Archiv für die Kategorie ‘Internetkultur’

Deutsche Männer schweigen lieber

Donnerstag, 22. Juli 2010

Eine traurige Neuigkeit, wenn auch keine wirklich überraschende: Fast jeder zweite deutsche Mann (genau gesagt 44 Prozent)  macht Probleme lieber mit sich selbst aus, als andere um Rat zu fragen. Das berichtet unter anderem der heutige Kölner Stadt-Anzeiger unter Berufung auf eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse. Etwas erstaunlich vielleicht dann doch: Fast jeder achte pflegt stattdessen Freundschaften in sozialen Netzwerken .

Kölner Stadt-Anzeiger, 21.07.10, Titel: Virtueller Ersatz für Freundschaften

Anstatt privat mit Bekannten über seine persönlichen Probleme zu sprechen , wird von zunehemnd mehr Männern die Anonymität von Online-Foren bevorzugt. Während dies im Westdeutschland 14 Prozent der Männer angeben,  sind es im Osten des Landes nur acht Prozent.  Das bedeutet nicht unbedingt, dass Männer-Freundschaften in Ostdeutschland noch enger sein müssen, sondern eher, dass die Männer im Westen vermutlich im Durchschnitt noch stärker vereinsamt sind. Neues Futter für die ewige Legende vom „einsamen Wolf“…

Tipps zum Social Media Marketing

Dienstag, 20. Juli 2010

Der Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) hat einen Leitfaden für Unternehmen, Agenturen und Selbstständige herausgegeben, der den Einstieg in die Vermarktung innerhalb der Sozialen Medien erleichtern soll. Offenbar kein Einstieg, den ein Selbstständiger wie ich alleine meistern könnte…

BVDW, Deckblatt des Leitfadens Social Media Marketing

Die zehn Tipps zum Social Media Marketing lauten in Kürze:
1. Orientieren Sie sich auch im Social Media Marketing an den Grundregeln erfolgreicher Kommunikationsplanung
2. Legen Sie konkrete Zielvorgaben fest
3. Nutzen Sie Targeting
4. Behalten Sie die Bedürfnisse und Wünsche Ihrer Zielgruppe im Blick
5. Beweisen Sie Kreativität
6. Wählen Sie die richtige Art und die richtigen Orte der Ansprache
7. Messen Sie den Kampagnenerfolg und überprüfen Sie mögliche Wechselwirkungen
8. Entscheiden Sie sich für den richtigen Mix in der Erfolgsmessung
9. Achten Sie auf die Erhebung relevanter Daten zur Erfolgsmessung
10. Berücksichtigen Sie die Erfolgsfaktoren von Social Media-Kampagnen

Grafik aus dem Leitfaden Social Media Marketing des BVDW

Gegenüber herkömmlicher Kommunikatiosnplanung, heißt es zurecht, bestimmt im Netz stets der Nutzer das Ergebnis, das das Ziel einer Kampagne auch ad absurdum führen kann. Daher ist die realistische, sprich vorsichtige Zielvorgabe um so wichtiger. Tracking oder Targeting zu nutzen, geht allerdings kaum ohne die Zuhilfenahme von Agenturen – aber verständlich, die digitale Wirtschaft möchte ja etwas zu tun bekommen. Auch das systematische Auswerten von Suchbegriffen durch Webmonitoring ist – in Bezug auf die Bedürfnisse und Wünsche der Zielgruppe – nur mit entsprechender Software zu leisten. Kreativ zu sein erscheint da noch als einfachste Forderung.

