, in der Welt in einem informativen Beitrag von Katja Ridderbusch.  Apple gegründet von Steve Jobs 1976, Google von Larry Page und Sergey Brin 1988. 43 Milliarden Dollar Umsatz hatte Apple 2009, 23,6 Milliarden Dollar Umsatz Google. Geschäftsmodell Apple: eigene Softwware mit eigener Hardware verbinden, Geschäftsmodell Google: Suchalgorithmen verbunden mit Cloud Computing zu Konsumentenprofilen. Doch  ihre Firmenkulturen unterscheiden sich gehörig, wie zusammengefasst in der Überschrift.

Welt, 24.02.10, Titel: Gründerkult gegen kreativen Freizeitpark

Dabei waren beide Firmen lange Zeit vereint im Angesicht des gemeinsamen Feindes Microsoft. „Doch seit einiger Zeit haben sich Google und Apple nicht mehr lieb. Denn der Computerhersteller dringt in den mobilen Anzeigenmarkt vor und expandiert im Bereich Video“, schreibt Katja Ridderbusch, „Und spätestens seit Google im Februar sein eigenes Smartphone Nexus One auf den Markt brachte, ist das Band zwischen den Partner zerrissen.“ Die Kluft würde bereits an den nur zehn Kilometer voneinander entfernten Firmensitzen in Cupertino (Apples majestätitscher weißer Beton-Glasbau) und Mountain View (das verspielte Verschnitt aus Campus und Aniomationsclub, genannt Googleplex).

Die Firmenkulturen allerdings divergieren vordergründig noch stärker: Steve Jobs sei schwer zufrieden zu stellen und schnell mit Kündigungen bei der Hand, heißt es. Indem er hart gegen sich und andere sei, führe er seine Mitarbeiter zu Bestleistungen. Verschwiegenheit wird propagiert, gleichzeitig hängt der Aktienkurs am Gesundheitszustand des gebeutelten Patriarchen. Was bei Google auf den ersten Blick wie der reinste Spaßtempel wirkt, ist allerdings ebenfalls nicht nur lustig. Die Mitarbeiter sollen sich bei Tischtennis, Tischfußball, Carrerabahnen und Legosteinen wohl fühlen, damit sie länger arbeiten können. 20 Prozent ihrer Zeit sollen sie angeblich in die Entwicklung eigener Ideen stecken.

Das Firmenmotto „Don’t be evil“ klingt jedoch bereits wie die Eintrittskarte in den Vorhof zur Hölle. Transparenz ist Fehlanzeige: Weder die Klicks der Suchmaschine pro Tag noch Angaben über Standorte, Rechenzentren oder Neueinführungen würden veröffentlicht. So entpuppen sich beide Unternehmen, die mittlerweile Kerngeschäftsfelder des jeweils anderen angreifen, als von ähnlicher Kultur, dem überdimensionalen Erfolg verpflichtet. Während das Wort „googeln“ bereits den Einzug in den Duden gefeiert hat, zählt Apple mit einem geschätzten Wert vom 63 Milliarden Dollar bereits zur sechstteuersten Marke der Welt. Wenn diese Markenmächte die Internetkultur bestimmen, kann es nicht weit her sein mit der davon dominierten Cyberdemokratie.

Teilhabe an der Teilenskultur

Dienstag, 23. Februar 2010

Im Feuilleton der Welt steht heute unter der Rubrik „Aus internationalen Zeitschriften“ ein sehr interesasanter Kurzbeitrag aus der „Gazeta Wyborcza“ (laut Wikipedia die größte überregionale polnische Tageszeitung) zum Thema der Kultur des Teilens. Zitiert wird Mateusz Halawa, der zusammen mit einem Forscherteam die Nutzung moderner Komunikationstechnologie durch junge Leute untersucht hat.

Welt, 23.02.10, Rubrik: Aus internationalen Zeitschriften

Über die Leichtigkeit des Hochladens von Daten (Fotos und Videos) führe die Kultur des Teilens zum Problem des Übermaßes oder Überflusses. Deshalb werde in den Sozialen Netzwerken (oder im Web 2.0 insgesamt) die Fähigkeit zur Recherche zu einem unverzichtbaren Gut. Dies ist nebenbei ein Aspekt, dem der Betrachter durchaus Positives abzugewinnen vermag,  da die digitalen Marktplätze der Eitelkeiten dies insofern mit wissenschaftlicher Arbeit gemeinsam hätten.

