Archiv für Dezember 2009

Schweizer Minarettverbot aus deutscher Sicht

Mittwoch, 09. Dezember 2009

Verschiedene Kommentatoren bescheinigen dem deutschen Medienecho „ausgeblendete Realität“ und ein „Nachwirken der nationalsozialistischen Geschichte“. Bereits am 3. Dezember lieferte die Neue Zürcher Zeitung zuverlässig hochwertige Beiträge zum Thema: „Die Deutschen und das Minarett“ des Berliner Kommunikationsberaters und Moderators Hans-Hermann Tiedje sowie „Vom Glauben zum Wissen“ von Hamed Abdel-Samad, Politik-wissenschaftler und Historiker an der Uni München. Der Gastautor Tiedje konstatiert, „Medienverteter und Durchschnittsbürger leben beim Thema Islam in getrennten Welten.“  

NZZ, 03.12.09, Titel: Die Deutschen und das Minarett

Seine Diagnose: Multikulti scheitert in Deutschland. Die Skepsis gegenüber Muslimen und Moscheen sei vor allem genährt durch das Treffen der Massenmörder vom 11. September 2001 in Gebetsräumen in Hamburg. „Teile der Publizistik“ schließt er, seien „zu ungetrübten Denkprozessen nicht imstande aufgrund der immer noch schwer lastenden Schatten von Hitlers Untaten“. In die gleiche Richtung tendiert auch Heribert Seifert in der NZZ vom 8. Dezember: „Aufklärer, Schönredner und Prediger“: „Offenkundig wirkt hier die nationalsozialistische Geschichte nach und führt zu einer spezifischen Verzerrung bei der Wahrnehmung des Integrationsproblems.“ Weiter stellt er in Hinblick auf deutsche Leitartikler fest: „Der penetrant vormundschaftliche Auftritt, das unsichere Schwanken zwischen offener Information und schönfärbender Camouflage haben beim Publikum zu lebhaftem Widerspruch geführt.“ Nachzulesen in den Leserkommentaren auf den Websites der Zeitungen und in Blogs.

NZZ, 03.12.09, Titel: Vom Glauben zum Wissen

Der gebürtige Ägypter Abdel-Samad liefert handfeste Argumente für die Ursachen des Integrationsproblems: Alles Neue werde im orthodoxen Islam negativ gesehen. Ein Anschluss an die Moderne sei in der vorherrschenden islamischen Welt daher nicht gewollt, zusätzlich genährt durch ein spätestens seit Napoleons Ankern vor Alexandrien historisch verwurzeltes „Gefühl der Ohnmacht und Demütigung, das die islamische Welt gegenüber Europa empfindet“. Alle „Erneuerungswellen brachen am Fels der Orthodoxie“, formuliert er. Als noch entscheidender bewertet er die dem Islam eigene „archaische Kultur der Ehre und des Widerstands“, die nicht verkraftet habe, dass sie die führende Rolle in der Welt längst verloren hat.

Sehr interessant in diesem Zusammenhang der kulturhistorische Ausflug von Christian Seebaum am 8. Dezember in Scala auf WDR5, wonach es einerseits kaum moderne Moscheen gibt, andererseits Kuppelbauten und Minarette erst nach der Eroberung Konstantinopels entstanden seien, als die Sophienkirche Hagia Sophia in eine Moschee umverwandelt wurde, während christliche Gotteshäuser ihrerseits sich aus römischen Markthallen entwickelt haben. Der Autor fragt: „Aber eine wirklich moderne Lösung für einen Sakralbau – geht das überhaupt? Steht die Moderne doch für Aufklärung, Demokratie, Rationalität und kritisches Hinterfragen, währen Religion, gleich welcher Richtung, vor allem auf der Sehnsucht nach letzten Wahrheiten begründet ist.“

Die Welt, 03.12.09, Titel: "Der Islam verletzt die Rechte der Frauen"

In der Welt vom 3. Dezember erläutert die Schweizer Feministin Julia Onken im Interview, warum sie für das Minarettverbot in der Schweiz gestimmt hat. Es sei unredlich, dagegen zu stimmen, nur weil die Initiative von Rechtspopulisten stamme: „Das Minarett ist ein politisches Symbol für eine Rechtsordnung, in der Frauenrechte nicht vorkommen, und somit ein Zeichen für staatliche Akzeptanz der Unterdrückung der Frau.“ Dennoch zeigt sie sich „erschüttert“, dass die Vorlage angenommen wurde: „Aber trotzdem bedeutet die Abstimmung nur eins: Halt! Die Integration erreicht die Basis nicht. Viele Frauen dürfen nur verschleiert aus dem Haus, können kaum Deutsch, haben keinen Zugang zu Wissen. Das ist eine eklatante Verletzung der Frauenrechte, die kann man nicht über Religionsfreiheit stellen, genauso wenig wie Zwangsheirat, Ehrenmord, Genitalverstümmelung.“ Eine Argumentation, der ich mich schwerlich entziehen kann.