Zielgruppengrechte Ansprache und das Überprüfen der gesteckten Ziele gehören selbstverständlich zu jeder Marketing-Maßnahme (super Wort, ich weiß). Aber der Hinweis auf den richtigen Mix in der Erfolgsmessung hält schon wieder kostenpflichtige Zusatzdienste parat wie eine Online-Befragung, wiederum Webmonitoring und das qualitative Auswerten von Online-Kommunikation nach Inhalt und Stimmung. Ähnliches gilt für das Erheben relevanter Daten wie „spezifische Kampagnenparamenter“ (Werbemittel, Kanal, Zeitraum) und „definierte Erfolgsfaktoren“ (generierter Umsatz, Fans, Klicks). Wie heißt es unter Punkt 10 so schön: „Das Aufsetzen der notwendigen Tracking- und Auswertungssysteme ist Grundvoraussetzung für die Messbarkeit des Erfolgs von Social-Media-Kampagnen.“

Autoren des Leitfadens sind Matthias Postel von iCompetence, Mike Schnoor von sevenload, Unitleiter Business Development/Marketing der Fachgruppe Social Media im BVDW und Anna-Maria Zahn von der Business Intelligence Group. Er ist herunterzuladen unter dieser Adresse.

Kinder, vor denen uns die Telekom gewarnt hat

Dienstag, 13. Juli 2010

Früher hieß der Sponti-Spruch: Wir sind die Kinder, vor denen uns unsere Eltern gewarnt haben. Heute haben sich die Instanzen verschoben. Im digitalen Reich des „Alles geht!“ gibt nun ein deutscher Telekommunikationskonzern die Regeln vor, und das nicht zu knapp: Laut heutigem Welt-Beitrag von Thomas Heuzeroth hat die Deutsche Telekom „101 Benimmregeln aufgestellt, die fortlaufend aktualisert werden sollen“.

Welt , 13.07.10, Titel: Stelle nur Bilder ins Netz, die deine Mutter freigeben würde

Zitiert wird der Psychologe Raimund Scholze, leiter des „Creation Centers“ der Deutschen Telekom, der zusammen mit Kollegen des Royal College of Art in London und der Deutschen  Knigge-Gesellschaft nach einem halben Jahr voller Workshops diese Regeln zusammengestellt hat: „Die Anforderungen, die die digitale Welt an ihre Bewohner stellt, ändern sich ständig.“, lautet das aufgeführte Zitat. Dachte ichs mir doch: Nichts ist beständiger als der Wandel. Im Welt-Beitrag sind leider nur wenige der Empfehlungen angegeben (neben der aus dem Titel z.B. diejenige, im Restaurant Handies immer mit dem Display nach unten auf den Tisch zu legen, bzw. es bei aufliegender Tischdecke in der Tasche zu behalten.

Natürlich darf auch der Telekom-Chef Renè Obermann nicht fehlen, der mit dem Allgemeinplatz zitiert wird: „Wir brauchen Verhaltensregeln für einen guten Umgang miteinander.“ Stimmt schon, aber wer will sich schon 101 Regeln merken? Unternehmenskultur sollte vor allem vorgelebt werden, um glaubwürdig vermittelt zu werden. Und siehe da: Die Deutsche Telekom hat bereits beschlossen, dass Mitarbeiter am Wochenende keine E-Mails beantworten müssen. Ob diese Regel auch im Kanon steht, kann anchgelesen werden unter http://eetiquette.de.

Sicher ist nie sicher genug

Montag, 12. Juli 2010

Nachdem sich Facebook bereits vor gut sechs Wochen genötigt sah, Fehler in der Datensicherheit einzugestehen und Nachbesserungen anzukündigen (Simon Akam berichtete in der Welt am Sonntag mit einem Portrait des Gründers Mark Zuckerberg), sieht sich nun Apple in der Zwangslage, die Datensicherheit verbessern zu müssen, nachdem am vergangenen Wochenende Datendiebe den iTunes-Store besucht hatten. Varinia Bernau berichtet in der Süddeutschen Zeitung unter Berufung auf das Wall Street Journal, dass die Zugangsdaten von etwa 400 Apple-Kunden geknackt und auf deren Kosten Musik und Programme im Wert von rund einer Million Dollar geraubt worden seien.