Zu unterscheiden ist hierbei zwischen den Suchalgorithmen, die den dabei gentuzten Suchmaschinen zu Grunde liegen (und dem Suchenden die eigentliche Suche abnehmen), und dem eher praktischen Know-How, mit den richtigen Suchwörtern zum gewünschten Ergebnis zu gelangen. Mateusz Halawa wird angeführt: „Das Wissen, wo die Inhalte sind, wie sie zu orten und zu nutzen sind, wie sie kontexualisiert und weiter gereicht werden, ist heutzutage zum grundlegenden Kriterium für die Teilhabe an der Netz-Kultur geworden.“ Dabei klingt die „Teilenskultur“ im Netz ein wenig nach einer „Leidenskultur“ (rein der Konstruktion udn des Umlaut wegen), wobei das Leid höchstens in einer Reizüberflutung oder aber in fehlender Aufmerksamkeit außerhalb der virtuellen Identität begründet sein könnte.

Die Netzkultur bezieht sich hierbei auf das Teilen des User Generated Contents, auf somit zumeist urheberrechtlich unproblematische Dateien, die selbst angefertigt und hochgeladen wurden. Dies zur Unterscheidung gegenüber den Rechtfertigungen von Helene Hegemann, die ihre nicht erwähnte Vereinnahmung eines fremden Buches mit der „Kultur des Sharing“ erklärt hatte. Wenn sich literarische Zitate auf bekannte Bücher beziehen, ist eine Kennzeichnung nicht zwingend notwendig, da sie sich als Intertexualität erklärt, beziehen sie sich jedoch auf wenig bekannte Bücher, so nennt man dies Plagiarismus.

Welt ,23.02.10 , Titel: Für wWestdeutsche-Medien-Ostdeutsche-unbekannte

Ein weiterer Artikel zu „internationalen Zeitschriften“ (das ist eine Frage der Innen- oder Außenperspektive) bezieht sich auf eine Untersuchung, die die Universitäten in Jena, Leipzig und Wien gemeinsam durchgeführt haben. Demnach werden die Ostdeutschen in den westdeutschen Medien immer noch nicht „auf Augenhöhe wahrgenommen“, wie der Jenenser Historiker Rainer Gries zitiert wird. Westdeutsche stärkten anhand der Vorurteile gegenüber Ostdeutschen ihre eigene Identität. Zudem konzentriere sich die Berichterstattung auf wenige Themen, wie „politische Aktivitäten des Westens“ im Osten oder der Osten „als Empfänger von Zuwendungen“.

„Die anderen“ wie im vom Artikel genannten Film „Das Leben der anderen“ erscheint mir als nach wie vor gängige Sicht zulässig, nicht aber der in der Überschrift gewählte Passus von den „unbekannten Wesen“. Der erinnert an die Aufklärungsfilme von Oswalt Kolle von 1969, was gleichzeitig bedeuten könnte, eine langsam von statten gehende Annäherung würde sich wenigstens über weitere 20 Jahre hinziehen. Oder sind „Dein Mann“ und „Deine Frau“ für uns auch heute immer noch unbekannte Wesen? Dann könnten es auch die Ossis für die Wessis und umgekehrt für lange Zeit bleiben.

Der gläserne Netzwerker

Montag, 22. Februar 2010

Die Financial Times Deutschland hat aus Anlass ihres zehnjährigen Bestehens Anfang der Woche vier Ausgaben in einer verpackt. Zur Gestaltung traten vier Teams aus Politikern, aus Topp-Managern, aus Kreativen und aus Zehntklässlern an. Der von den Schülern gestaltete Teil hat mir am besten gefallen, vor allem der Beitrag in der Agenda-Serie: „Nackt im Netz“ und dazu der Kommentar der Hamburger Zehntklässlerin Theresa Lehmann: „Mausklick pflegt Freundschaft“.