FAZ, _05.12.09_Irrationalität_Verfassungsrang

Der Schweizer Schriftsteller Lukas Bärfuss hat recht, wenn er in der FAZ vom 05. Dezember schreibt: „Das Minarettverbot löst nicht das kleinste Problem, hingegen schafft es auf einer institutionellen Ebene ein ziemlich großes, und kein Staatsrechtler kann sagen, wie es gelöst wird.“ Allerdings erscheint auch hierfür der Erklärungsversuch von Julia Onken plausibel: „Es ist bedauerlich wenn Stellvertreter-Diskussionen geführt werden müssen, aber das geschieht immer dann, wenn die wahren Gründe erstickt werden.“

Wunsch-Angst-Spirale des Kontrollverlusts

Dienstag, 08. Dezember 2009

NZZ, 05.12.2009, Titel Schirrmacher-Besprechung

Besprechung von Frank Schirrmachers neuem Buch „Payback“ in der Neuen Zürcher Zeitung. „Erschöpftes Ich in Datenfluten„, so lyrisch der Titel des Feuilleton-Artikels, so gehaltvoll seine Ausführung. Dem Autoren Uwe Justus Wenzel gelingt es jeweils in wenigen Sätzen die Position des Mitherausgebers der FAZ klarzumachen („Kulturkritik (…) hält (…) Technikbegeisterung die Waage“, wenngleich der Pessimismus zu überwiegen scheint),  Schirrmachers Methode zu erläutern („unter Rückgriff auf neuere Untersuchungen aus Psychologie und Nerurobiologie“ – „Multitasking als Symptom“) als auch den Ursachenhorizont  des beschriebenen Phänomens zu beleuchten: „Er macht beiläufig, aber mehr als einmal ein Wunsch-Angst-Gespann verantwortlich für das, was geschieht: den Wunsch nach Kontrolle über unser Leben und die Angst vor Kontrollverlust.“

Demnach spielt sich – in den zu Grunde gelegten Fällen der Technik-Obessivität – eine Spirale des Kontrollverlusts ab: je stärker der Mensch in die Technik investiert, um sein leben zu kontrollieren, umso mehr gibt er die Kontrolle ab. Die Phänomene sind uns gut bekannt: Schon wenn die TV-Fernbedienung nicht mehr geht, wenn der Drucker ausfällt, wenn beim Surfen die Internetverbindung abbricht oder wenn das Navi eine Einbahnstraße nicht als solche gespeichert hat. Natürlich bestehen immer Alternativen, mit diesen Situationen umzugehen. Nur, dieser Zustand der machtlosen Abhängigkeit von der Technik nervt.

Der Ausgang aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit, sprich wie ich mich in dieser Situation verhalte, liegt meines Erachtens an jedem selbst. Immanuel Kant schrieb 1784 zur „Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?„: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen.“ Der Verstand ist der Schlüssel dazu, jedwede Information aus all den verfügbaren Kanälen zu eigenem Wissen zu verarbeiten.

Uwe Justus Wenzel versucht den von Schirrmacher dazu empfohlenen Perspektivwechsel mit einer Utopie zu verdeutlichen, die an Hermann Hesses „Glasperlenspiel“ angelehnt ist, „in der der Umgang mit Informationen nicht mehr vom nie zu stillenden Hunger geprägt wird, sondern vom Spiel“. Der Rezensent schreibt, dass das Buch „seiner – spielerischen – Machart nach bereits einen Vorgeschmack von ihrer Verwirklichung“ liefert (der der Utopie). Das Spielerische gefällt mir gut, auch wenn wir dabei Spuren im Netz hinterlassen. Heißt das Buch deswegen „Payback“, weil wir „die Rechnung erhalten“ für alles , was wir tun? Andere Spuren im Netz hierzu beim WDR- Jugendsender Eins Live: „Selber Denken!„, „Kein Kommentar“ bei WDR 5 von Uli Höhmann: „Planlos plan und so flat wie die rate“ sowie zahlreiche Rezensionsnotizen bei perlentaucher.de.