Süddeutsche Zeitung, 10.07.2010, Titel: Der faule Apfel

Fällige Nachbesserungen in der Datensicherheit sind die eine Seite. Im WamS-Artikel wurden die von Mark Zuckerberg in Aussicht gestellten Verbesserungen als „kleiner, kosmetischer Eingriff“ bezeichnet, eine Läuterung hinsichtlich seiner Einstellung (berühmt ist sein Ausspruch vom „Ende der Privatsphäre“) in Frage gestellt. Doch schlimmer noch als die Schwachstellen in der Programmierung ist der Umgang mit dem Kunden. „Er nimmt es in Kauf einige seiner Nutzer zu verärgern, um dann das nächste Level zu erreichen“, wird in der WamS Robert Scoble zitiert, der Gründer des Technologie-Blogs Scobleizer.

Die Süddeutsche vom vergangenen Samstag widmet dem Einbruch im iTunes-Store sogar einen Kommentar, ebenfalls von Varinia Bernau. Ausgangspunkt ist nicht nur der Datenklau, sondern auch das anshcließende Verhalten des Konzerns seinen Nutzern gegenüber, die gegen überhöhte Rechnungen Beschwerde eingereicht haben. Eine Kundin konnte die Beschwerde erst nicht am Telefon absetzen, sondern musste sie schriftlich einreichen, um zwei Tage später einen Brief zu erhalten, der sie aufforderte, sich mit ihrem Problem an die Bank zu wenden.

Süddeutsche Zeitung, 10.07.2010, Titel: Die Arroganz der Macht

„Solche Nachlässigkeit kann sich Apple nicht leisten“, schlussfolgert die Kommentatorin, da der Konzern im Begriff sei, damit das Vertrauen seiner Nutzer zu verspielen. Ob es nun 100 Millionen sind, wie zuletzt angegeben, oder etwa 130 Millionen (gemäß der Angabe bei den 400 betroffenen Kunden handele es sich um weniger als 0,0003 %), spielt da keine Rolle. Ein weiteres Problemfeld ist der Vorwurf der Zensur bei der Freigabe der Apps durch Apple, von denen es inzwischen mehr als 250.000 Stück gibt. Bei jedem Verkauf eines dieser Programme  kassiert der Konzern von Steve Jobs ein Driottel des Preises. Wer sich aber mit seinen Daten nicht sicher fühlt, wird bei aller Apple-Euphorie möglicherweise dann doch einmal erwägen, den Anbieter zu wechseln.

Grenzen des Hypes ums Web 2.0

Freitag, 09. Juli 2010

Die Initiative D 21, nach eigenen Angaben „Deutschlands größte Partnerschaft von Politik und Wirtschaft für die Informationsgesellschaft“ hat jetzt ihren „Onliner Atlas 2010“ herausgegeben. Demnach machen die „Offliner“ noch einen Anteil von ca.  28 Prozent der deutschen Bevölkerung aus. Daher könne man aktuell noch nicht von einer „digitalen Gesellschaft“ sprechen, hieß es.

Kölner Stadt-Anzeiger, 09.07.10, Titel: 72 Prozent sind im Internet

Viel wichtiger, ob eine Gesellschaft als digital zu bezeichnen wäre oder nicht, ist für mich dei Frage, ob die Gesellschaft „analog“ funktioniert. Wie der Kölner Stadt-Anzeiger in seiner heutigen Ausgabe schreibt, besteht eine „große Kluft zwischen Ost und West“. Im obern verlinkten Pressetext heißt es dazu: „Die Schere zwischen West und Ost öffnet sich weiter. Die Kluft zwischen dem ersten und dem letzten Bundesland ist damit auf gewaltige 17,5 Prozentpunkte angewachsen.“ Diese Tatsache weist auf ein strukturelles Missverhältnis hin, das möglicherweise mit anderen Faktoren zusammenhängt.