FTD. 22.02.10, Titel: Nackt im Netz

Die Magazingeschichte problematisiert die technischen Standards des neuen Sozialen Netzwerkes „Buzz“ von Google, das automatisch alle früheren E-Mail-Kontakte von Gmail-Nutzern als Freunde hinzufügt sowie ungefragt den geografischen Aufenthaltsort und den Arbeitgeber bekannt gibt. Dies ist bei einer Frau, die sich zuvor von ihrem gewalttätigen Ehemann getrennt hat, besonders unverantwortlich. „Fälle wie dieser zeigen, dass es im Internet keine Garantie für den Schutz der Privatsphäre gibt“, schreiben Andrea Rungg aus Hamburg und Helene Laube aus San Francisco. Weiter heißt es: „Wer sich einmal bei Facebook, Myspace oder MSN angemeldet hat, kann seine Spuren kaum noch verwischen.“

Für den Großteil der weltweit rund 400 Millionen Facebook-Nutzer, die pro Monat mehr als drei Milliarden Fotos hochladen, offenbar kein Problem. Gründer Marc Zuckerberg wird zitiert, wonach „die Ära der Privatsphäre beendet“ sei. Dieser unverantwortliche Umgang Sozialer Netzwerke mit Nutzerdaten könnte aber auch methodisch missbraucht werden, etwa durch von totalitären Regimen beauftragten Hackern oder durch erwachsene Gmail-Nutzer, die ungefragt die für nicht sie bestimmten Chats von Kindern und Jugendlichen mitlesen können. Auch, wenn mittlerweile bereits eine neue, entschärfte „Buzz“-Version existiert, hat doch eine Jurastudentin bereits im Namen von 31,4 Millionen Gmail-Nutzern Sammelklage eingereicht.

Allerdings steht auch Facebook in der Kritik, weil seit vergangenen Dezember Nutzer die Sichtbarkeit ihrer Profile nur noch zwischen „für Freunde“ oder „für alle“ auswählen können. Die kanadische Datenschutzkomissarin Jennifer Stoddard konnte allerdings bei Facebook bereits Änderungen zum Schutz der Privatsphäre erwirken und pant dies nun auch für Buzz. Helen Nussbaum, Professorin für Medien, Kultur und Kommunikation an der New York University, glaubt daran, dass sich Netzwerke mit verbesserten Datenschutzstandards auch bei den Nutzern besser durchsetzen werden. Bis dahin bleiben Teilnehmer, die keine Lust mehr auf eine virtuelle Existenz in einem Onlinenetzwerk haben, auf so genannte „Selbstmordmaschinen“ angewiesen, die einen Großteil der dort hinterlassenen Spuren löschen können.

FTD, 22.02.10, Grafik zur Chatnutzung

In ihrem Kommentar „Mausklick schafft Freundschaft“ appelliert die Gymnasiastin Theresa Lehmann an die Eigenverantwortung der Nutzer. Als praktischen Tipp empfiehlt sie, eine Seite nur den eigenen Freunden zu zeigen. Ansonsten überwögen ihrer Ansicht nach die Vorteile, weltweit Kontakte pflegen und sich im direkten (Chat-)Kontakt mit Freunden austauschen zu können. Indem reale Treffen online angebahnt und durch das Austauschen von Fotos anschließend auch online geteilt würden, ergebe sich eine durchaus sinnvolle Nutzung und die Netzwerke im Internet ließen sich „wirklich als soziale betrachten“.

Wochenend-Presseschau 07-10

Montag, 22. Februar 2010

Onlinenetzwerke, Hugo von Hofmannsthal und der neue Mann. Die Welt am Sonntag bringt eine Betrachtung der Auswirkung virtueller Communities auf das reale Leben. Der Titel lautet „Was nützt die Liebe in Gedanken“ – in Anspielung auf den gleichnamigen deutschen Film mit Daniel Brühl und Anna-Maria Mühe aus dem Jahr 2004 (hieß nicht auch ein altes deutsches Liebeslied so?). In derselben Zeitung eine Besprechung des Düsseldorfer Männerkongresses. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hingegen eine überraschend aktuelle Behandlung von Hugo von Hofmannsthals Ansichten zum Journalismus aus dem Jahr 1907.