Das Cover von Frank Schirrmacher: Payback

Karl Blessing Verlag, München 2009
ISBN-10 389667336X
ISBN-13 9783896673367
Gebunden, 200 Seiten, 17,95 EUR

The Spirit of Christmas 2009, Part 14

Dienstag, 08. Dezember 2009

Nachdem wir das Nikolaus-Fest glücklich hinter uns gebracht haben, gilt die Konzentration nun ganz klar: Weihnachten. Allerdings machen es uns die Amts- und Würdenträger nicht gerade leicht mit dem Glauben. So hat laut Süddeutscher Zeitung von gestern der Münchner Erzbischof Reinhard Marx den Weihnachtsmann als kapitalistisch herabgewürdigt, wohingegen er den historischen resp. heiligen Nikolaus als segensbringend hervorhob. Wie Hans Holzhaider in der Rubrik „Mitten in Bayern“ bereits bemerkt, ganz zu unrecht, da der Weihnachtsmann vom angelsächsischen „Santa Clause“ abstammt, dem heiligen Nikolaus eben.

WamS, 06.12.09, Titel: Weihnachtsmann

Ganz zu schweigen von dem ebendort genannten Diplomtheologen Manfred Schnabel, der von den Eltern fordert, den Glauben nicht auf einer Lüge aufzubauen und ihren Kindern zu beichten, dass nicht das Christkind die Geschenke bringt. Einen Wunschzettel sollen sie dennoch schreiben und ihn auf die Fensterbank legen, damit ihn ein Engel mitnehmen kann. Da ist das Sinnbild, dass wir uns in Gedenken der Geburt von Christus als des Erlösers beschenken, doch weitaus realer. Zudem gibt es für die Wunschzettel acht Weihnachtspostämter bundesweit!

Lassen wir also all diese Glaubensfragen beiseite und postulieren wie die Welt am Sonntag: Da ist er, der Weihnachtsmann (s. eingescannter Titel)! Dr Schweizer Johann Wanner steht dem Basler Unternehmen „Weihnachsthaus“ vor, stellt Christbaumschmuck her und handelt damit. Warum er das Schmücken eines Weihnachtsbaumes für verantwortungsvoller hält als das Ankleiden einer Frau, hängt für ihn damit zusammen, dass es sich um eine „Opfergabe an die Natur“ handelt. Was man von einer Frau, außer in Zusammenhängen wie etwa bei King Kong nicht gerade sagen kann. Schöner Weihnachtsmann, der Geschäfte macht und sich als Couturier bezeichnen lässt.

Aber mit den australischen Weihnachtsmännern beispielsweise ist momentan gar nichts zu holen (bzw. zu bekommen). Sie sind nämlich aus Wut über neue Steuergesetze in den Streik getreten. Wer als Rentner im Weihnachtsmann-Kostüm sein Auskommen aufbessern möchte, dem drohen Kürzungen der Sozialleistungen! Aber auch dieses unerfreuliche Zwischenspiel auf dem Weg zum besinnlichen Fest kann uns den unerschütterlichen Glauben nicht nehmen! Die Engel, der Weihnachtsmann, das Christkind kommen und bringen die Geschenke. Hier der Lied-Klassiker in der Version der Supremes.

Qualitätsjournalismus ohne Geschäftsmodell?

Montag, 07. Dezember 2009

Verleger Konstantin Neven DuMont im Kölner Stadt-Anzeiger und in der Welt am Sonntag. – Sören Kittel hat im Springerblatt den Verlegersohn befragt, der seit Januar des Jahres Vorstand der Mediengruppe DuMont ist und Herausgeber von Kölner Stadt-Anzeiger, Express und Mitteldeutsche Zeitung, seit diesem November auch Herausgeber der Frankfurter Rundschau. Der Titel „Kein Blogger schickt Reporter nach Afghanistan“ spricht mich als Blogger natürlich an. Die Aussage aus dem letzten Drittel des Gesprächs dient dem Befragten jedoch eher als Vergegenwärtigung seiner eigenen Position als Geschäftsmann.