Die Internetnutzung nimmt mit dem Alter ab und steigt mit dem Bildungsgrad. Wird die anhaltende Abwanderung (und damit überdurchschnittliche Überalterung) der östlichen Bundesländer zu Grunde gelegt und dabei ebrücksichtigt, dass es die besser gebildeten Menschen eher einen Ortswechsel ins Auge fassen, so wirft das kein gutes Licht auf die aktuelle Entwicklung in Ostdeutschland.

Allerdings haben die so genannten „Best Ager“ (Menschen mit 50 Jahren und älter) mit 4,7 Prozent plus die höchste Zuwachsrate unter allen Altersgruppen zu verzeichnen. Insgesamt nahm die Internetnutzung gegenüber dem Vorjahr um nur 2,9 Prozentpuntke zu (2009 waren es noch 4,0 Prozentpunkte). Fraglich ist, ob eine allgemeine Durchdringung des Internets in allen Bereiche des Berufs- und Privatlebens erforderlich ist, Fakt dagegen, dass dies in fast allen Bereichen bereits der Fall ist. Wie es aussieht, strebt die Internetnutzung vorübergehend auf einen maximalen Nutzerwert von etwa 75 bis 80 Prozent zu.

Chart: D21 Entwicklung Internetnutzung_2

Dies ist eine interaktive Info-Grafik. Wenn Sie den Doppelstrich innerhalb des Scrollbalkens unterhalb der Grafik bedienen, können Sie den Betrachtungszeitraum variieren. Wenn Sie mit der Maus über die Datenreihen fahren, erhalten Sie die genauen Werte der einzelnen Datenpunkte. Außerdem können Sie Datenreihen ein- und ausblenden sowie die Grafik als Bild speichern oder ausdrucken. Wenn Sie diese Info-Grafik in Ihre Webseite einbinden möchten, können Sie sich dafür mit einem Klick auf den Menüpunkt „Einbinden“ den Embed Code kopieren.
Tags:

D21 Entwicklung Internetnutzung_2

Powered By: iCharts | create, share, and embed interactive charts online

Knapp ein Viertel der Bevölkerung, könnte man schlussfolgern, verschließt sich demnach dem Online-Trend. Man könnte auch sagen: Knapp ein Viertel der Bevölkerung macht den Wahnsinns-Hype um das allmächtige Web 2.0 nicht mit. Wir sollten darauf vorbereitet sein, dass das Netz auch zeitweise ausfallen könnte. Und wir sollten uns daran erinnern, dass es auch ein Leben außerhalb der digitalen Medien gibt.

Mitesser ausdrücklich erwünscht

Sonntag, 04. Juli 2010

Obwohl bei der aktuellen Hitze  viel zu trinken das oberste Gebot ist, geht doch wenig über ein geselliges Zusammensein bei einem ausgewogenen Menü – gerne über mehrere Gänge mit kleinen Portionen. Dass das ankommt, belegen nicht nur zahlreiche Fernsehsendungen (die sich die Singles zu Hause alleine zum Fastfood vor der Glotze reinziehen). In einem neuen Portal werden nun Menschen wie Du und ich dazu aufgefordert und angehalten, wieder mehr miteinander zu essen. Markus Henssler und Jörg Zimmermann haben einen entsprechenden Internet-Vermittlungsdienst gegründet, dessen Nutzung kostenlos ist.

Screenshot der Internetseite

Der nach Angaben der Begründer erste Dienst seiner Art setzt bei der Tatsache an, dass immer mehr Menschen alleine leben und essen, dass Freunde immer stärker einen Ersatz für schrumpfende oder fehlende Familienbande bieten. Als „soziales Netzwerk zum Essen und Kochen“  bieten sie die technische Plattform, die es ermöglicht, entweder ein Essen für mehrere anzubieten oder sich als Gast zu einem solchen Essen anzumelden. Die Auswahl der Gäste erfolgt gemäß einer angegebenen Altersspanne und den Angaben von Interessensgebieten.