WamS, 21.02.10, Titel: Was nützt die Liebe in Gedanken?

Lorraine Haist berichtet in der WamS über den Selbstmord einer jungen Frau, die fast 1.000 Freunde auf Facebook hatte. Davon ausgehend charkaterisiert die Autorin die Freundschaften in Onlinenetzwerken als wenig eng, beziehungsweise kaum diesen Begriff wert. Gleichzeitig erwies sich für die spätere Selbstmörderin, die zu Lebzeiten unter schweren Depressionen litt, ihr ausgeprägter Hang sich lieber mit virtuellen als mit reellen Freunden zu umgeben, als äußerst fatal. Viele ihrer Facebook-Bekanntschaften hätten ihre Statusmeldungen mit der Zeit auf „verbergen“ gestellt. „Schließlich gehören Probleme, Imperfektionen und Langeweile zu den Ausschlußkriterien für ein erfolgreiches agieren in sozialen Netzwerken.“

Soziale Netzwerke böten einerseits ein hohes Suchtpotenzial als Rückzugsorte und Ersatzbefriedigung für depressive Menschen, andererseits vergrößerten sie mit zunehmender Nutzung die Gefahr sozialer Verluste in der realen Welt. Laut Bert te Wildt, Mediziner der Abteilung Klinische Psychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover lasse sich dort „auch das Scheitern besonders großartig inszenieren“

WamS, 21.02.10, Titel: Mann, mach mal!

Scheitern ist ein gutes Stichwort für die in der Sozialwissenschaft vorherrschende Meinung über den Status des Mannes in der heutigen Gesellschaft. Ausgehend von häufig fehlenden Vaterfiguren, fehlenden männlichen Erziehern meist bis zur weiterführenden Schule und fehlenden verlässlichen Richtlinien angemessenen männlichen Auftretens befinden sich viele Männer in einer Identitätskrise. Während die Abwesenheit des Vaters in der Folge zweier Weltkriege zwar beklagenswert, aber unabänderlich schien, ist heute oft eine geistige oder emotionale Abwesenheit der Väter festzustellen, aufgrund der Unsicherheit in einer männlichen Rolle, wie Andreas Fasel treffend beschreibt.

Dauernde Zurechtweisung von Jungs – etwa, wenn sie sich austoben wollten – führten entweder „in die feminine Anpassung“ oder in die machohafte „Überkompensation“. Matthias Franz, Professor am Institut für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Uniklinik Düsseldorf und Mitinitiator des Männerkongresses, spricht in diesem Zusammenhang von einem „jungendiskriminierenden Kurzschluss“ in vielen Kindertagesstätten. Der (kleine und erst recht der große) Mann gilt heute als das schwache Geschlecht, als das „Problemgeschlecht“. Ungerechtfertigter Kritik von Frauen an den lauteren Zielen des Kongresses hält er entgegen, dass es auch in ihrem Interesse sein müsse, in Zukunft überhaupt noch beziehungsfähige Männer zu finden.

FAS, 21.02.10, Titel: Hugo von Hoffmansthal - Die Zukunft des Journalismus

Journalisten befinden sich laut Hugo von Hofmannsthal in einem Durchgangsstadium – ob sie also beziehungsfähig sind, bleibt zu hinterfragen. Jedenfalls beschäftigt sich Volker Weidermann in der FAS mit bislnag unveröffentlichten Notizen aus dem 33. Band der Werke Hugo von Hofmannsthals: „Reden und Aufsätze 2. 1902-1909“. In dieser Zeit habe sich von Hoffmannsthal selbst nach der Trennung von Stefan George in einer Neuorientierung befunden. Laut Weidermann erfährt der Leser in der meisterhaft kommentierten Edition das Glück und dei Dankbarkeit, die von Hofmannsthal beim Schreiben empfunden haben müsse.