Weitaus interssanter ist seine Stellungnahme zur Netzeitung, immerhin hatte die WamS dem Verlagshaus noch vor einem Monat vorgeworfen, die Netzeitung ruiniert zu haben (texthilfe.de hatte berichtet). „Das Geschäftsmodell hat einfach überhaupt nicht funktioniert“ wird Konstantin Neven DuMont zitiert, die Zweitverwertung wie beim Online-Auftritt einer Zeitung habe gefehlt. Die Online-Personalkosten zu refinanzieren habe die vergangenen Jahre über nicht geklappt, räumt er ein, zeigt sich aber zuvor überzeugt, das Problem fehlender Erlöse liege nicht am Internet: „Es ist ein Problem des fehlenden Geschäftsmodells.“

Hinlänglich bekannt ist, dass eigentlich erst das Anzeigengeschäft den Qualitätsjournalimus ermöglicht (vgl. texthilfe.de) und somit auch das qualitativ hochwertige Textumfeld im Internet qualitativ hochwertige Werbung ermöglicht. Bezahlmodelle im Internet funktionieren bisheriger Erfahrung nach nur in Special Interest-Bereichen, vielleicht auch im populärwissenschaftlichen. Über die Zahlungsbereitschaft der potenziellen Kunden scheint der Verleger jedoch keine genaue Vorstellung zu haben, aufgrund der vielen unterschiedlichen Studien: „Mal sind es zehn Prozent, mal 60 Prozent.“ Als Strategie seines Medienhauses gibt er „Qualität“ an und als Vision seiner verlegerischen Tätigkeit „gesellschaftspolitische Meinungsbildung“, „dazu brauchen wir Qualitätjournalismus“.

Köner Stadt-Anzeiger, 05.12.09, Titel: Wege aus der Krise

Auf das Gerücht aus der Süddeutschen Zeitung, dass der Verlag plane, Wirtschaft- und Politikressort seiner renommierten Tageszeitungen zusammenzulegen, wird er allerdings nicht angesprochen. Jedoch schreibt er tags zuvor selber in seinem Blatt Kölner Stadt-Anzeiger über „Neue Wege aus der Krise“ und plädiert dabei einmal mehr für investigativen Journalismus. Dieser setze „die Kräfte frei, die eine Gesellschaft zur Selbstreinigung benötigt.“

Dass der Umbruch der Medienlandschaft diesen wertvollen Journalismus gefährdet, stimmt, wenn das Geschäftsmodell fehlt. Dass aber der investigative Journalismus „immer mehr zwischen die Fronten eines wachsenden Kostendrucks bei bedrohten klassischen Erlösmodellen auf der einen und der Jagd nach Sensationen und sich stets erneuernden Schlagzeilen auf der anderen Seite“ gerate, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Zugegeben wächst der Kostendruck, zugegeben wächst auch die Zahl der Verbreitungswege. Aber befindet sich guter Journalismus nicht schon immer in dieser Gefahr?

Am Ende seines Beitrags in eigener Sache rückt Konstantin neven DuMont mit seinem Anliegen heraus: Sein Verlag entwickele „gerade Konzepte, den Anteil investigativer Reportagen in seinen Blättern zu erhöhen“. Zudem werde eine Vermarktungsplattform für Bezahlinhalte auf den Weg gebracht. „Damit soll die Möglichkeit geschaffen werden, hochwertige journalistische Inhalte nicht länger im Internet zu verschenken.“ Ohne die Zahlbereitschaft der Surfer einschätzen zu können, ein gewagtes Unterfangen. Da fürchte ich ja eher um den Einsatz. Wie hat es der Kollege Jürgen Oehler in derselben Zeitung vor sechs Wochen anlässlich des Münchner Print-Gipfels so schön auf den Punkt gebracht:

„Aber es gibt auch die Erkenntnis, dass der Bereich der zukünftigen Bezahlinhalte realistischer Weise klein ist. Denn keiner kann einfach einen Hebel umlegen und erklären, dass der Online-Nutzer ab sofort für all das bezahlen muss, was er bisher umsonst bekommen hat. Auf die Frage, ob er denn für Online-Inhalte Geld ausgeben würde, antwortete der Kölner Psychologe und Gastredner Jens Lönneker vom Rheingold-Institut. „Eigentlich nicht, aber vielleicht.“ Und das ist eben das Problem.“

The Spirit of Christmas 2009, Part 13

Sonntag, 06. Dezember 2009

Doppelter Grund zum Feiern! Heute ist 2. Advent und Nikolaus. Im Gartencenter erklärte die achtjährige Schwester ihrem vierjährigen Bruder: „Dieser Nikolaus ist nicht der echte!“ Der echte ist vielmehr derjenige, der über Nacht den Nikolausstrumpf gefüllt hat, also der, den es nicht gibt. Hingegen ist der reale Nikolaus aus Fleisch und Blut mit Bischofsstab und -mütze keinesfalls der richtige. Das widerspricht aller kindlichen Erfahrung und Phantasie!