Ein sechsminütiger Filmbericht im SWR-Fernsehen belegt, dass das Ganze funktioniert. Die Anmeldung und Nutzung erfolgt mittels Namen und Passwort, dann fehlen nur noch ein gutes Rezept, ein höfliches Verhalten als Gast und gemeinsamer, gesunder Appetit. Mit dem gleichnamigen Sketch von Badesalz hat der Ansatz übrigens wenig gemein, wie hier zu sehen ist.

Die Mär vom Multitasking

Dienstag, 29. Juni 2010

Der Legende nach soll schon Cäsar ein hervorragender Multitakser gewesen sein, der neben dem Fernsehen telefonieren konnte und parallel dazu Befehle an seine Truppen gab. Aber diese Legende kann ja gar nicht stimmen – angeblich sind doch nur Frauen multitaskingfähig! Doch dann musste ich am Wochenende im Kölner Stadt-Anzeiger lesen:

Kölner Stadt-Anzeiger, 26.06.10, Titel: Frauen sind keine besseren Multitasker

Einer Studie des Instituts für Arbeit und Gesundheit der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung zufolge können Frauen mehrere Aufgaben gleichzeitig auch nicht besser handhaben als Männer. Jüngere sind dabei auch nicht besser als Ältere, hieß es weiter. Das einzige, für alle Gruppen übereinstimmende Ergebnis war, dass sich der psychische Druck auf die Studienteilnehmer erhöhte, der Herzschlag scih beschleunigte, sie angespannter waren und sie insgesamt die Aufgaben schlechter bewältigten. Das führt mich unmittelbar zu einem anderen Artikel des vergangenen Wochenendes von Wieland Freund aus der Welt:

Die Welt, 26.06.10, Titel: Entschleunigt die Philosophen

Der Autor geht in seinem Kommentar bereits davon aus, dass die Vorstellung, Frauen seine multitaskingfähiger (so 80% der Befragten einer Intel-Studie im Jahr 2003), überholt ist. Über Frank Schirrmachers Slogan „Multitasking ist Körperverletzung“ (der sich mit der oben zitierten Studie deckt) gelangt Wieland Freund zu Rüdiger Safranski, der im Rahmen der „Salzburger Vorlesungen“ eine „Rückgewinnung der Zeitsouveränität“ propagierte. Biorhythmen passten sich an „die Maschinenzeit“ an.

Gegenüber bestehenden Forderungen zur Entschleunigung in Bereichen wie „Slow Food„, „Slow Media“ oder „Slow Fiction“ sprach Safranski hierbei von „Slow Money“. Gemeint ist damit eine Entschleunigung des Finanzmarktes, der unter Zeitdruck („Zeit ist Geld“) schnelle Entscheidungen trifft, während die Politik einerseits demokratische Abläufe zu beachten hat, andererseits aber zum Opfer der Echtzeit-Kommunikation auf allen Kanälen wird. Während früher die allermeisten Ereignisse außerhalb des eigenen Wirkkreises in der Vergangenheitsform erlebt wurden und nur durch das Wort transportiert wurden, sind wir heute durch eine Bilderflut und Erlebnisdichte in Echtzeit überfordert.

Wieland Freund schließt mit der geistreichen Sentenz, dass die Politik – die zunehmend auf das Erlebnis im Futur setze – nicht zuletzt deshalb langsam sei, „weil sie ständig vorauseilt“. Die Frage ist nun, hat der Schlagzeilen-Redakteur des Welt-Feuilletons etwas daneben gegriffen oder trifft eine „Entschleunigung der Philosophen“ tatsächlich den Kern des diskutierten Problems? Die Politik kann nicht das Tempo der Finanz- und Wirtschaftswelt annehmen. Vermutlich sollte die auf Produktivität getrimmte Gesellschaft auch aus Gründen des Umweltschutzes dringend ihren Leistungsanspruch zurückschrauben.