Dabei modifizierten Journalisten den Begriff Glück und bildeten dabei das „geistige Wetter“ (vermutlich würden wir heute „Klima“ sagen). Innerhalb seiner eigenen „Utopie des Schreibens“ (Volker Weidermann) sucht er nach Gleichgesinnten, um sich in dauernder geistiger Bewegung, fernab von Routine, zu neuen, der Zeit angemessenen Sichtweisen zu gelangen. Obwohl von Haus aus Monarchist beschreibt von Hofmannsthal einen „anarchischen, weltverändernden Journalismus“, der auch noch von der Allgemeinheit zu bezahlen sei. Vieles klingt nachvollziehbar aus den Fragmenten, etwa „Schreiben = sein. Was einer berührt, macht nichts aus: es ist der innere Schwung, die Haltung, wie ers berührt.“ Doch sich diese Haltung bezahlen zu lassen, erscheint aus heutiger Sicht reichlich unrealistisch. Heute würde ein derart begeisterter Autor Bücher darüber veröffentlichen und vermutlich teure Seminare anbieten.

Einfache Botschaft, schwer vermittelbar

Freitag, 19. Februar 2010

Der Online-Vermarkterkreis (OVK) hat 2009 einen Zuwachs der Onlinewerbung gegenüber Vorjahr um 12 Prozent konstatiert. Das hat der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) mit Pressemitteilung und 19-seitigem OVK-Onlinereport mitgeteilt. Zwar hat die Meldung Resonanz auf vielen einschlägigen Newsportalen gefunden (kress.de,  absatzwirtschaft.de, internetworld.de), allerdings habe ich in den heutigen Zeitungen nur einen Artikel in der Financial Times Deutschland entdeckt: „Onlinewerbung verdrängt Anzeigen in Zeitschriften“. Woran mag das liegen?

Deckblatt OVK Online-Report 2010

Im Gegensatz dazu haben heute sogar der österreichische Standard und die Schweizerische Neue Zürcher Zeitung kurze Artikel gebracht. Liegt die teilweise Ignoranz deutscher Printverlage also vielleicht an der Meldung selbst, dass die Botschaft nicht gerne gehört werde, wonach Publikumszeitschriften bereits deutlich überholt wurden und daher auch die Tageszeitungen diese unschöne Neuigkeit ihren Lesern lieber verschweigen? Immerhin lässt der Ausblick ebenfalls keine Trendwende erwarten, sondern vielmehr weitere Zuwächse: „Video-Ads weiter auf dem Vormarsch“ (nach bereits 160 Prozent Wachstum 2009), heißt es da, „Noch viel Wachstumspotenzial“ und „Internet wird kurzfristig zweitstärkstes Medium“ (Wachstumsprognose von 14 Prozent für 2010). Der OVK-Vorsitzende Paul Mudter vermutet, dass sich „das Internet in den nächsten zwei bis drei Jahren hinter TV als zweitstärkstes Werbemedium etablieren“ wird.

OVK-Grafik Werbemarkt-Verteilung 2009

Oder liegt es daran, dass die Daten wenig übersichtlich aufbereitet sind? So zeigt die obenstehende Grafik (OVK Online-Report, S. 5) zwar die Zusammensetzung des jeweiligen Gesamtwerbemarktes nach Medien, aber hiervon sind weder das tatsächliche Wachstum (in absoluten Zahlen) noch die prozentuale Zunahme der einzelnen Bereiche ablesbar. Zudem stelle ich mir einen Werbekuchen (egal ob brutto oder netto) traditionell doch eher rund vor. Aber gut, es gibt ja auch Kastenkuchen. Jedenfalls hat die FTD aus dieser Grafik eine vereinfachte, meiner Ansicht nach weit anschaulichere erstellt, wonach der Zuwachs der Internetwerbung von 2005 bis 2009 12,1 Prozent beträgt. Ob das so nun stimmt, kann ich auf die Schnelle aus der OVK-Darstellung nicht nachvollziehen. Allerdings ist eine solche Grafik für meinen Geschmack sehr viel leserfreundlicher, da sie gleichzeitig auf eine einzige Aussage reduziert wird. Nur so als Tipp für den BVDW.

FTD, 19.02.10, Grafik zur Veränderung der Werbemarktanteile