Kölnische Rundschau Magazin, 05.12.09: Kampf der Giganten

Die Kölnische Rundschau hat in ihrem Wochenend-Magazin die verschiedenen Figuren einmal mehr gegeneinander abgegrenzt. Während in den früheren Generationen doch zuverlässig in den meisten deutschen Gegenden das Christkind die Geschenke brachte, hat es heute der Weihanchtsmann strak verdrängt, vermutlich stark unter dem Eindruck des amerikansichen Santa Clause. Dieser hingegen gemahnt rein sprachlich an die Figur mit dem historischen Hintergrund, den Bischof Nikolaus aus der heute in der Türkei liegenden Stadt Myra.

Gleichzeitig hat dagegen Knecht Ruprecht als „Angstmacher“ weitgehend ausgedient. Die Drohung mit den schlechten Taten, die einer Geschenkeorgie im Wege stehen könnte, zieht kaum mehr. Im Magazin-Beitrag der Kölnischen Rundschau stellt der betreffende Autor fest, dass es Ruprecht wohl weniger um die Strafe gegangen sei (er schlug nämlich nie zu, auch nicht bei den wirklich bösen Kindern), sondern vielmehr um die Angst vor der Bestrafung, sprich das schlechte Gewissen. Je nach Region hat der „Bad cop“ (in Begleitung des „Good Cops“ Nikolaus) auch andere Namen.

Jedenfalls lässt sich anlässlich des heutigen zweifachen Festtages (jedenfalls für Kinder) nicht verleugnen: „Es fängt an, nach Weihnachten auszusehen“, wie Perry Como in einem Weihnachtsspeccial im US-Fernsehen schon 1958 sang:

The Spirit of Christmas 2009, Part 12

Freitag, 04. Dezember 2009

Computerspiele sind von den Wunschzetteln heutiger Kinder nicht mehr wegzudenken; die Kölnische Rundschau hat Anfang der Woche darüber berichtet. Daran habe ich grundsätzlich nicht viel asuzusetzen, so lange das Spiel im virtuellen Raum nicht überhand nimmt bzw. das echte Spielen weitgehend verdrängt. Denn die Weihnachtszeit und der Winter sind doch gerade die Zeit des Spielens.

Kölnische Rundschau, 01.12.09: Frohes Fest mit Maus und Joystick

Eine Bekannte erzählte mir heute bezeichnender Weise von einer Fernsehsendung, in der sich eine Familie für den Versuch zur Verfügung stellte, an einem Wochenende auf Fernsehen, Radio und Computer zu verzichten. Langeweile stellte sich ein. „Wir können ja ein Spiel spielen“, war dann eine erste kreative Idee. Eine zweite: „Wir könnten ja auch ein Buch lesen – wenn wir eins hätten.“ Dieser Umstand löste bei der Bekannten beinahe ein Entsetzen aus: Wie ist das möglich? Vor allem, wenn es um eine Familie mit kleinen Kindern geht! Lesen die Eltern nichts vor, finden auch die Kinder schwerer ihren Weg zum Lesen.

In der Familie meiner Eltern waren Buchgeschenke zu Weihnachten immer schon ein Klassiker, meist mit Widmung und gutem Wunsch vorne drin. Teilweise sind auch Aufkleber vorne drin, „Ex libris“ oder „Dieses Buch gehört…“. Das hat sich in meiner Familie fortgesetzt. Ein anderer schöner Spruch vorne in einigen Kinderbüchern ist: „Sei lieb zu diesem Buch!“ Das legt nahe, dass Bücher ein Eigenleben entwickeln; wie im realen Leben verschwimmen mit der Zeit die Erinnerungen an ein Buch. Dafür steht auch der Slogan „Bücher sind Freunde fürs Leben“. Das macht das Wiederlesen zu einem neuen Erlebnis. Selber ein Buch zu lesen ist auch eine ganz andere Erlebniswelt als sich einen Film anzusehen. Nicht zu vergleichen sind auch die Erfahrungen, in einem Buch oder in einem Videospiel die „nächste Ebene“ zu erreichen.

In einem kölschen Kinder-Weihnachtslied vom „Hillije Mann“ heißt es: „www Punk hillijemann, / wo ich mir alles wünschen kann, /de schönste sick im Internet / Doppelklick, ich wünsch mir jett.“  (bei der unbekannten Maus handelt es sich übrigens um die Diddlmaus). Die virtuelle Realität weckt neue Wünsche. Jedoch gilt immer noch, was mein Vater immer sagte: „Ihr könnt Euch alles wünschen!“ – aber wir kriegten keinesfalls immer alles. – Wer die Wahrheit erfahren möchte, wie es sich mit dem Weihnachtsmann und den Spielsachen wirklich verhält, möge sich nachfolgende Lesung des „Interviews mit dem Weihnachtsmann“ ansehen. Viel Spaß!