Rüdiger Safranski zitiert Wilhelm Humboldt, der als einer der ersten das Ideal einer liberalen Gesellschaft paradox formulierte: „Die ganze Gesellschaft ist dazu da, dass die Einzelnen eine Lust verspüren ein Ich zu sein.“ Das Ich definiert sich aber mitnichten nur durch Arbeit. Insofern ist eher eine Entschleunigung der Ökonomie gefordert, oder wie es im Text heißt: „Entschleunigt die Banken!“ Glechzeitig stellt Rüdiger Safranski klar, dass die Politik nicht auf der Höhe der Zeit ist, weil sie nicht begreift, dass die Ökonomie – nach ihrer Rettung durch die Politik – bereits von der Gnade der Politik abhängig ist.

Keine virtuelle Panik, bitte!

Sonntag, 27. Juni 2010

Der „Hans Dampf in allen Bewusstseins-Gassen“, David Gelernter (nomen est omen), ist mir in den vergangenen Tagen anlässlich eines Berlin-Aufenthaltes gleich zwei Mal untergekommen. Erst brachte die Welt ein Interview von Andreas Rosenfelder mit dem Gelehrten, dann veröffentlichte die FAZ einen Kurzbeitrag unter dem nachfolgenden Titel:

FAZ, 24.06.10, Titel: Das Internet denkt nicht

Michael Hanfeld berichtet, der 1955 geborene Wissenschaftler und Künstler habe bereits Anfang der 1990er Jahre voraus gesagt, dass sich das Internet zu einer virtuellen Welt als Spiegel der analogen entwickle. Im Welt-Interview sagt er – angesprochen auf das von ihm eingeführte Bild der „Wolke“ für das Internet: „Metaphern sind nicht bloß Ornamente, sie sind der Motor des Denkens.“ Wie in früheren Entwicklungsstufen der Technologie (Fotografie, Film oder Radio) müssten die Künstler die Kontrolle über dieses Kulturphänomen übernehmen, das seit Erfindung des TCP-Prokolls bereits 30 Jahre alt ist, behauptet er weiter.

Wie in Hollywood, erklärt er, sollten Techniker im Hintergrund bleiben: „Die Show müsen andere schmeißen.“ Allerdings habe sich im Vergleich zur Erfindung des Radios um 1900 dei Mentalität der Künstler heute entscheidend geändert („Früher haben die Künstler neue Medien umarmt.“): „Die Leute ließen sich nicht von den Technikern vorschreiben, was sie mit der Technik anfangen sollten.“ In diesem Zusammenhang, dass Philosophen das Internet als ihr Geschäft betrachten sollten („Es existiert kein Institut für humanistische Internetstudien.“), lässt er den titelgebenden Satz fallen.

Die Welt, 23.06.10, Titel: Wir brauchen einen Erasmus des Internets

Im weiterern Verlauf des Welt-Interviews lässt er den entscheidenden Satz fallen: „Computer und Internet können kein Bewusstsein entwickeln“. Vielmehr ist es eher so, dass ein aufgeklärter Umgang mit den Möglichkeiten der Recherche die Assoziationen des Suchenden beflügeln kann. Einen ähnlichen Tenor hat auch der in der Printausgabe der FAZ abgedruckte Artikel. Das Internet denkt nicht! Die Nutzer ließen sich stattdessen viel zu sehr von ihm ablenken und verschwendeten ihre Zeit lieber mit irgend welchen Spielchen, anstatt ihres kreatives Denken zu bemühen. Eine ausführlichere Besprechung von Thomas Thiel für die FAZ findet sich sogar kostenfrei bei faz.net.