The Spirit of Christmas 2009, Part 11

Donnerstag, 03. Dezember 2009

Die Weihnachts-Beleuchtung nimmt allenthalben zu, die Temperaturen nehmen ab. In Bayern hat es immerhin schon geschneit. Leider ist es im Rheinland weder kalt noch bergig, daher ist in nächster Zeit mit Schnee nicht zu rechnen. Immerhin haben wir dafür wundervoll geschmückte Häuser, sogar auf der eigenen Straße.

Weihnachtlich geschmücktes Hutzelhäuschen in Köln

In zehn Tagen soll es wohl kälter werden. Vielleicht wirds ja doch noch was mit „White Christmas“. Aber statt des allseits bekannten Klassikers hier eine originelle Version eines anderen Liedes von Bob Lido aus einer Christmas Show von 1963, also immerhin 46 Jahre alt. Der damals wahrscheinlich geradezu anarchische Humor wirkt heute doch etwas altbacken, aber dennoch: Viel Spaß!

Meisterschaftspokale sind eingetroffen

Mittwoch, 02. Dezember 2009

Pünktlich zur Jahreshauptversammlung des Deutschen Frisbeesport-Verbandes am kommenden Samstag in Frankfurt am Main wurden die beiden neuen Meisterschaftspokale für die Deutschen meister im Open- und im Mixed-Ultimate fertiggestellt. Es trifft sich gut, dass Vertreter der diesjährigen Meister in beiden Divisionen vor Ort im Club Voltaire sein werden, um die Trophäen gebührend in Empfang zu nehmen.

Die neuen Meisterschaftspokale des DFV für Open und für Mixed-Ultimate

Zuvor ließ ich es mir als DFV-Geschäftsführer jedoch nicht nehmen, beide Trophäen für einmal in Händen zu halten, als hätte ich die sportlichen Ambitionen, noch einmal ins Wettkampfgeschehen einzugreifen…

DFV-GF Jörg Benner mit den von ihm beauftragten neuen Ultimate-Meisterpokalen

Obwohl, falls es im kommenden Jahr die erste Masters Ultimate-DM (Ü32) geben sollte – warum nicht noch mal wieder ein bisschen  mitzocken? Und immerhin konnte ich mich als Deutscher Meister in der Open-Division mit Frühsport Köln 2004 einmal in die Annalen der Frisbeesportgeschichte einschreiben. Bescheidenheit ist eine Zier – doch weiter kommt man ohne ihr! – Aber sie sind doch auch schön geworden, oder nicht?

Der neue DFV-Meisterpokal für die Mixed Ultimate-Division

Original „Frisbie Pies“ aus der ehemaligen gleichnamigen Bäckerei an der Ostküste der USA, die phonetisch dem heute unter „Frisbee“ bekannten Spiel- und Sportgerät seinen Namen lieh, versenkt in massiven Holzsockeln, an denen gravierte Metallschilder angebracht sind. Obenauf gut lesbar die Funktion der Trophäe, seitlich am Sockel die Liste der bisherigen Titelträger. Im Mixed Ultimate sind es nach sieben Meisterschaften bislang vier verschiedene Teams, im Open Ultimate dagegen nach 29 Meisterschaften erst acht verschiedene Mannschaften!

Der neue DFV-Meisterpokal für die Open Ultimate-Division

Natürlich lasse ich mir die Gelegenheit nicht entgehen, um anlässlich der neuen Schmuckstücke eine weitere Folge der unregelmäßigen, wenig professionellen Videoserie „Fristory – Moments in the History of Frisbee“ anzufertigen. Und das alles noch während der Vorbereitung zur JHV, wobei am Freitag voraussichtlich noch ein weiteres Treffen in Düsseldorf ansteht mit den Interessenvertretern der Nicht-Olympischen Disziplinen-Verbände (NOV). Aber: von nichts kommt eben nichts. Und wer weiß, wann die guten Stücke mal wieder in Köln sein werden – außer zu Zwecken der Nachgravur…? 😉

Happy JB with two Frisbie Pies

Englisches Wort des Jahres, Rilke, Reich-Ranicki

Dienstag, 01. Dezember 2009

Rückblende auf die Wochenend-Zeitungslektüre: In der Welt am Sonntag stand auf der Medienseite die Notiz, das Oxford Dictionary habe „Unfriend“ zum Wort des Jahres gewählt. Dabei handelt es sich um den Terminus Technicus, wenn ein Nutzer des „Sozialen Netzwerkes“ Facebook einen Kontakt von seiner Freundesliste entfernt, „entfreunden“ also. Frage zur Kurzmeldung: Muss es im Akkusativ nicht „jemandem“ heißen? Dem ansonsten geschliffenen Beitrag ist nicht viel hinzuzufügen, außer vielleicht die Frage, inwieweit Social Networks überhaupt eine soziale Funktion verfolgen oder nur der digitalen Isolation Vorschub leisten?

WamS, 29.11.09: Mediennotiz Oxford Dictionary, Jahreswort

Oder ist Freundschaft auch dann nichts anderes, wenn sie nur in der Vorstellung des Gegenübers besteht? Damit zur zweiten Veröffentlichung aus derselben Zeitung, aus der Rubrik „Heute ist Sonntag“ des Publizisten Peter Bachér, betitelt „Wie Rilke mir das Schenken beibrachte„. Der Text erinnert in seinem Duktus ein wenig an Rio Reisers „König von Deutschland„, überhaupt erscheint diese Rubrik wie eine „Befindlichkeitskolumne“, seine Buchtitel wie „Besinnungsliteratur“ (wenn es das gibt).

WamS, 29.11.09, Peter Bachér: Wie Rilke mir das Schenken beibrachte

Die Geschichte: Rilke schenkt einer Bettlerin eine aufgeblühte weiße Rose, die die Beschenkte selbst aufblühen lässt. Eine Woche lang bleibt sie ihrem gewohnten Platz fern, ehe sie wieder zum Betteln erscheint. Rilkes Begleiterin, die stattdessen eher dazu neigte, ein Geldstück zu spenden, fragt, wovon die Bettlerin diese eine Woche über gelebt habe? „Von der Rose“, lautet Rilkes Antwort, dessen Maxime war: „Wir müssen ihrem Herzen etwas schenken, nicht ihrer Hand.“ Ich verehre Rainer Maria Rilke, aber diese Geschichte erinnert mich doch zu sehr an die Moral des „kleinen Prinzen von Antoine de Saint-Exupéry: „Man sieht nur mit dem Herzen gut“ (auch wenn Rilke zeitlich davor lag). Vollends stutzig macht mich jedoch die kleine Anzeige auf der Rückseite des Druckbogens der Welt am Sonntag, in der „Das Weihnachtsgeschenk: Peter Bachér: Für Hoffnung ist es nie zu spät, 160 S., 9,95 Euro“ beworben wird.

Damit zum dritten Text, der mich beschäftigt hat, aus der Rubrik in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, „Fragen Sie Reich-Ranicki“. Besonders interessant erscheint mir die Frage nach dem Unterschied zwischen Literatur und Journalismus, weil der eigenwillige Kritiker hier einmal nicht mit seinen sehr fundierten Kenntnissen einzelne Autoren behandelt, sondern Gattungen bespricht. Abgesehen von den zweifellos bestehenden Überschneidungen (Literatur in der Zeitung, Bücher voller Journalismus) benennt er den Hauptunterschied damit, dass „Literatur auf einen doppelten Boden angewiesen“ ist, den der Journalismus nicht haben darf.

FAS, 29.11.09, Titel: Fragen Sie Reich-Ranicki

Dieser Raum, von Schmugglern in Koffern erfunden, eröffnet – übertragen auf die Literatur – die Möglichkeit, dass mehr gemeint ist als geschrieben wurde. Während Journalisten versuchen neutral zu berichten und zu objektivieren, setzen Literaten auf nur angedeutete oder verborgene, subjektive Botschaften. Reich-Ranicki bringt das Beispiel von Goethes Gedicht „Das Heidenröslein„: Blumen stehen bei Goethe häufig für Frauen, das „Röslein“ für Sexualität, „Half ihm doch kein Weh und Ach / Mußt es eben leiden“ für eine Vergewaltigung. Nach einem weiteren Beispiel („Ich ging im Walde so für mich hin“ als Beschreibung der Beziehung zu Christiane Vulpius) schließt Marcel Reich-Ranicki, dass Literatur zwar verzichtbar, eine Zeitung möglicherweise nützlicher, „aber Leben mit Literatur ungleich schöner und auch reicher“ ist.

„Bisweilen finden wir uns selber, unser Glück und unser Leiden.“, schließt er. So geht es mir bei solchen Zeitungsartikeln, oder in ganz anderer Weise, bei diesem Gedicht von Rainer Maria Rilke, das 22. aus dem 1. Teil der Sonette an Orpheus von 1912:

Wir sind die Treibenden.
Aber den Schritt der Zeit,
nehmt ihn als Kleinigkeit
im immer Bleibenden.