Wahlverwandtschaften im Wandel

Freitag, 25. Juni 2010

Erst tags zuvor gab die Stiftung für Zukunftsfragen eine Pressemitteilung heraus, wonach ein Einstellungswandel in Deutschland um sich greife: „Freunde werden zur Wahlfamilie„. Prompt ist nun in der „Welt“ zu lesen:

Die Welt, 25.06.10, Titel: Freunde ersetzen immer mehr die Familie

Wolfgang Opaschowski arbeitet als wissenschaftlicher Leiter der Stiftung des British American Tobacco Freizeit-Forschungsinstituts und bei seiner Arbeit kommen doch immer wieder interessante Details ans Tageslicht, etwa wieviel Prozent der Deutschen Freunde zur „unverzichtbaren persönlichen Lebensqualität“ zählen (aktuell mehr als 90%, vor acht Jahren nur mehr als 80%). Der kausale Zusammenhang mit dem demographischen Wandel, dass mehr und mehr Menschen als Singles alt werden, liegt nahe. Schön, dass auch betont wurde, virtuelle Freundschaften (etwa wie auf Facebook) könnten echte nicht ersetzen.

Im Orginaltext (siehe den Link oben) steht sogar: „Wahlverwandtschaften und Wahlfamilien erfahren eine Renaissance.“ Damit orientieren wir uns och gerne einmal mehr zum Klassiker der deutschen Literatur zurück, Goethes Wahlverwandtschaften, dem „ersten deutschen Problemroman der deutschen Literatur“ (laut verlinktem Text). Das behandelte Problem besteht in geänderter Form noch immer. So viel scheint sich in der Einstellung da doch nicht zu wandeln. Die demographischen Bedingungen allerdings wandeln sich in der Tat. Na dann, bleibt nur mit Reinhard Mey zu sagen: „Gute Nacht, Freunde“!

Schulfach Soziale Netzwerke

Freitag, 25. Juni 2010

Wie Katja Ridderbusch jüngst in der Welt berichtete, wird das Thema „Soziale Netzwerke“  künftig in US-Schulen unterrichtet. Die Vereinigten Staaten nehmen mit der Aufklärung über Wohl und Wehe der Möglichkeiten zur Selbstoffenbarung eine Vorreiterrrolle ein. Ab dem kommenden Schuljahr sollen an vielen Highschools die „Internet-Beratungsstunden“ sogar zur Pflicht werden“, heißt es weiter.

Die Welt, 22.06.10, Titel: Facebook raus, Klassenarbeit!

Neben den Gefahren des Cybermobbings sollen dabei auch die Chancen der Kommunikation und der Lehrsituation zur Sprache kommen. Einer aktuellen Umfrage zufolge sind derzeit 73 Prozent der US-Teenager in sozialen Netzwerken aktiv (2006 waren es erst 55 Prozent). Eine Stärkung der Webkompetenz käme auch den Schulen und Schulbehörden zugute, die derzeit keine einheitliche Linie gegenüber Social Media verfolgen: Die üblichen Reaktionen reichen von Verbot bis Überwachung.

Zitiert wird eine Sprecherin der Atlanta International School im Bundesstaat Georgia, deren Internetcoaching unter anderem die Themen Datensicherheit, Kommunikationsverhalten, und -glaubwürdigkeit umfasst. „Jede Online-Aktivität ist ein Baustein in ihrem digitalen Profil“, so Courtney Fowler. Fast nicht zu glauben: Ausgerechnet in den USA – Heimatland des Abgesangs auf die Privatsphäre durch Facebook-Chef Mark Zuckerberg – entstünden derzeit sogar pädagogisch wertvolle soziale Medien und E-Learning-Plattformen (unter anderem biete auch das Goethe-Institut mit „Todo Alemán“ erfolgreich ein dreisprachiges Jugendportal an).

Bleibt die Frage, ob Jugendliche diese Netzwerke auch nur in annähernd gleicher Intensität nutzen werden. Hier das ambitionierte Video der „Todo-Alemaniacs“.