Alles das Eilende
wird schon vorüber sein;
denn das Verweilende
erst weiht uns ein.

Knaben, o werft den Mut
nicht in die Schnelligkeit,
nicht in den Flugversuch.

Alles ist ausgeruht:
Dunkel und Helligkeit,
Blume und Buch.

The Spirit of Christmas 2009, Part 10

Dienstag, 01. Dezember 2009

24 Türchen, und was dahinter steckt… – Der Refrain des Kinderliedes von Rolf Zuckowski verbirgt außer der Frage nach der Herkunft des Brauches vom Adventskalender auch die Frage nach der gesellschaftlichen – oder auch wirtschaftlichen – Relevanz des Brauches.

FAS, 29.11.09, Titel des Spezials: 24 Geschenke

In der Sonntags-FAZ werden (ähnlich wie bereits zuvor im Kölner Stadtanzeiger, texthilfe.de berichtete) daher Geschenke-Tipps gegeben („Und wer jetzt meint, dass das alles ein konsumistischer Wahnsinn sei, der mit dem Sinn des Weihnachtsfestes so wenig zu tun habem, wie mit der Freude daran, anderen eine Freude zu machen, dem sagen wir: Stimmt ganz genau!“), augenzwinkernd immerhin. Auch die Welt am Sonntag konstatiert im NRW-Teil über der bedeutungsschwangeren Überschrift: „Erst eins, dann zwei…„: „Für den Einzelhandel beginnen jetzt die wichtigsten Wochen des Jahres.“ Guido Hartmann hat dabei jedoch eine spezielle Käufergruppe im Visier: „Vor allem über die zahlreichen Weihnachtsmärkte sollen ausländische Gäste in die Stadt gelockt werden. Die meisten kommen aus den Niederlanden.“ Mit „der Stadt“ ist hier die Landeshauptstadt gemeint – das gilt jedoch für viele anderen NRW-Städte ebenso.

WamS, 29.11.09, Titel im NRW-Teil: Erst eins, dann zwei...

Die Überraschung dann aber doch im Magazin des heutigen Kölner Stadt-Anzeigers. Während der Aufmacher lautet „Falten, schneiden, kleben – Ideen für die Vorweihnachtszeit. Kinder basteln für die ganze Familie“, kommt auf Seite 5 das Interview mit dem Philosophie-Professor Peter Heintel von der Universität Klagenfurt auf den Punkt: „Das Warten als Geschenk sehen“ (noch nicht online). Während das am Sonntag begonnene Kirchenjahr gleich zu Beginn auf die bevorstehende Ankunft des Herrn wartet und diese feiert, leben Kinder, so Heintel, „in einer Dauererwartung. Als Erwachsene empfinden wir das Warten dagegen als etwas Unangenehmes“.

Kölner Stadt-Anzeiger Magazin, 01.12.09, Titel: Das Warten als Geschenk sehen

Der Professor hat unter anderem deswegen bereits 1990 einen „Verein zur Verzögerung der Zeit“ gegründet. Mittlerweile mehr als 1.000 Mitglieder „streben neue Formen des Umgangs mit der Zeit an“, ebenso gegen blinden Aktionismus wie vermutlich auch gegen Konsumismus gerichtet. Der Verein wendet sich gegen die reduzierte Sichtweise der Zeit „nur noch als Messgröße für Arbeit und Leistung“. Dabei geht es gerade in der Vorweihnachtszeit auch darum, Zeit verstreichen zu lassen, beim Warten (möglicherweise auch unangenehme) Gedanken zuzulassen, sprich das Warten als Geschenk aufzufassen. Als Instrument der Selbsterziehung empfiehlt Peter Heintel, über einen Monat ein Zeittagebuch zu führen.

Am Weihnachtstag selbst bin ich, wie viele andere Kinder meiner Generation und danach, oft vor der Fernsehsendung „Wir warten aufs Christkind“ gesessen. Das ist zwar keine vorbildliche, aber eine bezeichnende Übung. Mit selbst kommt es in diesem Jahr genau so vor, als würde ich die Weihnachtszeit als eine Zeit zum Innehalten wenn nicht benötigen, dann aber doch sehr begrüßen. Zeit zur Reflektion zu haben, zur Standortbestimmung und zum Denken an andere. Vielleicht ein anderer Aspekt des Christuswortes aus dem Matthäus-Evangelium „Werdet wie die Kinder“. Daher an dieser Stelle unvermeidlich nun auch das eingangs erwähnte Kinderlied von Rolf Zuckowski „Kleine Kinder, große Kinder“.